Kirchner forderte ein Angebot, das auf die Forderungen der EVG nach sechs Prozent mehr Lohn eingeht. Für ihn sei außerdem eine soziale Komponente unabdingbar, sagte er im Deutschlandfunk. Verhandlungen seien immer geprägt von einem Entgegenkommen beider Seiten.
Der konkurrierenden Lokführergewerkschaft GDL warf Kirchner vor, die Tarifgespräche durch ihr Streben nach Macht zu erschweren. Die GDL sei an einer Zusammenarbeit nicht interessiert und verweigere sich. Dies sorge in der Belegschaft für eine Polarisierung und Spaltung. Die Deutsche Bahn spricht heute nacheinander mit den Gewerkschaften und will beiden ein Angebot vorlegen. "Am heutigen Tag werden wir noch nicht so weit sein, dass wir uns einigen", sagte Kirchner.
Das Interview in voller Länge:
Christoph Heinemann: In vier Stunden und zwölf Minuten hat Alexander Kirchner einen Termin, dessen Folgen Millionen Menschen in diesem Land zu spüren bekommen könnten. Der Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft verhandelt mit der Bahn über die Löhne der EVG-Mitglieder. Sechs Prozent mehr Lohn, mindestens 150 Euro mehr pro Monat, das fordert die EVG, und mit Blick auf die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer keine konkurrierende Tarifregelung für eine Berufsgruppe. Letzteres sieht auch die Bahn so. Für die gleichen Berufsgruppen sollen gleiche Ergebnisse vereinbart werden. Aber da gibt es ja noch den Herrn Weselsky, den Chef der Lokführergewerkschaft GDL.
Die Wirtschaft warnt, schon jetzt seien die jüngsten Streiks ein Bremsklotz für die Konjunktur. Das sagt der Geschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages Wansleben heute in der "Bild"-Zeitung. - Am Telefon ist jetzt Alexander Kirchner, der Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft. Guten Morgen.
Alexander Kirchner: Guten Morgen.
Heinemann: Herr Kirchner, der Druck ist hoch. Sind Sie nervös?
Kirchner: Nein, eigentlich nicht. Wir haben eine Forderung und erwarten heute ein Angebot. Das ist ein ganz normaler Vorgang. Von daher ist kein hoher Druck jetzt zu spüren und keine Nervosität.
Heinemann: Wer ist in diesem Tarifkonflikt eigentlich Ihr Gegner?
Kirchner: Ach, ein Gegner - - Ich bin immer noch davon überzeugt, dass es vernünftig ist, am Verhandlungstisch sozialpartnerschaftlich damit umzugehen und jeweils die Forderungen abzugleichen mit dem, was der Arbeitgeber will und das nicht als Gegnerschaft zu sehen.
Die GDL verweigert sich
Heinemann: Das hat ja am Dienstag nicht geklappt. Warum nicht?
Kirchner: Deshalb nicht, weil es kein gemeinsames Verständnis darüber gibt, wie man für die Beschäftigten eines Unternehmens wie die Bahn am sinnvollsten gemeinsam Verhandlungen führt.
Wir sind weiterhin der Meinung, dass es falsch ist, die Beschäftigten zu spalten, zu trennen und für ein und die gleiche Tätigkeit unterschiedlich zu bezahlen. Wir hätten gern mit der GDL das gemeinsam gemacht; sie verweigert sich dort.
Wir sind weiterhin der Meinung, dass es falsch ist, die Beschäftigten zu spalten, zu trennen und für ein und die gleiche Tätigkeit unterschiedlich zu bezahlen. Wir hätten gern mit der GDL das gemeinsam gemacht; sie verweigert sich dort.
"Wir verhandeln für alle Beschäftigten"
Heinemann: Müssen Sie die GDL mehr fürchten als die Bahn?
Kirchner: Nein, das tun wir nicht, die GDL fürchten. Letztendlich ist die GDL eine Interessensvertretung für einen kleinen Teil der Beschäftigten. Wir verhandeln für alle Beschäftigten und das sind weitaus mehr als nur die Lokführer und die Zugbegleiter, die natürlich eine wichtige Gruppe darstellen. Und selbst bei den Zugbegleitern ist die weitaus größere Mehrheit der Mitglieder dort, der Beschäftigten auf der Seite der EVG.
Heinemann: Herr Kirchner, ist die Bahn in einer besseren Verhandlungsposition? Sie kann ja beide Gewerkschaften gegeneinander ausspielen.
Kirchner: Ja, sie kann zwar beide Gewerkschaften gegeneinander ausspielen, aber gleichzeitig hat der Konflikt ja gezeigt, dass das auch für das Unternehmen schwierig ist, wenn dort beide Gewerkschaften nicht am gleichen Strang ziehen.
Ich glaube, das geht nur begrenzt, gegeneinander ausspielen. Eher wird es schwieriger, weil letztendlich durch diese parallelen Verhandlungen, die jetzt durchgeführt werden, die Schwierigkeit entsteht, damit nicht die Tarifeinheit zu erhalten.
Ich glaube, das geht nur begrenzt, gegeneinander ausspielen. Eher wird es schwieriger, weil letztendlich durch diese parallelen Verhandlungen, die jetzt durchgeführt werden, die Schwierigkeit entsteht, damit nicht die Tarifeinheit zu erhalten.
Heinemann: Wie bewerten Sie die Chancen für eine Einigung?
Kirchner: Am heutigen Tag, glaube ich, werden wir noch nicht so weit sein, dass wir uns einigen. Wir hoffen, dass wir jetzt endlich auch mal von der Arbeitgeberseite ein konkretes Angebot auf unsere Sechs-Prozent-Forderung und mindestens 150 Euro Erhöhungsbetrag bekommen. Das war in den ersten beiden Runden nicht möglich beziehungsweise da hatten wir kein Angebot bekommen. Und dann werden wir wohl in der Sache noch auch über Detailfragen verhandeln müssen. Wir haben ja auch für andere Berufsgruppen noch spezifische Forderungen.
Heinemann: Wo werden Sie der Bahn und wo der GDL entgegenkommen?
Kirchner: Verhandlungen und Ergebnisse sind immer geprägt von Entgegenkommen auf beiden Seiten. Das wird davon abhängen, was jetzt auch die Bahn uns vorlegt.
Für uns ist unabdingbar, dass wir eine Erhöhung bekommen, die tatsächlich auch eine soziale Komponente für die Beschäftigten beinhaltet. Da gibt es aus unserer Sicht kein Entgegenkommen. In den anderen Fragen muss man sich das anschauen, was jetzt dort konkret vorgebracht wird von der Bahn.
Heinemann: Eine soziale Komponente möchte ja auch die GDL erreichen, Stichwort Wochenarbeitszeit. Wenn die GDL das für die Beschäftigten bessere Ergebnis jetzt erhandeln würde, wären Sie dann bereit, dieses Ergebnis anzuerkennen?
Kirchner: Eine Wochenarbeitszeitverkürzung, so wie die GDL das fordert, ist keine soziale Komponente. Eine soziale Komponente ist, wenn für eine Berufsgruppe, für Beschäftigte, die im unteren Lohnsegment sind, mehr herauskommt als für Beschäftigte, die im oberen Lohnsegment sind. In den letzten Jahren war es so, dass wir mit unseren Tarifabschlüssen oberhalb der Abschlüsse der GDL uns bewegt haben.
Es gibt keinen Grund für uns zu erwarten, dass das in dieser Tarifrunde anders sein wird.
Wir warten auf ein Angebot der Bahn
Heinemann: Herr Kirchner, warum drohen Sie jetzt schon mit Streik?
Kirchner: Wir haben mit Streik gedroht für den Fall, dass der Arbeitgeber in dieser Runde sich nicht bewegt und uns kein verhandlungsfähiges Angebot macht. Das ist ein ganz normales Verhandlungsprozedere, dass der Arbeitgeber irgendwann ja mal am Verhandlungstisch auch ein konkretes Angebot zur Lohnforderung macht. Und wenn man am Verhandlungstisch nicht mehr weiterkommt, dann gibt es nur noch die Möglichkeit, über Warnstreiks letztendlich Druck auf den Arbeitgeber auszuüben. Deshalb warten wir ab. Er hat angekündigt, heute uns ein Angebot zu machen, und wir werden das dann bewerten und entscheiden, wie wir weiter vorgehen.
Heinemann: Müssen Sie der GDL alles nachmachen?
Kirchner: Nein. Das haben wir nicht gemacht in der Vergangenheit und auch jetzt in dieser Tarifrunde haben wir das nicht gemacht. Wir haben weder uns ihre Forderung zur Grundlage genommen, um eine andere zu stellen, die höher ist als sie, denn die GDL hat ein ganz anderes Forderungspaket, und wir haben uns nicht treiben lassen, was die Streiks anbelangt. Wir fahren unsere Tarifrunde und mit unseren Forderungen und schauen nicht nach der GDL.
Heinemann: Würden Sie mögliche Streiks mit der GDL koordinieren?
Kirchner: Ja, das wäre zwar sinnvoll. Aber da die GDL an einer Zusammenarbeit oder auch an einer Abstimmung in der Tarifrunde nicht interessiert ist und sich dort verweigert, sehe ich auch keine Möglichkeit, das mit der GDL abzustimmen.
GDL will Machtbereich ausdehnen
Heinemann: Was heißt hier verweigern? Herr Weselsky hat Ihnen angeboten, die Machtbereiche im Konzern abzugrenzen. Die GDL würde sich demnach auf den Eisenbahnbetrieb beschränken und nicht bei der Netztochter aktiv werden. Also ein Angebot ist da, die GDL bewegt sich. Können Sie das annehmen?
Kirchner: Das ist ja kein Bewegen. Sie möchte für einen Bereich zuständig sein, wo sie nachweislich nicht die Mehrheit der Mitglieder hat. Wir haben ihr angeboten zu sagen, lasst uns das gemeinsam machen und jeweils die Mehrheit der Beschäftigten einer Berufsgruppe, ob Lokführer, Zugbegleiter entscheiden, was gefordert wird, wie verhandelt wird und was auch hinterher gemeinsam abgeschlossen wird.
Dazu ist sie nicht bereit und möchte einfach nur ihren Machtbereich ausdehnen, und das ist Unsinn. Die Mehrheit der Zugbegleiter hat sich entschieden, bei uns Mitglied zu sein, und deshalb vertreten wir die.
Dazu ist sie nicht bereit und möchte einfach nur ihren Machtbereich ausdehnen, und das ist Unsinn. Die Mehrheit der Zugbegleiter hat sich entschieden, bei uns Mitglied zu sein, und deshalb vertreten wir die.
Es könnte alles viel sinnvoller und einfacher für alle Beschäftigten sein
Heinemann: Geht Claus Weselsky Ihnen eigentlich auf die Nerven?
Kirchner: Ach ja, was heißt auf die Nerven? Es ist anstrengend, immer wieder mit ihm und diesen Sachverhalt diskutieren zu müssen, und es führt letztendlich auch in der Belegschaft zu einer gewissen Polarisierung und Spaltung. Das ist das Schlimme dabei. Dass man sich damit auseinandersetzt, gehört zum Job, sage ich mal, aber es könnte alles viel sinnvoller und einfacher für alle Beschäftigten sein.
Heinemann: Herr Kirchner, wäre es aus Gewerkschaftssicht nicht eine Bankrotterklärung, wenn der Gesetzgeber künftig die Zuständigkeiten konkurrierender Gewerkschaften regulierte?
Kirchner: Das sehen wir auch so. Dass der Gesetzgeber dann irgendwann einschreitet, wird letztendlich die Gewerkschaften nicht stärken, sondern eher schwächen. Deshalb haben wir auch in dieser Woche noch mal auch der GDL angeboten zu sagen, selbst wenn es eine gesetzliche Regelung gibt, schlagen wir vernünftige, abgestimmte und in einer fairen Kooperation geführte Verhandlungen für den besseren Weg vor, und warten mal ab, ob irgendwann vielleicht die GDL wirklich sieht, dass es der bessere Weg ist, als dass der Gesetzgeber dann Vorgaben macht.
Heinemann: Alexander Kirchner, der Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Kirchner: Vielen Dank auch. Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.