- Wird es einen Streik geben?
- Was ist, wenn die Reise mit der Bahn schon gebucht wurde?
- Wie überraschend war das Scheitern der Tarifverhandlungen bei der Deutschen Bahn?
- Was waren die Forderungen der Eisenbahnergewerkschaft?
- Kann die Bahn überhaupt auf die Forderungen eingehen?
- Welche Rolle spielt die Konkurrenz der Gewerkschaften EVG und GDL?
Wird es einen Streik bei der Bahn geben?
Nach dem Scheitern der Tarifverhandlungen mit der Deutschen Bahn hat der Bundesvorstand der Eisenbahnergewerkschaft EVG am 22. Juni in Berlin beschlossen, die Mitglieder in einer Urabstimmung darüber entscheiden zu lassen, ob gestreikt werden soll. Somit ist ein unbefristeter Streik möglich. Sollten die Mitglieder der Eisenbahn und Verkehrsgewerkschaft für einen unbefristeten Streik stimmen, wäre es der größte Arbeitskampf der EVG seit rund 30 Jahren. Für einen Streik sind laut Gewerkschaftssatzung 75 Prozent Zustimmung notwendig.
Die Organisation der Urabstimmung wird einige Wochen in Anspruch nehmen. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass die EVG in dieser Zeit schon mit befristeten Warnstreiks Druck auf die Arbeitgeberseite ausüben wird. Aber auch zu neuen Verhandlungen sei die Gewerkschaft bereit, hieß es.
Für viele Bahnreisende ist das ein kniffliger Zeitpunkt, denn derzeit beginnen vielerorts die Sommerferien. Viele haben bereits Fahrkarten für die Bahn. Der Fahrgastverband Pro Bahn rechnet vor allem in den Ferien wegen des Deutschland-Tickets mit vollen Bahnen. Nun bleibt ungewiss, ob die Züge überhaupt fahren werden.
Was ist, wenn die Reise mit der Bahn schon gebucht wurde?
Man darf wie jedes Mal bei einem Streik auf sehr viel Kulanz hoffen. Die Rechte als Gast im Eisenbahnverkehr hat die Deutsche Bahn auf ihrer Homepage aufgelistet. Ansonsten gelten die Fahrgast-Richtlinien der EU, die auch für die Bahn gelten. Aber wem es möglich ist, der sollte sich auf jeden Fall als Bahnkunde nach Alternativen umsehen, für die nächsten Tage einen Plan B für Anfahrt und Abreise in Erwägung ziehen.
Wie überraschend war das Scheitern der Tarifverhandlungen bei der Deutschen Bahn?
Seit Ende Februar 2023 verhandelt die Eisenbahnergewerkschaft EVG mit zahlreichen Eisenbahnunternehmen um höhere Löhne und Gehälter für insgesamt etwa 230.000 Beschäftigte. Besondere Aufmerksamkeit lag dabei auf den Verhandlungen mit der Deutschen Bahn. Bei dem Konzern sind rund 180.000 Beschäftigte tätig.
Das Scheitern kam sehr überraschend. Zuletzt wurde fünf Tage lang verhandelt, und beide Seiten sprachen stets von konstruktiven Gesprächen und auch vom berühmten Licht am Ende des Tunnels. Eigentlich schien es so, als habe man sich deutlich angenähert, nachdem der Konflikt mit den zwei großen Warnstreiks im März und im April schon ziemlich eskaliert war.
Danach gab es eine ganze Reihe von Gesprächsrunden. Mitte Juni verkündete die EVG Tarifabschlüsse mit den privaten Eisenbahnunternehmen Abellio, Transdev und NEG - Konkurrenzunternehmen der DB. Es sah dann alles danach aus, dass auch mit dem Marktführer Deutsche Bahn eine Einigung erzielt werden könnte. Laut Aussage der Bahn waren auch schon 140 Seiten des Tariftextes fertig.
Was waren die Forderungen der Eisenbahnergewerkschaft?
Die Gewerkschaft fordert für 180.000 Beschäftigte bei der Bahn zwölf Prozent mehr Lohn, mindestens aber 650 Euro für jeden Beschäftigten im Monat mehr, bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Die letzte Bahn-Offerte kam dem schon relativ weit entgegen. Es sollte eine Inflationsausgleichs-Prämie von knapp 3.000 Euro geben und beim Lohnplus ein gestaffeltes Modell: zwölf Prozent für die unteren Einkommensgruppen, zehn Prozent für die mittleren und acht für die oberen - allerdings bei einer deutlich längeren Laufzeit von 27 Monaten.
Das ist der EVG zu wenig, zudem kritisiert sie die lange Laufzeit des neuen Trarifvertrages. Eine lange Laufzeit bedeutet: Die Lohnerhöhung verteilt sich über einen längeren Zeitraum. Sie ist daher insgesamt niedriger, als wenn nach einer kurzen Laufzeit neu verhandelt wird und noch einmal eine Lohnerhöhung herausgeholt werden kann.
Kann die Bahn überhaupt auf die Forderungen eingehen?
Schwer zu sagen, denn die Bahn hat selber Geldsorgen. Es gibt nicht viel zu verteilen: Die Schieneninfrastruktur ist marode, die Sanierung ist teuer. Die Stellwerke müssen auch modernisiert werden. Es fehlt Personal. 45 Milliarden Euro hatte die Bahn bis 2027 für das Schienennetz als zusätzlichen Bedarf angemeldet. Dafür macht sich gerade Verkehrsminister Volker Wissing stark. Aber Finanzminister Christian Lindner will sparen. Die Bahn kann also nicht damit rechnen, dass die 45 Milliarden wirklich in voller Höhe fließen werden.
Welche Rolle spielt die Konkurrenz der Gewerkschaften EVG und GDL?
Die Wettbewerbssituation zwischen der EVG, die das Personal der Eisenbahnen in allen Sparten vertritt und der kleineren GDL, die Gewerkschaft der Lokführer, spielt auf jeden Fall eine Rolle. Die EVG galt lange Zeit als gemäßigte Gewerkschaft im Bahnkonzern. Kritik erhielt sie von der GDL für einen vergleichsweise niedrigen Abschluss bei der Corona-Prämie. Die EVG hat zudem jahrelang Mitglieder an die GDL verloren. Seitdem sie in diesen Verhandlungen offensiver auftritt, gab es laut EVG-Chef Martin Burkert auch wieder Eintritte.
Aber bei den Verhandlungen spielt noch etwas anderes eine Rolle: die Unzufriedenheit der Belegschaft. Es sollte eigentlich noch 2023 Boni für Mitglieder des Bahnvorstandes geben - teils im siebenstelligen Bereich. Der Aufsichtsrat hat als Kontrollgremium diese zusätzlichen Vergütungen erst einmal auf Eis gelegt. Dennoch hat allein das Ansinnen solcher Zahlungen sehr viele Beschäftigte verärgert - angesichts der Tarifverhandlungen. Man greift bei diesen Tarifverhandlungen auch durchaus den Vorstand der Bahn AG etwas offensiver an als in der Vergangenheit.
Dieter Nürnberger, Klemens Kindermann, dpa, og