Archiv

Bahnstreik
"Spaltung hilft nicht"

Zum Streik bei der Bahn kommt eine länger schwelende Auseinandersetzung zwischen den beiden Gewerkschaften GDL und EVG hinzu. Alexander Kirchner, Vorsitzender der EVG, wirbt für einheitliche Tarifverträge innerhalb einer Berufsgruppe. Die GDL versuche indes mit dem aktuellen Streik, eine "Tarifpluralität zu erzwingen", sagte Kirchner im Deutschlandfunk.

Alexander Kirchner im Gespräch mit Bettina Klein |
    Alexander Kirchner von der EVG
    Alexander Kirchner von der EVG (dpa / picture-alliance / Maurizio Gambarini)
    Die Eisenbahn- und Verkehrsgesellschaft (EVG) ist neben der Gewerkschaft der Lokführer (GDL) die zweite Bahn-Gewerkschaft. Die GDL behauptet, dass sie für das Fahrpersonal und damit auch für die Zugbegleiter, Bordgastroleute und die Lokrangierführer die Mehrheit hätte", sagte Kirchner. Er plädiert dafür, dass die Gewerkschaft, die innerhalb einer Berufsgruppe die meisten Mitglieder aufweist, dort die Federführung bei Tarifverhandlungen übernehmen sollte. Über dieses Thema streiten GDL und EVG schon länger. Die Lokführer sind größtenteils bei der GDL. Kirchner sagt: "Alle anderen Berufsgruppen sind mehrheitlich bei uns organisiert."
    Kirchner wirbt für eine Tarifeinheit. "Gewerkschaftskonkurrenz im Betrieb schadet allen Beschäftigten. Polarisierung schadet dem Betrieb und hilft nicht den Beschäftigten." Verschiedene Tarifverträge innerhalb von Berufsgruppen führten zu einer Spaltung der Belegschaft. Die EVG wolle mit der GDL und anderen Gewerkschaften gemeinsam Tarifpolitik betreiben, und zwar nicht in Konkurrenz. Man sei "gegen jede Einschränkung des Streikrechts", doch die GDL versuche mit ihren Warnstreiks, die Bahn zu zwingen, eine "Tarifpluralität herzustellen".

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Der Streik ist vorbei; der Tarifstreit bei der Bahn noch lange nicht, und der ist auch nur ein Beispiel. Die Gewerkschaft der Lokführer hat diese massiven Streiks initiiert.
    Am Telefon begrüße ich den Vorsitzenden der anderen Gewerkschaft bei der Bahn, der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG nämlich, Alexander Kirchner. Schönen guten Morgen.
    Alexander Kirchner: Guten Morgen.
    Klein: Herr Kirchner, was hat nun dieser jüngste Streit gebracht für den Tarifstreit bei der Deutschen Bahn?
    Kirchner: Eigentlich noch nichts, denn es gibt noch keine Antwort der GDL auf unser Angebot zu klären, wie denn die Mehrheitsverhältnisse bei der Bahn sind, und von daher warten wir, ob es dort ein vielleicht positives Signal gibt, das die Möglichkeit eröffnet, auch wieder neu an den Verhandlungstisch zu kommen.
    Das bringt nichts, über Zahlen zu streiten
    Klein: Schildern Sie noch mal kurz, was genau Sie jetzt prüfen lassen wollen.
    Kirchner: Die GDL behauptet ja, dass sie für das Fahrpersonal und damit auch für die Zugbegleiter, die Bordgastro-Leute und die Lok-Rangierführer die Mehrheit hätten, und wir sagen, das ist nicht so, und wir sind der Meinung, das bringt nichts, über Zahlen zu streiten, sondern am sinnvollsten wäre, ein Notar schaut sich die Zahlen an und sagt, welche Gewerkschaft hat wo die Mehrheit, und die Gewerkschaft soll auch für diese Berufsgruppe dann die Federführung haben, was ja nicht bedeutet, dass die andere Gewerkschaft nicht mitverhandelt.
    Das ist ja das, was wir anbieten, dass wir gemeinsam die Tarifverträge verhandeln und organisieren.
    Klein: Streit um Zahlen kritisieren Sie einerseits, hoffen aber gleichzeitig, dass Sie bei diesem Vergleich als die stärkere Gewerkschaft und dann auch die mächtigere hervorgehen?
    Kirchner: Ja was heißt hoffen. Wir sind uns sicher, dass wir für diese Berufsgruppen die Mehrheit haben. Letztendlich heißt diese Gewerkschaft "Gewerkschaft der Lokführer" und alle anderen Berufsgruppen sind mehrheitlich bei uns organisiert. Das sieht man auch bei Betriebsratswahlen. Bei der letzten Betriebsratswahl bei der Bahn AG hat die GDL weniger als zehn Prozent der Stimmen und damit der Zustimmung der Menschen bekommen.
    Wir sind der Meinung, Gewerkschaftskonkurrenz im Betrieb schadet eigentlich allen Beschäftigten, und wie auch in anderen Ländern wäre es sinnvoll, dass Gewerkschaften zusammen und nicht gegeneinander arbeiten. Eine Spaltung und Polarisierung im Betrieb hilft nicht den Beschäftigten.
    Klein: Wir sind dabei bei der großen Grundsatzfrage, die natürlich im Hintergrund immer mitschwingt, Herr Kirchner, nämlich der nach der Koalitionsfreiheit und der Tarifpluralität. Darauf hat Herr Weselsky auch gerade noch einmal hingewiesen, wir haben es hören können. Und das ist genau das Argument, das eigentlich dem widerspricht: der Forderung nach einer Tarifeinheit. Halten Sie das für überflüssig?
    Kirchner: Wir sind erst mal als DGB-Gewerkschaft wie der gesamte DGB mit seinen Einzelgewerkschaften der Meinung, dass Tarifeinheit ein hohes Gut in Deutschland ist und war. Wir haben nach dem Krieg gerade durch starke Gewerkschaften, die gemeinsam gearbeitet haben, im Verhältnis zu anderen Ländern sehr gute Erfolge gehabt, und von daher ist es auch der Grundsatz von gewerkschaftlicher Arbeit überhaupt, dass Solidarität ausgeübt wird, keine Spaltung betrieben wird und auch die Starken den Schwachen mithelfen.
    Und wer das auflösen will, wer sagt, nein, jeder soll da für sich und jede Berufsgruppe für sich beziehungsweise sogar jetzt noch innerhalb der Berufsgruppen verschiedene Tarifverträge machen, führt zur Spaltung in den Betrieben, zur Polarisierung in den Betrieben. Das schadet nicht nur Deutschland und der Entwicklung der Gewerkschaften, sondern letztendlich den Menschen in den Betrieben. Da unterscheiden wir uns grundlegend!
    Wir setzen nicht auf ein Gesetz
    Klein: Aber, Herr Kirchner, es ist ja noch gar nicht ausgemacht, ob das überhaupt rechtlich machbar wäre, oder ob es nicht dem Verfassungsrecht widerspricht. Müsste das nicht im Vorfeld erst mal geprüft werden?
    Kirchner: Nein. Erst mal ist es so, dass das Verfassungsgericht entschieden hat, dass es Tarifpluralität geben kann. Sie muss es aber nicht geben.
    Deshalb setzen wir ja auch nicht auf ein Gesetz, sondern wir möchten gerne mit der GDL oder auch mit anderen Gewerkschaften - im Übrigen praktizieren wir das mit ver.di schon seit Langem -, dass wir in Betrieben, in denen wir beide organisieren, dennoch vernünftig und gemeinsam Tarifpolitik gestalten. Keiner wird ja gezwungen, das in Konkurrenz zueinander zu tun, und von daher ist unser Ansatz kein Ansatz, der gegen das Verfassungsgericht agiert, sondern ein Ansatz, der sogar auf Grundlage des Verfassungsgerichts im Prinzip das fortsetzt, was 60 Jahre sich in Deutschland bewährt hat.
    Klein: Sie haben es angedeutet: Ein Gesetz ist wohl in Arbeit, soll noch in diesem Herbst von der Bundesregierung vorgelegt werden. Das heißt, Sie unterstützen das ganz klar nicht?
    Kirchner: Wir unterstützen den Ansatz der Tarifeinheit, aber wie auch alle anderen DGB-Gewerkschaften sind wir gegen jegliche Einschränkung des Streikrechts. Auch das ist eine klare Position, die wir im Übrigen noch in diesem Jahr auch durchgesetzt haben in Brüssel, wo man auch versucht hat, das Streikrecht bei der Eisenbahn durch Gesetz einzuschränken. Da sind Tausende von Kollegen auf die Straße gegangen und haben erreicht, dass die Abgeordneten diesen Entwurf der Kommission gestoppt haben. Da habe ich leider keinen einzigen Kollegen der GDL gesehen. Es gibt eine klare Position, ja zur Tarifeinheit, nein zum Streikrecht.
    Wir brauchen kein Gesetz, sondern wir fordern eigentlich die GDL auf, vernünftig miteinander umzugehen und das unter Wahrung und Respekt aller Beschäftigten und der Mitglieder der beiden Gewerkschaften, dass man zu allen Themen gemeinsam verhandelt.
    Klein: Aber, Herr Kirchner, das ist doch genau der Knackpunkt. Eine Tarifeinheit wird man nicht herstellen können, wenn man nicht auch ans Streikrecht geht. Damit ist doch dieser Gesetzentwurf mehr oder weniger tot.
    Kirchner: Ich kenne ihn nicht. Das wird man sehen, wenn er auf dem Tisch liegt.
    Wir wollen keine Einschränkung des Streikrechts
    Klein: Wir alle kennen ihn noch nicht.
    Kirchner: Ja genau. Nur noch mal ganz klar: Wenn in diesem Gesetzentwurf ein Satz drinsteht, dass das Streikrecht in Deutschland eingeschränkt ist, gibt es eine klare Position von uns sowie aller anderen DGB-Gewerkschaften zu sagen, dass wir diesen Gesetzesentwurf ablehnen. Wir wollen keine Einschränkung des Streikrechts. Wir wollen aber dennoch die Tarifeinheit, weil wir glauben, es ist sinnvoll, dass in einem Unternehmen nicht unterschiedliche Tarifverträge für gleiche Berufsgruppen bestehen.
    Klein: Aber das würde ja bedeuten, Tarifeinheit und trotzdem könnte dann das passieren, was wir jetzt gesehen haben, dass die GDL nämlich den ganzen Bahnverkehr lahmlegt, und das würde dann auch Ihre Unterstützung finden.
    Kirchner: Dass die GDL den ganzen Bahnverkehr lahmlegt, das muss sie verantworten. Wir halten das in der jetzigen Situation anhand der Verhandlungen in den inhaltlichen Teilen für nicht angebracht. Die GDL versucht ja, mit ihren Warnstreiks die Bahn zu zwingen, Tarifpluralität herzustellen. Da spielen die inhaltlichen und materiellen Forderungen nur eine untergeordnete Rolle, denn auch die Bahn hat ja erklärt, dass sie dazu bereit ist zu verhandeln, und mit uns verhandelt sie diese Themen ja auch. Wir haben nächste Woche Dienstag unsere nächste Verhandlungsrunde und wir kommen in den bisher geführten Gesprächen Stück für Stück dort auch weiter. Da gibt es überhaupt keinen Grund, in den Inhalten zu streiken. Sie streikt, weil sie Tarifpluralität herstellen will.
    Klein: ... , sagt Alexander Kirchner. Er ist der Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG, die heute nicht zum Streik aufgerufen haben, zum Streit um das Tarifrecht unter anderem bei der Deutschen Bahn. Herr Kirchner, danke für das Interview heute Morgen im Deutschlandfunk.
    Kirchner: Vielen Dank auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.