Klemens Kindermann: Vor genau zehn Jahren, am 30. Juli 2007, das war ein Montag, gab es am Morgen eine spektakuläre Mitteilung der Deutschen Industriebank IKB, eine Bank, von der Bundeskanzlerin Merkel später bekannte, sie hätte gar nicht gewusst, was die IKB sei. Viele werden das damals auch nicht gewusst haben, aber nach der Ad-hoc-Mitteilung, in der nicht nur der Rücktritt des Vorstandschefs, sondern auch eine Milliardenlücke bekannt gegeben wurde, gelangte die IKB zu trauriger Berühmtheit. Mit ihr erreichte die größte Finanzkrise des 21. Jahrhunderts auch Deutschland. Herr Hufeld, Sie sind der Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, also der oberste Finanzaufseher Deutschlands. Heute, zehn Jahre später, ist die Finanzkrise überwunden?
Felix Hufeld: Die akute Finanzkrise ist überwunden, aber es gibt Überbleibsel. Wir haben in einer Reihe europäischer Länder, auch in Deutschland, beispielsweise mit Kreditportfolien zu tun, in denen sogenannte faule Kredite, also uneinbringlich gewordene Kredite, sich noch in bemerkenswert hoher Anzahl verkörpern. Das ist insbesondere in einigen südeuropäischen Ländern der Fall. Aber auch wir in Deutschland haben in einigen Spezialbereichen, insbesondere im Bereich der Schiffsfinanzierung, mit solchen Phänomenen zu kämpfen. Generell ist das Gott sei Dank in Deutschland kein Phänomen. Soll heißen, es gibt noch Restbestände, an denen wir hart zu arbeiten haben.
Kindermann: Kann man generell sagen, dass die Banken heute sicherer sind als vor zehn Jahren?
Hufeld: Das kann man eindeutig sagen. Sie haben signifikant mehr Eigenkapital. Sie haben signifikant besseres Eigenkapital. Damit meine ich hartes Kernkapital. Die Risikomanagement-Prozesse mussten verbessert werden und sind verbessert worden. Signifikante Fehlanreize in der Vergütungsstruktur wurden sehr deutlich verändert. Die sogenannten Governance-Strukturen, das heißt die Art, wie Unternehmen zu führen sind, über Aufsichtsgremien, Vorstände, wurden verschärft. Es gibt ein, wie Sie merken, ein ganzes Bündel von Maßnahmen, die ergriffen wurden, um Banken sicherer zu machen, und die haben wir ergriffen. Nicht zuletzt auch die ganze Thematik von Sanierungs- und Abwicklungsvorgaben für den Fall, dass eine Bank tatsächlich in schwieriges Fahrwasser gerät. Nur eins muss auch klar sein: Absolute Sicherheit gibt es nirgendwo, in keinem menschlichen Handeln und schon mal gar nicht in einer marktwirtschaftlich verfassten Wirtschaftsordnung. Und das gilt dann natürlich auch für die Finanzwirtschaft. Auch Banken müssen grundsätzlich aus dem Verkehrsleben austreten können.
"Es gibt nach wie vor ein Unbehagen und ein Störgefühl"
Kindermann: Glauben Sie, dass das Vertrauen der Deutschen in die Banken inzwischen zurückgekehrt ist?
Hufeld: Das ist eine gute Frage. Ich … Vertrauen verspielt sich sehr schnell und ist sehr schwierig wiederzugewinnen. Ich glaube, es gibt nach wie vor ein Unbehagen und ein Störgefühl und das kann ich sehr gut verstehen. Was aber zugleich nicht ist - Gott sei Dank -, ist ein massenhaftes Verändern im Verhalten der Kunden. Es gibt nicht massenhafte Kündigungen oder Abwanderungsbewegungen. Aber ich glaube, es wäre zu kurz gesprungen, daraus zu schließen, alles sei wunderbar. Ich glaube, das Unbehagen, das Störgefühl, ein grundsätzliches Missbehagen und vielleicht auch Misstrauen ist unter der Oberfläche sehr wohl noch da. Und das wiederzugewinnen oder wieder zu reparieren und in ein Grundurvertrauen - hätte ich beinahe gesagt - umzuwandeln, wird zweifellos noch eine Weile dauern.
Kindermann: In den USA haben die Regulierer ja deutlich stärker durchgegriffen nach der Finanzkrise. Heute stehen die US-Banken wesentlich besser da als europäische. Der Deutsche-Bank-Chef Cryan sagt, die US-Banken haben drei Jahre Vorsprung. Was haben wir hier in Deutschland und in Europa falsch gemacht?
Hufeld: Ich glaube, es sind zwei wesentliche Punkte, die man hier beachten muss. Der eine Punkt ist: Anders als in Europa hat die US-amerikanische Regierung in der unmittelbaren Krise direkt eine Gesellschafterposition in den Banken eingenommen, indem sie quasi zwanghaft Eigenkapital in die Banken eingebracht haben und damit selbst - etwas zugespitzt formuliert - Herr des Hauses wurde. Das wollte man in Europa dezidiert nicht. Das hat natürlich der amerikanischen Regierung die Möglichkeit gegeben, mit einer ganz anderen Härte und Direktheit mit der Faust auf den Tisch zu hauen und Veränderungen herbeizuführen - Punkt 1. Punkt 2: Das hat mit Politik und mit Regulierung und Aufsicht erst mal nicht viel zu tun.
Das Bankwesen in Amerika beruht auf ganz anderen Strukturen. Auch das Wirtschaftssystem beruht auf ganz anderen Strukturen. Mit der Folge, dass die Ertragsstärke der großen amerikanischen Banken in viel höherem Maße von Provisionserträgen, von Gebührenerträgen abhängig ist - nicht von Zinserträgen. Und diese Gebühren und Provisionserträge haben sich sehr viel schneller und sehr viel nachhaltiger erholen können, als in dem Umfeld eines nachhaltigen Niedrigzinsumfeldes, das wir - wie wir alle wissen - seit einigen Jahren in Europa zu gewärtigen haben. Und das ist der zweite, wahrscheinlich noch wesentlich wirksamere Faktor, der zu einer wirtschaftlichen Erholung, auch, als der Staat in den USA längst schon wieder raus war bei den amerikanischen Banken, beigetragen hat.
Kindermann: Zu den niedrigen Zinsen kommen wir ja gleich noch, Herr Hufeld.
Hufeld: Ja.
"Finanzkrisen werden aus ganz anderen Ecken entspringen"
Kindermann: Wir haben gerade im Deutschlandfunk eine Serie gemacht über die Immobilienmärkte weltweit und wie gefährlich die möglicherweise sind. Da zeigte sich, dass es in China gar nicht mehr die Frage ist, ob dort eine Immobilienblase platzt, sondern eher wann die denn kommt. Gibt es aus Ihrer Sicht denn irgendwelche Vorzeichen für eine neue Finanzkrise, die uns bevorsteht?
Hufeld: Finanzkrisen haben die unangenehme Eigenschaft, dass sie regelmäßig nicht dort auftreten, wo wir uns das so gedacht haben und wo wir uns das - in Anführungszeichen gesprochen - "wünschen" würden und schon mal gar nicht an genau derselben Stelle, wo sie das letzte Mal aufgetreten sind. Wir müssen uns daher immer ein bisschen davor hüten, als Feldherren vergangener Schlachten aufzutreten. Natürlich müssen wir die Lektionen der Vergangenheit lernen. Das tun wir ja. Aber Finanzkrisen der Zukunft können und werden wahrscheinlich aus ganz anderen Ecken entspringen. Wenn ich ganz genau wüsste, wo das wäre, dann würden wir uns entsprechend darauf vorbereiten. Das liegt in der Natur der Sache, dass das schwer zu prognostizieren ist. Wir können ein bisschen spekulieren. Es kann aus Ecken von Nichtbanken kommen. Es könnte was mit den sogenannten Cyber-Risiken zu tun haben.
Kindermann: Damit meinen Sie die sogenannten "Schattenbanken". Da hat sich ja jetzt der G20-Gipfel verständigt, da wolle man was tun. Aber man hat den Eindruck, da tut sich eigentlich gar nichts.
Hufeld: Nein, ich glaube, es ist eher umgekehrt, dass sogenannte Financial Stability Board, das im Auftrag der G20 seit …
Kindermann: Das müssen Sie den Hörerinnen und Hörern noch kurz erklären.
Hufeld: Das ist der Finanz-Stabilitätsrat. Das ist, wenn Sie so wollen, die globale Vereinigung, die auf der finanzregulatorischen Seite, in der im Wesentlichen Zentralbanken und Finanzaufsichtsbehörden, wie die meinige, wie auch Ministerien vertreten sind, die sich um Fragen der Finanzstabilität auf globaler Ebene kümmern und sozusagen der direkte Ansprechpartner der G20 sind, um alle Fragen und Nöten und Sorgen und Aufträge, die aus G20 in Richtung Finanzwirtschaft gerichtet werden, abzuarbeiten. Und die Arbeit an den sogenannten Schattenbanken spielt dort in den vergangenen Jahren eine wesentliche Rolle. Und man hat eigentlich die jüngsten Ergebnisse auf dem letzten G20-Gipfel in Hamburg vorgetragen und sie wurden vom G20 entsprechend zustimmend zur Kenntnis genommen. Es ist also eher so, dass …
Kindermann: Das hört sich aber noch nicht sehr nach intensiver Beschäftigung mit dem Thema an …
Hufeld: Doch. Ganz im Gegenteil. In den vergangenen Jahren hat man sich eben auf der globalen Ebene und dann selbstverständlich auch auf regionaler, also sagen wir: europäischer oder nationaler, sagen wir: deutscher Ebene, mit diesen Fragen sehr intensiv beschäftigt. Und dort, wo man spezifische Risiken erkannt hat, hat man sie konkret auch adressiert. Ich sage mal ein Beispiel. Eine der überraschenden Krisenerscheinungen, die in den USA im Rahmen der Krise aufgetaucht sind, sind die sogenannten "Money Market Funds". Das sind Fonds, in denen kurzfristige Finanzierungen stattfinden, in denen sie sehr kurzfristig Geld einlegen und auch wieder abheben können. Im Prinzip können sie dort Geld parken.
Und plötzlich stellte sich heraus, dass natürlich in einer Krise tausende und abertausende von Menschen ihr Geld sehr schnell abziehen wollten. Das hat diese "Money Market Funds" natürlich an den Rand des Kollapses gebracht. Wir hatten ähnliche - in einem sehr viel milderen Ausmaß - Phänomene auch in Deutschland bei einigen offenen Immobilienfonds, wo der Anleger X seine Anteile zurückgeben wollte, sein Geld wiederhaben wollte. Und, wenn das massenhaft geschieht, nennen wir das im Jargon das sogenannte "Run-Risiko", alle rennen gleichzeitig. Das ist ein typisches Phänomen von Finanzstrukturen, in dem Fall Fonds, in dem es darum geht, Liquiditätsprobleme zu vermeiden, die durch so ein gleichzeitiges Verhalten in massiver Form auftreten können.
Kindermann: Und da ist reguliert worden?
Hufeld: Und da ist reguliert worden. Das ist nur ein Beispiel.
Kindermann: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit dem Präsidenten der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Felix Hufeld. Herr Hufeld, deutsche Autokonzerne müssen sich massiven Kartellvorwürfen stellen aktuell, weil sie angeblich jahrelang heimlich Absprachen getroffen haben. Die Börse nimmt diesen Kartellverdacht ernst. VW und Daimler, beide Unternehmen hatten einen Schriftsatz bei den Kartellbehörden eingereicht, aber nicht entsprechende Mitteilungen an die Aktionäre abgesetzt. Müssen Sie sich als Finanzaufsicht diesen Vorgang nicht genau anschauen?
Hufeld: Ja, müssen wir und das tun wir auch. Das ist ein fast routinemäßiger Vorgang und das tun wir im Augenblick, dass wir überprüfen, ob die sogenannten Ad-hoc-Mitteilungen - das ist die Mitteilung an die Aktionäre, und zwar transparent an alle Aktionäre, nicht nur an einige Aktionäre, das muss in einer bestimmten Art und Weise und sehr zeitnah erfolgen -, ob dies hier korrekt durchgeführt wurde oder nicht, ist in der Tat im Augenblick Gegenstand einer Überprüfung durch uns. Ich kann Ihnen aber im Augenblick noch nicht das Ergebnis sagen.
Kindermann: Wenn hier Mitteilungspflichten an die Aktionäre verletzt worden wären, wie schwerwiegend wäre das?
Hufeld: Das kommt auf den Einzelfall offensichtlich an, wie bei allen Verstößen dieser Art. Das kann letztlich als ein strafbewehrter Tatbestand gewichtet werden. Aber ich möchte wiederholen: Es wäre im Moment zu früh darüber zu spekulieren, ob überhaupt hier ein Fehlverhalten vorgelegen hat, und wenn ja, in welchem Schweregrad. Das wird jetzt sorgfältig untersucht. Und, wenn wir die Fakten kennen, dann werden wir es, wie in jedem anderen Fall auch … solche Prüfungen von möglichen Ad-hoc-Pflichtverletzungen ist bei uns Routinegeschäft im Bereich der Marktaufsicht.
Kindermann: Können Sie uns da ein Zeitfenster nennen, wann solche Überprüfungen so weit gediehen sind, dass die Öffentlichkeit etwas davon erfahren könnte?
Hufeld: Auch das … das dauert manchmal nur ein paar Wochen, manchmal dauert es mehrere Monate. Das hängt sehr von der Komplexität des Einzelfalles ab. Ich wage im Moment keine abschließende Prognose. Aber ich könnte mir vorstellen, dass es ein paar Monate in diesem Fall dauern wird, weil es eine Mehrzahl von Unternehmen auch betrifft. Das ist wahrscheinlich nicht ganz einfach dann herauszutüfteln, ob und was hier im Einzelfall geschehen ist.
Kindermann: Eine andere aktuelle Baustelle, die Deutsche Börse - Vorwürfe des Insiderhandels gegen Börsenchef Carsten Kengeter. Die Staatsanwaltschaft ermittelt seit Monaten. Eine Mitteilung vor wenigen Tagen, dass das Verfahren gegen Zahlung einer Geldbuße ohne Auflagen eingestellt werden könnte, das hat für mehr Verwirrung gesorgt als Beruhigung gebracht. Die hessische Börsenaufsicht und die BaFin, also Ihr Haus, müssen einem möglichen Deal mit der Staatsanwaltschaft ja zustimmen. Haben Sie schon zugestimmt?
Hufeld: Also, formal müssen wir diesem Deal nicht zustimmen. Es gibt aber sozusagen eine Art Reflex der Wertungen tatbestandlicher wie auch rechtlicher Art, die im Bereich der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen stattfinden, auf unsere aufsichtlichen Wertungen. Das ist also eher eine Art Parallelität von Wertungen unterschiedlicher Behörden, einmal die Staatsanwaltschaft, das andere Mal zwei Aufsichtsbehörden, die Kollegen im Hessischen Wirtschaftsministerium und die BaFin. Und diesen Reflex, wenn Sie so wollen, die Erkenntnisse, die aus diesem Ermittlungsverfahren gewonnen wurden, lassen wir selbstverständlich jetzt im Augenblick in unsere eigenen Wertungen einfließen. Und wie diese Wertungen aufsichtlicher Art dann ausfallen werden, das bleibt jetzt abzuwarten. Da werden wir uns in absehbarer Zeit zu äußern.
Kindermann: Also, die Bewertung ist noch nicht abgeschlossen?
Hufeld: Nein.
"Briefkastenfirmen werden wir nicht akzeptieren"
Kindermann: Herr Hufeld, jetzt wieder ein anderes Thema. Die Brexit-Verhandlungen, die nehmen ja nicht so richtig Fahrt auf, aber schon jetzt ist absehbar, dass etliche Großbanken Arbeitsplätze aus der Finanzmetropole London abziehen. Als Ersatzstandorte werden Dublin genannt, Paris, aber vor allen Dingen auch Frankfurt. Wie hoch ist das Interesse Londoner Banken zur Verlegung von Aktivitäten nach Frankfurt?
Hufeld: Man muss sich hier Folgendes vor Augen halten. London war bis auf Weiteres und wird es nach allem, was wir erkennen können, auch in Zukunft ein ganz wesentlicher Standort für Finanzdienstleistungen sein und bleiben. Es hat sich ein, viele nennen es eine Art Ökosystem von Finanzdienstleistungen, die eng miteinander verwoben sind, am Standort London entwickelt, die sehr stark davon gelebt haben, dass sie als Bestandteil der Europäischen Union den gesamten EU-28-Raum bestreichen können. Dieses wird voraussichtlich wegfallen. Wenn sie also als Bank in London operieren, müssen sie in irgendeiner Form die sogenannten "Passporting-Rechte", dass sie dann in dem kleiner gewordenen EU-27-Raum weiter operieren dürfen, sicherstellen.
Sie müssen sich also - dringend notwendig - einen Standort suchen, aus dem heraus sie dieses Passporting in dem 27er-Raum realisieren können. Dieser Standort kann irgendwo innerhalb der EU 27 sein. Wenn sie also als verantwortlicher Manager mit dieser sehr unangenehmen, sehr schwierigen, sehr kostspieligen und durchaus auch riskanten Operation - das ist wie eine Operation am offenen Herzen, das sind hochkomplexe Plattformen, mit denen diese Banken arbeiten und Plattform heißt nicht nur IT, das heißt Know-how, Prozesse, Menschen, die über viele, viele Jahre als Gesamtkunstwerk, hätte ich beinahe gesagt, aufgebaut wurden - zerschneiden müssen, ist das eine gewaltige und auch nicht ganz ungefährliche Sache. Da legen solche Institute großen Wert darauf, dass sie in ein Umfeld marschieren, in dem sie Verlässlichkeit, Stabilität vorfinden …
Kindermann: Wie viele Banken haben denn bei Ihnen schon angeklopft?
Hufeld: Also, wir haben irgendwo zwischen 75 und 100 Gespräche geführt, allerdings natürlich mehrere pro Banken. Ich denke mal, dass wir so über um die 30 Institute sprechen - plus/minus. Ich kann Ihnen die exakte Zahl nicht sagen, aber das ist eine ganz erhebliche Zahl. Und einige davon sind natürlich gewaltige große Institute, weil alle diese Institute - seien es amerikanische Häuser, seien es britische Häuser, seien es japanische Häuser, seien es zum Teil auch deutsche Häuser - müssen auf die Ausgangslage, die ich eben geschildert habe, reagieren. Sie haben keinerlei …
Kindermann: Müssen die ihr Management auch mitbringen? Oder reicht so eine Niederlassung hier?
Hufeld: Sie müssen Management mitbringen. Sie müssen eine ernsthafte Operation, "operation", müssen sie vor Ort aufbauen. Wir sind da sehr, sehr klar. Sogenannte Briefkastenfirmen oder Scheinniederlassungen werden wir nicht akzeptieren. Da gucken wir sehr, sehr genau hin, dass das, was hier in Deutschland angesiedelt wird, tatsächlich auch in einem ernsthaften Bankgeschäft - wir wollen jetzt mal offenlassen, in welchen genauen rechtlichen Formaten, da gibt es Flexibilitäten - tatsächlich aufgebaut wird.
Kindermann: Herr Hufeld, die EZB-Null-Zins-Politik dauert ja schon geraume Zeit, bringt so die Geschäftsmodelle mancher Bank doch in Schwierigkeiten. Die müssen ja auch Geld verdienen, normalerweise traditionell durch den Zinsüberschuss, den sie erwirtschaften, nicht eigentlich durch Gebühren. Beobachten Sie eigentlich schon einige Banken und deren Geschäftsmodelle?
Hufeld: Ja, tun wir. Wir haben vor zwei Jahren eine umfassende - wir nannten das Niedrigzinsumfrage, eigentlich ist das ein Niedrigzinsstresstest - durchgeführt und führen im Augenblick, in wenigen Wochen ist das dann beendet, eine Wiederholung durch, weil es aus genau den Gründen, die Sie angedeutet haben, elementar wichtig ist für uns als Aufsicht, zu begreifen, wie sich die Geschäftsentwicklung aller Banken in Deutschland - ich betone aller Banken in Deutschland - mutmaßlich entwickeln wird. Es gibt kein denkbares Szenario, in dem nicht der Druck auf die Erträge der Banken massive Auswirkungen hat.
Und wir werden die Konsequenzen in den nächsten Jahren noch sehr viel deutlicher sehen als in den vergangenen Jahren, wo es eine Reihe sehr positiver Gegeneffekte gab, beispielsweise historisch niedrige Risikovorsorge … im Gegenteil, man konnte sogar Risikoergebnisse ertragssteigernd auflösen, aufgrund der sehr, sehr guten wirtschaftlichen Lage der deutschen Wirtschaft insgesamt. Es ist unrealistisch zu glauben, dass das auf ewige Zeiten so weitergeht. Der Druck auf die Banken ist erheblich. Sie müssen darauf reagieren. Sie wissen das auch und tun es auch. Und wir haben in der Tat eine ganze Reihe von Instituten unter - ich sage mal - besonderer Beobachtung.
Kindermann: Die sind ja zum Teil sehr kreativ in der Erfindung oder in der Art, neue Gebühren zu erheben. Was halten Sie denn von der Gebührenpolitik der Institute?
Hufeld: Wir müssen uns als Aufsicht in dieser Frage ein wenig zurückhalten. Die Gebührenpolitik ist eine originäre Aufgabe einer Bank, die auch in dieser konkreten Form von der Aufsicht nicht zu genehmigen ist. Nichtsdestotrotz ist es eine schiere Frage der Logik, wenn - wie Sie es vorhin völlig zu Recht angesprochen haben - der traditionelle Zinsertrag, der in Deutschland, je nachdem, auf welche Bankgruppen man guckt, zu 70 bis 80 Prozent die Gesamterträge einer Bank-Gewinn-und-Verlustrechnung prägt und trägt, dermaßen unter Druck gerät, man könnte auch schlicht sagen: verschwindet, dass eine Bank in irgendeiner Form andere Ertragsquellen entwickeln muss. Das ist eine schiere Frage der Logik. Es geht nicht anders. Wenn wir ein funktionsfähiges Bankensystem in diesem Land wollen - und das wollen wir natürlich, das müssen wir alle wollen, als Kunde, als Aufsicht, als Politik und als wer auch immer -, müssen wir jedem Unternehmen auf dieser Welt, so auch Banken, zugestehen, dass sie für das, was sie leisten, auch in irgendeiner Form Erträge generieren können.
Banken-Umfrage zu Cum-Cum-Geschäften
Kindermann: Was ist denn davon zu halten, wenn ein Ratenkredit mit negativem Zinssatz von 0,4 Prozent angeboten wird? Das heißt, wenn 1.000 Euro aufgenommen werden, müssen nur 994 Euro zurückgezahlt werden.
Hufeld: Ja. Ich habe davon auch gelesen. Ist mir eine etwas befremdliche Vorstellung, muss ich sagen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es sich hier um ein tragfähiges Geschäftsmodell für die Zukunft handelt.
Kindermann: Auf die deutschen Banken, auch auf die kleineren, könnten ja erhebliche Belastungen durch Steuerrückzahlungen zukommen. Hintergrund ist die Beteiligung an den sogenannten Cum-Cum-Geschäften, durch die große Kunden aus dem Ausland Steuern auf Dividenden von deutschen Unternehmen umgehen konnten. Könnten Banken - das ist ja für Sie die wichtige Frage - könnten Banken durch diese Rückzahlungen in Schieflage geraten?
Hufeld: Ja, das kann in Einzelfällen passieren. Und weil wir nicht genau wissen, in welchem Ausmaß und in wie vielen Fällen, haben wir vor wenigen Tagen auch dazu wiederum für alle Banken eine Umfrage begonnen, in der wir relativ detaillierte Fragen genau dazu gestellt haben, deren Beantwortung ein bisschen Zeit beanspruchen wird. Wir erwarten die Antworten - ich glaube - Ende Oktober zurück. Und ich befürchte, dass wir dort zumindest in einigen Fällen sehr signifikante Rückzahlungen, die die Banken dann an Steuerbehörden zu leisten haben, auch sehen werden. Und da müssen wir im Einzelfall gucken, ob es nur ein Ärgernis ist oder wirklich eine bedrohliche Situation für die Kapitalstärke dieser Bank oder die Kapitalausstattung dieser Bank. Aber das Thema hat hohe Bedeutung und hohe Brisanz.
Kindermann: Durch Datendiebstahl, Spionage, Sabotage entsteht der deutschen Wirtschaft jährlich ein Schaden von rund 55 Milliarden Euro, so letzte Woche der IT-Branchenverband Bitkom. Jedes zweite Unternehmen in Deutschland ist betroffen, also wohl auch die aus dem Finanzsektor. Die Frage an Sie: Haben Cyber-Attacken auf Daten und Systeme des Finanzsektors zugenommen?
Hufeld: Wir haben kein abschließendes Bild, aber das anekdotische Wissen, das wir dazu haben, bestätigt eindeutig Ihre Annahme. Ja, sie nehmen zu. Man könnte fast sagen: Ja, sie nehmen natürlich zu. Das ist, glaube ich, leider ein Fact of Life in der gesamten Wirtschaft. Wir haben daher als Aufsicht auch unsere Anforderungen dort deutlich schärfer ausgeprägt. Wir haben sogenannte bank-aufsichtliche Anforderungen an die IT-Sicherheit formuliert, die wir im Augenblick finalisieren und konsultieren. Damit sind wir ein Vorreiter in der aufsichtlichen Community. Auch Banken müssen hier sicherlich deutlich mehr Zeit, Geld und Aufwand investieren, um IT-Sicherheit auf dem bestmöglichen Stand zu haben.
Kindermann: Da werden aber viele Dienstleistungen ausgelagert in Clouds, Server …
Hufeld: Ja, völlig richtig. Das ist eine der Komplexitäten, die die diesem Thema innewohnt, mit denen wir auch ganz konkret, ich will mal sagen, zu kämpfen haben. Es gibt Fälle, wo Banken solche Outsourcing-Verträge vorhaben an bestimmte Dienstleister und wir dann von der Bank erwarten, dass in den Vertrag bestimmte Einsichts-, Informations-, und Prüfrechte unsererseits mit dem Outsourcing-Nehmer, dem Dienstleister, vereinbart werden. Da gibt es Dienstleister, die das verweigern. Das zeigt, dass wir hier noch eine deutliche Lernkurve vor uns haben, weil es nicht sein kann, dass für tausende oder abertausende von Bankkunden nur wegen eines Outsourcing-Vorfalles - egal, ob eine Cloud oder irgendwelche anderen outgesourcten Dienstleistungen - dann sozusagen alles hinter einer unsichtbaren Wand verschwindet. Das kann nicht richtig sein.
Kindermann: Herr Hufeld, letzte Frage. Sie hatten ganz früh den Berufswunsch, Feuerwehrmann zu werden, später dann Dirigent. Wie viel von beiden steckt in Ihrem jetzigen Job als oberster Finanzaufseher?
Hufeld: Ja, eigentlich bin ich beides ein Stück weit geworden. Weil ein Finanzaufseher ein bisschen auch ein Feuerwehrmann ist. Wobei, wie ich inzwischen gelernt habe, eine gute Feuerwehr auszeichnet: Ein viel größerer Teil der Feuerwehrarbeit liegt in der Prävention, in der Vermeidung von Feuern, die tunlichst nicht ausbrechen sollten. Nur: Wenn sie mal ausbrechen, muss man eben auch schnell löschen können. Auch wir als Finanzaufsicht tun genau beides. Dirigent - die BaFin ist eine große, komplexe Behörde und nicht nur als eigene Behörde und ist obendrein eingebunden in ein noch viel komplexeres Flechtwerk von europäischen Behörden, politischen Instanzen und in diesem Spielfeld aktiv zu agieren, erfordert einige Fähigkeiten, die durchaus auch wahrscheinlich einem guten Dirigenten gut zu Gesichte stünden. Insofern glaube ich, haben sich beide Berufswünsche aus der frühen Kindheit ein bisschen mit erfüllt.
Kindermann: Herr Hufeld, vielen Dank für das Gespräch.
Hufeld: Sehr gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.