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"Bagatellschwelle ist auf alle Fälle überschritten"

Der Dortmunder Wirtschaftsprofessor und Plagiatsexperte Uwe Kamenz wirft dem SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier Unsauberkeiten in seiner Doktorarbeit vor. Er sagt, dass die Indizien ausreichen, um den Doktortitel abzuerkennen. Letztlich sei dies aber die Entscheidung der Hochschule.

Uwe Kamenz im Gespräch Manfred Götzke |
    Manfred Götzke: Don't kill the messenger, töte nicht den Überbringer der schlechten Nachricht, heißt es so unschön. Genau das scheint jetzt aber beim Dortmunder BWL-Professor Uwe Kamenz zu passieren. Der hat ja die Plagiatsvorwürfe gegen Steinmeier erhoben. Nicht nur der SPD-Politiker Steinmeier selbst, sondern auch Kollegen aus der Wissenschaft haben ihn und sein Prüfverfahren scharf kritisiert. Bei Steinmeiers Arbeit kommt die Software, seine Software auf den präzisen Wert Plagiatswahrscheinlichkeit 63 Prozent. Ich hab Uwe Kamenz vor der Sendung gefragt, wie dieser ominöse Wert überhaupt zustande kommt.

    Uwe Kamenz: Ja, es ist so, dass wir ja eine Computersoftware einsetzen, die eben eine Dissertation mit anderen Dokumenten vergleicht. Zum einen suchen wir diese Dokumente eben über Suchmaschinen, oder dann, gerade bei so älteren Arbeiten wie bei Herrn Steinmeier eben, indem wir tatsächlich diese Dokumente über Fernleihe bestellen, einscannen und dann vergleichen. Und in diesem Fall haben wir es gemacht, und die Software hat eben über 400 Stellen gefunden, die eben in diesen Dokumenten gleich sind, und hat eben diese Stellen dann auch interpretiert. Und so kommt eben diese Zahl von über 400 zustande.

    Götzke: Nun kritisieren ja einige Plagiatsexperten, ich sag mal, die Interpretation Ihrer Software, zum Beispiel die Berliner Professorin und Plagiatsexpertin Debora Weber-Wulff. Sie hat sich Ihren Bericht ja auch angeguckt und sieht da Ungereimtheiten, beispielsweise Stellen mit einer Einzelplagiatswahrscheinlichkeit von null Prozent, die dann aber als Plagiat ausgewiesen sind. Was sagen Sie dazu?

    Kamenz: Ja, dann hat die Frau Weber-Wulff sich den Report nicht richtig angeguckt. Vereinfacht ausgedrückt, versucht der Computer eben, diese gefundenen Stellen zu interpretieren. Und so kommt eben in dem Fall diese Wahrscheinlichkeit heraus, weil ja sowohl der Prüfer wie auch der Student sehr schnell erkennen kann, hab ich da etwas verkehrt gemacht, und wenn ja, wie schlimm ist das? Das ist so die Idee dieser Software. Und wenn da null Prozent unten steht, ja dann sagt unser Computer, da gibt es eigentlich quasi kein Plagiat. Trotzdem ist es eine gleiche Stelle, die eben der Prüfer oder die Öffentlichkeit oder der Student sehen sollte, damit er mal genauer sich das angucken kann.

    Götzke: Haben Sie denn selbst überhaupt interpretiert oder nachgeschaut, was Ihre Software herausgefunden hat?

    Kamenz: Bei dem Fall Steinmeier wie bei anderen prominenten Fällen ist natürlich klar, dass ich mir den Prüfbericht auch anschaue, bevor ich ihn veröffentliche. Das ist ja dann wohl auch eine Selbstverständlichkeit. Und deswegen sage ich ja auch in der Öffentlichkeit, dass die Plagiatsindizien alle Fälle ausreichen. Und vor allen Dingen, wenn man sich anguckt, dann sind ja auch dort sehr deutliche Plagiate zu erkennen. Dass man eben dem Herrn Steinmeier den Doktortitel aberkennen kann, aber natürlich nicht muss. Weil das liegt natürlich in der Entscheidung der jeweiligen Hochschule, aber die Indizien sind eindeutig, so diese sogenannte Bagatellschwelle ist auf alle Fälle überschritten.

    Götzke: Der Berliner Plagiatsexperte und Jurist Gerd Dannemann, der spricht von lässlichen Sünden.

    Kamenz: Der Herr Dannemann hat ja eine Vorabversion bekommen, und dort war ja eine geringe Anzahl von Plagiatsindizien. So, und wenn Sie sich natürlich die Indizien, alle 400, angucken, dann wird man natürlich dort auch jede Menge Indizien finden, wo man sagt, das ist ja jetzt nicht so schlimm. Nur, ich bin mir sicher, dass, wenn der Herr Dannemann sich jetzt eben die wirklich krassen Fälle in dieser Arbeit anguckt, wird er nicht mehr heute etwas Ähnliches sagen.

    Götzke: Können Sie vielleicht mal einen krassen Fall nennen?

    Kamenz: Na ja, der krasseste Fall ist ja, dass er ein Eigenplagiat hat, das heißt, er hat vor der Publikation seiner Dissertation eben in einer Tagung mit einem Kollegen zusammen eben dort eine Publikation getätigt, und die hat er eben größtenteils übernommen, und auch dort die Anführungszeichen vergessen.

    Götzke: Der "Focus" ist Sponsor der Plagiatsanalysen, die Sie mit einer privat entwickelten Software als Erster veröffentlichen. Sehen Sie da keinen Interessenkonflikt?

    Kamenz: Also es ist ja so: Wir wollen ja Plagiate abschaffen. Leider interessiert sich in Deutschland keine Hochschule und kein Minister und leider auch die Medien nicht für den Betrug an den Hochschulen. Das sind ja immerhin zehn Prozent aller Doktoren, aller Prüfungsarbeiten –

    Götzke: Wir berichten sehr häufig darüber!

    Kamenz: Gut, dann habe ich das jetzt nicht so mitgekriegt. Und die Politiker, die zum Beispiel nicht plagiiert haben, dort hat auch in den großen Medien keiner drüber berichtet. So, deswegen müssen wir leider eben gerade eben die plagiierenden Politiker leider in die Öffentlichkeit reinbringen, damit das ein Thema ist und damit wir irgendwann eben dann die Personen, also das heißt, die Hochschulen oder die Minister das Geld bereitstellen, um eben flächendeckend zu analysieren. Da das nicht der Fall ist, müssen wir unsere Kosten eben mit irgendwelchen Patenschaften, Sponsoren und Ähnliches decken. Und der Focus hat uns nur finanziell unterstützt bei der Beschaffung von Vergleichsdokumenten für eben etwa 20 aktuelle Politiker. Nur dadurch war es für uns möglich, in dem Fall diese Vergleichsdokumente für den Steinmeier zu besorgen. Aber grundsätzlich gebe ich Ihnen recht, wir wollen nicht gesponsort werden. Nach unserer Meinung wäre es besser, die zwei notwendigen Doktorandenstellen, weil dafür reicht es, für ganz Deutschland alle kostenfrei zu analysieren, dass dort eben, dass die Frau Wanka oder irgendein anderer Minister die Gelder bereitstellt.

    Götzke: Herr Kamenz, Sie haben vor knapp zwei Jahren angekündigt, die Doktorarbeiten von 1000 Politikern zu überprüfen, um das Thema auch weiterhin in die Öffentlichkeit zu bringen. Wie weit sind Sie jetzt?

    Kamenz: Wir haben ein Ranking von 600 Politikern. Aber auch dort, wir werden dieses Ranking demnächst publizieren, aber bei den meisten Arbeiten fehlt uns ja eine genügende Anzahl von Vergleichsdokumenten. Allein übers Internet zu suchen, reicht nicht, weil diese Arbeiten ja in der Regel älter sind, sodass die Vergleichsdokumente nicht da sind. Deshalb haben wir uns da bisher zurückgehalten. Was wir aber auf jeden Fall machen, das wird schon in dieser oder nächster Woche der Fall sein, dass wir bei den aktuell promovierten Bundestagsmitgliedern, das sind 120 – dieses Ranking werden wir publizieren und eben alle Bürger auffordern, uns dabei zu unterstützen, genügend Vergleichsdokumente herbeizuschaffen, damit wir da ein ordentliches Ranking haben.

    Götzke: Was meinen Sie mit Ranking? Ein Plagiate-Ranking? Also, wer am schlimmsten plagiiert hat, steht ganz oben, oder wie muss ich mir das vorstellen?

    Kamenz: Genau. Und man kann und sollte aber auch ans Ende gucken, weil 90 Prozent werden ja wahrscheinlich nicht plagiiert haben. Und auch das wird natürlich darüber erstmalig dokumentiert. Zum Beispiel, dass Herr Hofreiter, Frau Hendricks, das sind ja auch so Prominente im Augenblick, die haben nicht plagiiert. Also das darf man ja nicht vergessen, dass wir immer alle analysieren nach der gleichen Methode und auch sagen, die Mehrheit ist in Ordnung, die Mehrheit hat nicht plagiiert.

    Götzke: Wer sollte seine Arbeit jetzt schon mal vorsichtshalber aus dem Regal nehmen und mal reingucken?

    Kamenz: Na gut, das ist jetzt zu spät, weil in diesem Fall würde das nichts mehr nützen. Das kann ja nur bei den Politikern sein, die demnächst in die Öffentlichkeit reingehen. Wenn ich jetzt einen Namen nenne, dann muss ich ja gleichzeitig den Prüfbericht publizieren. Und genau wie bei dem Fall Steinmeier gucke ich mir die natürlich vorher an.

    Götzke: Diese Woche dürften also noch einige Bundestagsabgeordnete zittern. Der Plagiate-Jäger Uwe Kamenz von der FH Dortmund war das, danke!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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    Vorwurf der Täuschung gegen Steinmeier - Dissertation von 1991 unter Plagiatsverdacht