Benedikt Schulz: Die Idee hinter BAföG, die ist ja ziemlich simpel: Wenn nicht genug Geld von zu Hause kriegt, der kriegt es vom Staat, damit jede und jeder seine Ausbildung machen kann. Aber natürlich hat der Staat dann auch ein Interesse daran, dass aus dieser Ausbildung – oft ist das ein Studium – auch was wird, also dass man jetzt nicht bis ins hohe Alter studiert oder wie wild die Fächer wechselt. Und konkret steht da unter anderem in den Förderrichtlinien: Wer nach dem vierten Semester das Fach wechselt, der oder die muss unabweisbare Gründe dafür vorlegen, sonst ist Schluss mit BAföG. Klingt eigentlich eindeutig. Eine Studentin der Uni Osnabrück hat dagegen aber geklagt. Das erste Gericht hat es abgewiesen, das nächsthöhere hat ihr Recht gegeben. Heute hat dann das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden, und das zeigt jetzt schon so ein bisschen, auf diesen Fall muss man ein bisschen genauer schauen.
Fall einer klagenden Studentin
Die Studentin hatte in einem Zweifachbachelor studiert und nach vier Semestern eines der beiden Fächer gewechselt. Also wie eindeutig ist diese Regelung in diesem Fall. Der Anwalt, der die Klägerin vertreten hat, das ist Wilhelm Achelpöhler aus Münster. Ich habe ihn kurz vor der Sendung erreicht auf seinem Handy – direkt nach der Verhandlung. Für den Einzelfall ist die Entscheidung heute tatsächlich noch mal vertagt worden, aber er meint trotzdem, es gibt eine grundsätzliche Entscheidung und auch einen grundsätzlichen Fortschritt. Da habe ich ihn gefragt, worin genau liegt der Fortschritt?
Wilhelm Achelpöhler: Der Fortschritt des Verfahrens liegt darin, dass es beim Zweifächerstudium häufig so war, dass bei einem Fachrichtungswechsel von den Ämtern für Ausbildungsförderung die Immatrikulationsbescheinigungen der Hochschule zugrunde gelegt worden sind. Also, im neuen Fach wird der Student nach dem Wechsel in dem beibehaltenen Fach meinetwegen ins vierte Semester eingestuft und in dem anderen Fach, dem neuen Fach, würde er ins erste Semester eingestuft. Und das führte für die Studierenden dann immer dazu, dass ihnen häufig Ausbildungsförderung verweigert wurde, weil es eben nicht in beiden Fächern eine Anrechnung von Studienleistungen gab. Und da sagt das Bundesverwaltungsgericht jetzt, es muss von den Ausbildungsstätten eine Anrechnungsbescheinigung über die Zahl der Semester vorgelegt werden, die insgesamt von dem Studium angerechnet werden, so wie das auch beim Einfachstudium der Fall ist, und unter Vorlage einer entsprechenden Anrechnungsbescheinigung können dann die Studierenden auch bei einem Zweifächerstudium leichter Ausbildungsförderung bekommen beim Fachrichtungswechsel.
Entscheidend, welche Semesterzahl insgesamt vorliegt
Schulz: Das heißt, dass man sich also Leistungen aus einem anderen Fach für das neue Fach anrechnen lässt, wenn ich das jetzt richtig verstanden habe.
Achelpöhler: Beim Zweifächerstudium ist es ja meistens so, das eine Fach wird beibehalten, da wird gar nicht groß was angerechnet. Und das andere Fach ist vielleicht neu. Da gab es bisher so eine Alles-oder-Nichts-Betrachtung. Wenn ich in einem Fach keine angerechneten Leistungen hatte, dann war das das, was für das Amt für Ausbildungsförderung maßgeblich war. Und dann wurde geguckt, wer nach den vier Semester gewechselt hatte und es gab in einem Fach keine angerechneten Leistungen, der konnte regelmäßig keine Ausbildungsförderung mehr bekommen, weil er dann einen unabweisbaren Grund brauchte. Und jetzt ist es anders, jetzt sagt das Bundesverwaltungsgericht, es muss eine Anrechnungsbescheinigung bezogen auf beide Fächer vorgelegt werden, es muss also quasi eine Betrachtung angestellt werden, in welcher Semesterzahl der Student insgesamt einzustufen wäre – und aufgrund dieser Einstufungsentscheidung ist dann zu prüfen, inwieweit ihm Leistungen des bisherigen Studiums für das neue Studium zugutekommen.
Anrechnungsbescheinigung gab es bislang nicht
Schulz: Jetzt wurde ja diese Förderrichtlinie und eben das Kriterium, dass ein unabweisbarer Grund vorliegen muss, das wurde ja jetzt nicht hinterfragt.
Achelpöhler: Genau, das wurde nicht hinterfragt. Es wurde in dem konkreten Fall nicht hinterfragt, weil solche Anrechnungsentscheidungen bezogen auf die Studiengänge nicht vorlagen, es lag eine Immatrikulationsbescheinigung vor, es lag auch ein transcript of records vor mit den Credits, die angerechnet wurden, aber es gab eben keine Anrechnungsentscheidung in dem Sinne, dass also gesagt wird, die Studentin, die ist jetzt in das dritte Fachsemester einzustufen. Eine solche Anrechnungsbescheinigung gab es nicht, da sagt das Bundesverwaltungsgericht, die ist aber erforderlich. Eine solche Bescheinigung, die können auch die Studenten beanspruchen gegenüber ihrer Ausbildungsstätte. Und diese Anrechnungsentscheidung müssen sie dann beim Amt für Ausbildungsförderung vorlegen. Solche Entscheidungen sind bisher von den Hochschulen nicht ausgestellt worden, und das Bundesverwaltungsgericht vertritt jetzt die Auffassung, dass es einen solchen Anspruch auf Ausstellung einer solchen Bescheinigung gäbe. Und das ist der Fortschritt für die Studierenden, weil es damit jetzt einen Weg gibt, wie man bei einem Zweifächerstudium leichter Ausbildungsförderung bei einem Fachrichtungswechsel bekommen kann.
Schulz: Ich wollte Sie fragen, wer jetzt in der Pflicht ist, die Studierenden oder die BAföG-Ämter?
Achelpöhler: Die Studierenden sind in der Pflicht. Wer also ein Zweifächerstudium wechselt, tut gut daran, unter Bezugnahme auf diese Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts von seiner Ausbildungsstätte eine Anrechnungsentscheidung zu beantragen, in welches Semester er jetzt insgesamt einzustufen ist. Und unter Vorlage dieser Bescheinigung beantragt er dann BAföG und hat dann durchaus Aussichten, dass der Fachrichtungswechsel viel leichter genehmigt wird und er für sein weiteres Studium BAföG bekommt. Das ist der Fortschritt der Entscheidung.
Erstmalige Entscheidung des BVerfG
Schulz: Jetzt ist das ganze ein individueller Fall, ein Einzelfall, auch weil bei der Studentin ja offenbar auch mehr Leistungen in einem Fach eben vorlagen. Geht denn trotzdem eine Signalwirkung davon aus, kann das Ganze ein Präzedenzfall werden?
Achelpöhler: Es ist das erste Mal, das ist eigentlich sehr wunderlich, dass es also seit vielen Jahren solche Fragen, die ja sehr, sehr viele Studierende in Lehramtsstudiengängen betreffen, erstmals vom Bundesverwaltungsgericht entschieden wird, deshalb wird es auch eine Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts zu dem Fall geben. Das ist also ein echter Fortschritt für die Studierenden in diesen Mehrfachstudiengängen.
Schulz: Herr Achelpöhler, danke schön!
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