Zum Schluss lag Claus Weselsky seinem Anwalt in den Armen, dankte ihm für den Erfolg auch in der zweiten und letzten Instanz. Und draußen, vor den Mikrofonen und Kameras, brach dem als hartem Hund geltenden Chef der Lokführergewerkschaft beinahe die Stimme, als er das Urteil, der Streik sei rechtens, zum Anlass einer gütlichen Geste nahm:
"Das, was Sie in den letzten Wochen erlebt haben, hat die Berufe der Lokomotivführer und Zugbegleiter stark diskreditiert. Als Versöhnungsgeste bieten wir Ihnen an, den Streik am Samstag, 18 Uhr, zu beenden. Unsere Lokomotivführer und Zugbegleiter werden von dort an wieder arbeiten und werden den Zugverkehr planmäßig zur Verfügung stellen."
Die GDL hatte hoch gepokert - und gewonnen
Von dem Mann fiel sichtlich Druck ab. Wieder einmal hatte die GDL hoch gepokert. Gesten Abend hatte sie einen Vergleichsvorschlag des Arbeitsgerichts abgelehnt. Und heute auch „Nein" gesagt zur gütlichen Einigung der nächsthöheren Instanz, des Landesarbeitsgerichts. Beide Male hatten die Arbeitgeber zugestimmt. Und das Nein der GDL zum Vergleich bedeutete: Jetzt kommt ein Urteil. Dessen Ausgang war ungewiss. Die GDL hätte unterliegen können.
Aber die Tradition gerade der Frankfurter Arbeitsgerichte, das Streikrecht als hohes, sehr hohes Gut anzusehen, wurde auch heute verlängert. Nein, der Streik verstoße nicht gegen die Friedenspflicht. Wer für ältere Arbeitnehmer neue Entgeltgruppen verlange, betreibe keine mittelbare Altersdiskriminierung. Zwar schade der Streik mit seinen Millionenausfällen für Volkswirtschaft und Bahn AG viel. Aber immerhin hielten beamtete Lokführer ein Minimum an Fern- und Güterverkehr aufrecht. Außerdem sei der Streik zeitlich begrenzt, zerstöre also nicht die Bahn AG als Unternehmen. Mithin: der Streik sei nicht unverhältnismäßig und also rechtens.
"Einen ganzen Schritt weiter"
Weselsky versuchte, ein Triumphgefühl nicht aufkommen zu lassen: "Ich darf an dieser Stelle nicht als Sieger, sondern als derjenige stehen, der die Grundrechte der Lokomotivführer und Zugbegleiter erfolgreich verteidigt hat. Wir sind an dieser Stelle einen ganzen Schritt weiter. Mittlerweile haben alle verstanden, dass es hier um mehr geht als um einen Egomanen."
Und Ulrich Weber, der Personalvorstand der Bahn, versuchte, einen juristischen Misserfolg in einen atmosphärischen Gewinn umzudeuten. Dass der Streik von morgen, 18 Uhr, an abgesagt sei, gefiel ihm: "Wenn das so wäre, hätte sich unser Einsatz hier vor Gericht gelohnt, dann fühlen wir uns bestätigt, dass wir die Gerichte bemüht haben, um diesem Streik einem Ende zuzuführen."
Demonstration vor der Bahn-Zentrale
Wie es in der Sache weitergeht, steht noch nicht fest. Wie immer sind beide Seiten zu Verhandlungen bereit. Die Bahn wird sich darauf einstellen müssen, zumindest einige Unterschiede im Tarifwerk für die Zugbegleiter zu akzeptieren, die einen von der GDL, die anderen von der Konkurrenzgewerkschaft EVG ausgehandelt.
Für diese Tarifpluralität hatte die GDL heute auch in Berlin vor der Zentrale der Bahn AG demonstriert. Der stellvertretende GDL-Vorsitzende Norbert Quitter: "Mit Ihrer Solidarität unterstützen Sie die Zugbegleiter, unterstützen Sie die Lokrangierführer, unterstützen Sie das Zugpersonal. Und jetzt möchten wir mal zeigen, wie stark die Lokführer sind."
Derweilen fielen etwa zwei Drittel aller Züge aus, im Osten noch mehr. In Sachsen-Anhalt werde nur ein Fünftel des üblichen Angebots gefahren, teilte ein Bahnsprecher mit. Staus wurden auf den Autobahnen wurden vor allem Nordrhein-Westfalen gemeldet. Es wird ein, zwei Tage dauern, bis sich der Bahnverkehr normalisiert haben wird, wenn der Streik morgen um 18 Uhr endet.