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Bahaitum
Die Religion der Einheit

In Deutschland leben zwar nur rund 6.000 Bahá’i, doch die Religionsgemeinschaft ist den großen Kirchen rechtlich weitgehend gleichgestellt. Ihre Mitglieder sind besonders stark im interreligiösen Dialog engagiert und streben die Einheit der Menschheit an.

Von Christian Röther |
Die Teilnehmer einer Andachtsversammlung der Bahai-Gemeinde in Mainz legen ihre Hände zum Bahai-Symbol zusammen.
Der neunzackige Stern symbolisiert bei den Bahai Vollkommenheit und Einheit (imago stock&people / epd-bild / Andrea Enderlein)
"Wir glauben nicht, dass man Religion einfach so von seinen Eltern übernimmt, sondern dass man sich eben auch bewusst für eine Religion entscheiden soll. Das heißt, man kann gar nicht Bahá’i werden offiziell, bevor man 15 Jahre alt ist", sagt Marie Hoerster.
Sie ist Bahá’i. Die Studentin ist in Münster aufgewachsen, in einer gemischt-religiösen Familie: die Mutter Katholikin, der Vater Bahá’i. "Dann habe ich mich mit 14 sehr intensiv damit auseinandergesetzt, auch mit verschiedenen Religionen auseinandergesetzt", berichtet sie. "Und dann war aber für mich klar: Es gibt keinen Zweifel - also, dass ich an Bahāʾullāh glaube und dass das die Religion ist, der ich angehöre."
Marie Hoerster
Marie Hoerster (Deutschlandradio / Christian Röther)
"Wir glauben, dass es immer neue Offenbarer gibt"
Bahāʾullāh ist der Stifter des Bahaitums. Er kam 1817 in Teheran zur Welt und lebte erst im Iran, dann an verschiedenen Orten im Osmanischen Reich. 1863 erklärte er in Bagdad, er sei ein neuer Gesandter Gottes mit einer neuen Offenbarung. Bahāʾullāh, das heißt aus dem Arabischen übersetzt: die Herrlichkeit Gottes.
Reihe "Wir sind die Sonstigen - kleine Religionen in Deutschland"
In Deutschland leben Christinnen und Christen, Konfessionslose und Religionsfreie, Muslime und Jüdinnen, Buddhistinnen und Hindus. Und "Sonstige". So werden kleinere Religionsgemeinschaften in Statistiken oft bezeichnet. Doch wer verbirgt sich dahinter? Wir haben Drusen und Jainas getroffen, ein daoistisches Zentrum und einen Sikh-Tempel besucht, mit Mandäern, Jesidinnen und Bahá’i gesprochen – und nach langer Suche sogar jemanden gefunden, der sein Leben am Shintoismus ausrichtet.
Die Bahá’i-Religion ist im islamischen Kontext entstanden. Im schiitischen Islam warten die Muslime darauf, dass der legendäre verborgene Imam zurückkehrt – eine messianische Figur. Und für manche erfüllte sich diese Prophezeiung durch Bahāʾullāh – der Anfang der Bahá’i-Religion.
"Wir glauben, dass es immer neue Offenbarer gibt", erklärt Marie Hoerster. "Wir sagen 'Manifestationen Gottes'. Weil sich die Menschheit ja verändert. Also wir leben nicht - oder die Menschheit lebt nicht so, wie sie vor 2.000, 3.000, 4.000 Jahren gelebt hat. Gott begleitet die Menschheit eben auf ihrem Weg, und deshalb glauben wir, dass so ungefähr alle 1.000 Jahre eine neue Manifestation Gottes kommt."
Die Decke des Baha'i-Tempels in Hofheim-Langenhain im Taunus - das einzige religiöse Zentrum der Baha'i-Religion in Europa
Woran glauben Bahá’i?
Die Bahá’i-Religion ist geprägt von der Vorstellung, dass es immer neue Offenbarungen gibt. So glauben die Bahai an Moses, Jesus und Muhammad, aber ihr wichtigster Offenbarer ist Bahāʾullāh (1817-1892). Er ist der Stifter des Bahaitums und gilt in der Religion als der bislang letzte Gesandte Gottes. Die Bahá’i-Religion ist monotheistisch und will alle anderen Religionen sowie die Menschheit vereinen.

Wo wird das Bahaitum praktiziert?
Entstanden ist die Religion im Iran und in angrenzenden Regionen. Im Iran sind die Bahá’ibis heute die größte religiöse Minderheit, können ihre Religion aber nicht frei praktizieren. Inzwischen leben die rund acht Millionen Bahá’iauf der ganzen Welt verteilt. Sie haben auf jedem Kontinent "Häuser der Andacht" errichtet, was den Anspruch unterstreichen soll, eine universelle Religion für die gesamte Menschheit zu sein. Das europäische Haus der Andacht steht im Taunus in der Nähe von Frankfurt. In Deutschland leben rund 6.000 Bahá’i.

Wofür ist das Bahaitum bekannt?
Auf einer Rundreise durch Israel dürfen für viele Menschen die imposanten Bahá’i-Gärten in Haifa nicht fehlen. Hier, am Berg Karmel, befindet sich das Weltzentrum der Bahá’i, da Bahāʾullāh gezwungen war, seine letzten Lebensjahre in dieser Region zu verbringen, die damals zum Osmanischen Reich gehörte.
"Den Weltfrieden erreichen"
Das bedeutet: Die Bahá’i lehnen die Propheten und heiligen Persönlichkeiten vieler anderer Religionen nicht ab – im Gegenteil: "Wir glauben an Jesus, wir glauben an Mohammed, wir glauben an Moses, wir glauben an Buddha, an Krishna", sagt Marie Hoerster. Die Bahá’i nutzen auch Gebete, Lieder und Schriften anderer Religionen. Aber bei ihnen kommt eben noch eine neue Offenbarung hinzu, die für sie am wichtigsten ist – die Offenbarung Bahāʾullāhs: "Die zentrale Botschaft, die er vermittelt hat, ist, dass nun die Zeit gekommen ist, wo die Menschheit die Einheit erreichen kann - und die Einheit der Menschheit und den Weltfrieden erreichen kann."
Deutschland gibt es 6.000 Bahá’i
Ihre islamischen Ursprünge prägen die Bahá’i-Religion bis heute: Sie ist streng monotheistisch, es gibt einen Fastenmonat und tägliche Pflichtgebete. Doch schnell entwickelten sich die Bahá’i zu einer eigenständigen Religionsgemeinschaft.
Schon seit 1907 gibt es auch Bahá’i-Gemeinden in Deutschland. Ihr wichtigstes "Haus der Andacht" steht im Taunus bei Frankfurt. Inzwischen sind die Bahá’i sogar anerkannt als Körperschaft des öffentlichen Rechts, und damit den großen christlichen Kirchen rechtlich weitgehend gleichgestellt. In Deutschland leben heute rund 6.000 Bahá’i, sie bilden rund 150 Gemeinden.
Die Zwillingsoffenbarung in der Bahá’i-Religion
Der Báb, ihr Wegbereiter der Bahá’i, stellt den islamischen Klerus infrage und kündigt einen Erlöser an. Er und viele seiner Anhänger wurden getötet. Unter den Überlebenden, glauben die Bahá’i, war Baha'u'llah der Verheißene selbst.
Marie Hoerster gehört inzwischen der Bahá’i-Gemeinde in Hannover an. Hier studiert sie Medizin. Die Gemeinde hat rund 50 Mitglieder, zu ihnen zählt auch Ali Faridi. Wie Marie Hoerster kam auch er zum Studium nach Hannover. Das ist inzwischen allerdings schon über 50 Jahre her. Ali Faridi stammt aus dem Iran, aus einem muslimischen Elternhaus. Doch kurz bevor er nach Deutschland ging, wurde er Bahá’i: "Als ich nach Deutschland kam, gab es eine doch relativ lebendige Bahai-Gemeinde sogar in Hannover. Es war auch nicht kleiner als jetzt."
"Die Bahá’i-Religion wurde im Iran immer abgelehnt"
Dass sich die Bahá’i-Gemeinden in Deutschland so frei entfalten können, ist ein Unterschied zum Iran. Der Iran ist das Ursprungsland der Bahá’i, sie sind dort die größte religiöse Minderheit. Doch von Teilen der muslimischen Mehrheit wurden und werden sie als Abtrünnige betrachtet. Ali Faridi: "Die Bahá’i-Religion wurde im Iran immer abgelehnt, unterdrückt, missachtet. Und teilweise auch geduldet."
Bahá’i gibt es inzwischen auf allen Kontinenten, insgesamt sind es etwa acht Millionen Menschen. Wenn man ihn fragt, wie er die Bahá’i beschreiben würde, dann hat Ali Faridi eine ganz einfache Antwort: "Die Bahá’i setzen sich für eine bessere Welt ein."
Ali Faridi
Ali Faridi (Deutschlandradio / Christian Röther)
"Die Einheit der Menschheit ist eigentlich schon da"
Sie betonen Werte wie Bildung, soziale Gerechtigkeit und die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Außerdem ist im Bahaitum die "dreifache Einheit" sehr wichtig: die Einheit Gottes – es gibt also nur einen Gott für alle Menschen, die Einheit der Offenbarungen – von Abraham bis Bahāʾullāh, und die Einheit der Menschheit.
"Die Einheit der Menschheit ist eigentlich schon da, weil sie eben in der Schöpfung angelegt ist. Aber das Bewusstsein dafür ist noch nicht vorhanden. Da muss noch einiges geschehen."
Und die Bahá’i wollen daran mitwirken, dass die Menschheit sich als Einheit begreift und friedlich miteinander umgeht. Deshalb engagieren sie sich auch besonders stark im interreligiösen Dialog. Ali Faridi nennt den Austausch mit anderen Religionen sogar eine religiöse Pflicht für die Bahá’i: "Ohne Bahá’i wäre der interreligiöse Dialog in Hannover nicht dort, wo er heute ist."
Symbolbild: Ernährung 
Neue Studie - Bahá’i-Fasten bringt's
Immer im März verzichten Bahá’i vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang auf Essen und Trinken. Eine Studie besagt, die Intervall-Diät habe wegen ihrer Regelmäßigkeit noch positivere Effekte als das Ramadan-Fasten.
"Wir haben keine Priester"
Das haben andere über die Bahá’i gesagt, und Ali Faridi nimmt das Kompliment gerne an. Zugleich trennt die Bahá’i aber auch etwas von den meisten anderen Religionen: Es gibt keine Geistlichen. "Wir haben keine Priester, aber das bedeutet nicht, dass die Bahá’i irgendetwas gegen Priestertum hätten", sagt Ali Faridi. "Die Bahá’i sind der Auffassung, dass in der jetzigen Zeit die Menschen alle soweit sind, dass sie eben nicht unbedingt darauf angewiesen sind."
Die Bahá’i-Gemeinden werden von sogenannten "Geistigen Räten" geleitet. Die setzen sich aus neun Personen zusammen. In Hannover gehörte Ali Faridi 30 Jahre lang diesem Rat an. Doch in die religiösen Feste können sich alle Gemeindemitglieder einbringen.
Ali Faridi: "Ein weiterer Gedanke der Bahá’i ist eben, dass der Verstand die wichtigste Gabe Gottes für die Menschheit ist. Und dadurch sind alle Menschen in unserer Zeit dazu befähigt, nach Wahrheit zu suchen und das auch zu finden."
"Jeder kann seine eigenen Gedanken ausdrücken"
Vielleicht wirkt das Bahá’i-Haus in Hannover auch deshalb ziemlich nüchtern: ein ehemaliges Wohnhaus, nur ein einziges religiöses Symbol sieht man im Eingangsbereich – das sogenannte "Ringsymbol" der Bahá’i aus kunstvollen arabischen Schriftzeichen.
Und auch, wann sich die Gemeinde hier trifft, ist ungewöhnlich im Vergleich zu anderen Religionen: Denn die Bahá’i unterteilen das Jahr in 19 Monate mit jeweils 19 Tagen. Und immer zu Beginn eines neuen Monats feiern sie das "Neunzehntagefest", so Ali Faridi und Marie Hoerster, die derzeit dem Geistigen Rat der Bahá’i in Hannover angehört.
Marie Hoerster: "Da kommt die Gemeinde zusammen und betet gemeinsam. Berät über die Angelegenheiten in der Gemeinde. Hat einen geselligen Teil im Anschluss, wo gemeinsam gegessen wird, sich gemeinsam auch über verschiedene geistige Themen ausgetauscht wird."
Ali Faridi: "Wenn wir Schriften lesen, diskutieren wir auch darüber. Aber da ist nicht jemand, der bestimmt, was hier gesagt wurde. Also jeder kann seine eigenen Gedanken ausdrücken, aber die sind eben nicht für die anderen bindend."