Am Wochenende gab es in zahlreichen deutschen Städten Demonstrationen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Immer wieder mischen sich auch Rechtsextremisten unter die Demonstranten und Demonstrantinnen. Der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, warnte in der Presse vor einer Radikalisierung und vor Anzeichen einer "völkisch nationalen Revolution". Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Bärbel Bas, beobachtet diese Entwicklung auch. Sie zeigt sich besorgt, dass ehrliche Anliegen von Bürgerinnen und Bürgern, die sich um ihre Grundrechte sorgen, von staatsfeindlichen Gruppen vereinnahmt werden. Sie fordert im Interview mehr Aufklärung und bessere Erklärungen, warum bestimmte Maßnahmen notwendig sind.
Das Interview im Wortlaut:
Heinlein: Der Verfassungsschutzpräsident warnt vor dem wachsenden Einfluss von Extremisten auf die Proteste. Was, Frau Bas, braut sich da zusammen? Teilen Sie die Sorgen von Thomas Haldenwang?
Bas: Ich glaube, dass es tatsächlich so ist, wenn bestimmte Themen aktuell werden, dass immer wieder Gruppen versuchen, solchen Unmut dann auch aufzugreifen und auch zu unterwandern. Insofern ist die Gefahr sicherlich groß, dass rechte und linke Gruppen solche Demonstrationen nutzen, um dann wiederum ihre Anliegen durchzusetzen. Das ist oft so und ich glaube, man muss das sehr gut beobachten, um dann nicht am Ende in eine Gefahr zu laufen.
"Man muss das sehr genau beobachten"
Heinlein: Sie sagen, rechte und linke Gruppen. Beide Extremistenseiten kochen da ihr eigenes Süppchen?
Bas: Ich bin davon überzeugt, dass es einfach eine Mischung ist aus allem Unzufriedenen: Zum einen mit der Gesellschaft an sich, mit den Einschränkungen, die jetzt da sind. Das ist einfach eine bunte Mischung, glaube ich, die sich da zusammenbraut, und deshalb bin ich schon davon überzeugt, dass man das sehr genau beobachten muss und auch aufpassen muss, dass da am Ende nicht eine Unterwanderung passiert gegenüber den Leuten, die vielleicht ehrliche Anliegen haben und ihre Einschränkungen auch kritisieren, dass da einfach andere Kräfte das, was sie schon immer gegen Staat, gegen Gesellschaft durchsetzen wollten, mit diesen Demonstrationen nutzen.
Heinlein: Sie sagen, man müsse aufmerksam bleiben. Wie sollte denn die Politik auf diese Entwicklung reagieren? Muss noch mehr erklärt und aufgeklärt werden?
Bas: Gerade diese Maßnahmen, die wir ergriffen haben, die muss man auch erklären und auch richtig erklären. Ich glaube, es hat einen Knick gegeben, als die ersten Öffnungen da waren und diese 800-Quadratmeter-Frage für Geschäfte irgendwie diskutiert wurde, oder dass Bundesliga wieder Geisterspiele machen darf, während Spielplätze zum Beispiel geschlossen blieben, oder auch kleinere Vereine nicht öffnen durften. Da war so ein Knick in der Öffentlichkeit in der Argumentation, warum dürfen die einen und wir nicht. Ich glaube, das hätte man besser erklären müssen, und so ist es dann am Ende nicht richtig erklärt worden und deshalb gab es dann auch Irritationen und auch viele Rückfragen.
Heinlein: Es gibt ja durchaus konkrete Sorgen vieler Demonstranten nicht nur an diesem Wochenende, etwa die Einführung einer Impfpflicht, wenn es einen Corona-Impfstoff in absehbarer Zeit gibt. Frau Bas, wird dann die Impfung tatsächlich zur Pflicht werden, um diese Pandemie zu besiegen?
Bas: Ich kann mir das nicht vorstellen, dass es eine Pflichtimpfung für die gesamte Bevölkerung geben soll. Das hat es bisher nicht gegeben und ich gehe auch nicht davon aus, dass es das gibt. Wir werden eher eine Diskussion bekommen, wer die Impfung, die freiwillig sein wird, zuerst bekommt, denn der Impfstoff wird ja nicht sofort 80 Millionen Deutschen zur Verfügung stehen. Bei einer Pandemie, die weltweit da ist, und wenn es endlich einen Impfstoff geben sollte, wird es im Gegensatz eine Diskussion geben, wer bekommt diese Impfung denn sofort, welche Gruppen sollen sie sofort erhalten. Ich glaube eher, dass wir eine andere Diskussion bekommen als die Angst davor, dass wir jetzt irgendwelche Menschen zwangsimpfen.
"Es kann keine generelle Impfpflicht geben"
Heinlein: Keine Impfpflicht, sagen Sie, Frau Bas. Ist das Ihre persönliche Meinung, oder ist das Konsens innerhalb der Koalition?
Bas: Soweit ich auch das Kanzleramt verstanden habe, seitens der Union – Herr Braun hat das auch schon geäußert -, soll es keine Impfpflicht geben, und insofern gehe ich davon aus, dass der Koalitionspartner genauso denkt. Bei uns ist es auf jeden Fall so, dass wir sagen, es kann keine generelle Impfpflicht geben für die gesamte Bevölkerung, sondern wir gehen davon aus, dass sowieso sehr viele Menschen sich freiwillig impfen lassen wollen. Und wie gesagt: Ich glaube eher, wir kriegen eine andere Diskussion. Dann wird es eher eine Diskussion geben, wer bekommt die Impfung jetzt als erster.
Heinlein: Wenn ich richtig informiert bin, Frau Bas, gibt es aber seit März eine Impfpflicht, und zwar für Masern, für Kinder in Schulen und Kindergärten. Warum soll das dann für Corona nicht zur Pflicht werden?
Bas: Bei Masern ist es so, dass wir ja eine ganz lange Vordiskussion hatten und eigentlich die Masern ausgerottet hatten. Dann haben wir eine Situation, gerade bei Kindern, dass Kinder ja nicht geimpft werden können bis zu einem bestimmten Alter und die sogenannte Herdenimmunität nicht mehr gewährleistet war. Deshalb haben wir am Ende eine lange Diskussion gehabt um diese Masern, die ja eine richtig schwere Erkrankung sind, und wie gesagt, es gibt Menschen, die sich nun mal nicht impfen lassen können, die wir damit schützen wollten – insbesondere, wenn sie in Gemeinschaftseinrichtungen gehen, Kindergarten, Schule.
Es gibt ja zwei Möglichkeiten, diese Masern-Impfung nachzuweisen. Entweder habe ich sie schon mal durchlitten und bin immun, und hier steht der Status ja fest. Das ist wissenschaftlich erwiesen. Oder ich muss eine Impfung nachweisen. Insofern ist dem eine ganz, ganz lange Diskussion vorausgegangen und die Masern-Erkrankung hat ganz schwere Folgen. Insofern ging es hier um einen Schutz bestimmter Gruppen, Berufsgruppen und bestimmter Bevölkerungsgruppen. Aber es ist keine generelle Pflicht, wie ich immer sage, dass die ganze Bevölkerung jetzt geimpft werden muss.
"Der Immunstatus ist noch nicht klar"
Heinlein: Aber schwere Folgen hat Covid-19 zumindest für ältere Patienten - das steht fest – auch.
Bas: Das stimmt in der Tat und insofern muss man erst mal abwarten, welchen Impfstoff es geben wird. Den haben wir noch lange nicht. Er muss getestet werden. Der Immunstatus ist noch nicht klar. Wir wissen nicht, wie oft geimpft werden muss, wenn er denn da ist. Es ist ja immer auch schwierig, wissenschaftlich, und auch noch nicht erwiesen, ob eine Impfung reicht, oder ob es mehrere sein müssen in verschiedenen Abständen. Das ist alles noch offen und insofern ist diese Diskussion erstens völlig verfrüht und ich gehe wirklich davon aus, es braucht keine Impfpflicht.
Heinlein: Alles noch offen, sagen Sie. Vor Wochen, Frau Bas, hieß es ja, wir stehen erst am Anfang der Pandemie. Das sei ein langer Weg, ein Marathon. Nun sind Sie Teil der Corona Task Force der SPD, mit dabei auch die Minister Heil und Giffey. Frau Bas, auf welchem Kilometer dieses Marathons stehen wir heute am Montag, dem 18. Mai?
Bas: Im Moment sind wir auf dem Status, dass wir an vielen Lösungen in der Vergangenheit gearbeitet haben, reagiert haben, welche Schutzschirme müssen wir schnüren, um die größten wirtschaftlichen Katastrophen auch abzuwenden, sprich Kurzarbeitergeld und so weiter. Jetzt ist die Phase eigentlich eher, was braucht es an Konjunkturpaketen – jetzt, wo wieder geöffnet wird, wo die Wirtschaft wieder Stück für Stück hochfährt. Was brauchen wir eigentlich jetzt? Wen müssen wir unterstützen? Wie können wir das nachhaltig ökologisch machen, so dass die Mittel, die wir jetzt für die Konjunktur geben, nicht verpuffen, sondern auch dauerhaft einen Sinn machen.
"Das Leben findet in den Kommunen statt"
Heinlein: Stichwort Konjunkturpaket, Frau Bas. Seit dem Wochenende gibt es ja heftigen Streit um ein Konzept von Finanzminister Scholz zur Entschuldung der Kommunen. Er will Corona-Hilfen mit der Entschuldung der Städte und Gemeinden kombinieren, verknüpfen. Warum ist dieser Vorstoß von Minister Scholz offenbar mit dem Koalitionspartner nicht abgestimmt? Ist das ein Schnellschuss Ihres Ministers?
Bas: Das ist kein Schnellschuss, weil wir über die Altschulden der Kommunen ja schon lange reden. Das eine Konzept zur Altschuldentilgung liegt ja schon lange auf dem Tisch und scheitert im Moment an der Solidarität einiger Länder. Dass die Kommunen finanzielle Unterstützung notwendig haben, ist, glaube ich, ersichtlich, wenn man sieht, wie unterschiedlich die Kommunen auch ausgestattet sind, wie Schulen zum Teil aussehen. Je nachdem in welche Bereiche ich komme, und keine Luft bleibt den Kommunen, selbst zu investieren aufgrund der Tilgung ihrer Altschulden, ist dieses Konzept auch der Union schon lange bekannt. Insofern nichts Neues, aber die Weigerung ist bedauerlicherweise auch nichts Neues und ich finde unverständlich, weil das Leben findet in den Kommunen statt. Wir brauchen eine bessere Ausstattung von Schulen, Straßen, Gebäuden. Wir diskutieren gerade über Gesundheitsämter, die schlecht ausgestattet sind. Hier braucht es mehr finanziellen Spielraum und Unterstützung und deshalb unterstütze ich dieses Paket und den Vorschlag auch von Olaf Scholz sehr nachdrücklich.
Heinlein: Der CDU-Haushaltspolitiker Rehberg hat unter anderem kritisiert, dass Olaf Scholz diesen Vorstoß mit seiner Partei, mit der Union nicht abgestimmt hat. Warum hat Olaf Scholz nicht vorab mit dem Koalitionspartner geredet?
Bas: Da müssten Sie Olaf Scholz fragen. Das weiß ich nicht. Aber wie gesagt: Das Konzept zur Altschuldentilgung liegt schon lange auf dem Tisch. Was jetzt ansteht sind Konjunkturpakete, auch das ist kein Geheimnis, und es liegt in der Natur der Sache der Haushälter, dass die erst mal sagen, das gucken wir uns mal genauer an und da zahlen wir erst mal nichts. Das kennen wir auch von SPD-Haushältern. Aber warum Olaf Scholz das Konzept jetzt nicht genau abgestimmt hat, das kann ich nicht nachvollziehen, ob das so stimmt, diese Aussage. Und wie gesagt, zu den Altschulden stimmt es definitiv nicht. Dieses Konzept liegt schon länger auf dem Tisch.
Heinlein: Abschließend die Frage, Frau Bas. Wenn Sie auf die aktuellen Umfragewerte blicken, fällt auf: Die Union geht derzeit durch die Decke, fast 40 Prozent. Ihre Partei, die SPD stagniert stattdessen. Warum profitieren Sie als Genossin, die Sozialdemokraten insgesamt nicht von der Arbeit der Regierung, vom Krisenmanagement der Minister Heil, Giffey und Scholz?
Bas: Wenn man sich die Persönlichkeitswerte dieser drei einzeln anguckt, kann man sehen, dass die schon profitieren. Die Partei in der Tat nicht. Das liegt aber auch daran, dass jetzt in letzter Zeit natürlich insbesondere die Kanzlerin und auch die Länderchefs und Chefinnen der Union im Fokus standen - die Kanzlerin selbst, Söder, auch Spahn als Gesundheitsminister. Ich glaube, daher kommen auch diese Umfragewerte, weil wir am Ende als Partei oder als Fraktion weniger vorkommen als die Regierenden in solchen Krisen. Das ist natürlich für uns persönlich ein Dilemma.
"Es wird jetzt natürlich auch um Verteilungsfragen gehen"
Heinlein: Ist es auch ein Dilemma, Frau Bas, dass Ihre Parteivorsitzenden, alle beide, kein Amt in der Regierung haben und nur aus der Kulisse kommentieren?
Bas: Das mag eine Ursache sein, ist aber im Moment nicht zu ändern, weil beide nun mal nicht Regierungsmitglieder sind. Insofern profitieren im Moment Regierungsmitglieder. Aber ich glaube, dass die Zeit der Parteienfraktionen jetzt kommen wird, weil es natürlich jetzt auch um Verteilungsfragen gehen wird, um öffentliche Daseinsvorsorge, die Diskussion, und da wird sich das auch durchaus differenzieren. Man sieht es ja an dem Teil der Kommunen. Die einen sagen, Kommunen brauchen keine Unterstützung; wir sagen als SPD deutlich, die Kommunen müssen definitiv mehr Unterstützung auch finanziell erhalten. Daran merkt man ja schon, dass da auch die Meinungen wieder auseinander gehen werden, und da werden Wählerinnen und Wähler auch durchaus unterscheiden können.
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