"Die Bedeutung großer Mediziner kann man gut daran messen, wie vollständig sie uns vergessen lassen, was wir ihnen verdanken", schrieb das US-Magazin Time 1995 zum Tod von Jonas Salk. Auf kaum jemanden trifft diese Würdigung besser zu: Der amerikanische Mediziner und Virologe hat als erster einen Impfstoff gegen die Poliomyelitis, die Kinderlähmung, entwickelt, wodurch diese gefährliche Infektionskrankheit heute fast vollständig verschwunden ist.
Er sei ein Träumer gewesen, erzählt Professor Ron Evans vom "Salk-Institute", und habe gewusst, dass man träumen muss, um etwas Neues zu schaffen.
Jonas Edward Salk wurde am 28. Oktober 1914 in New York geboren, in einer Zeit, als Polio noch Angst und Schrecken verbreitete: Die zuvor nur aus Einzelfällen bekannte Krankheit trat seit Ende des 19. Jahrhunderts immer wieder in großen Epidemien in Europa und den USA auf. Zehntausende bekamen die typischen plötzlichen Lähmungen, einige starben daran, manche konnten nur in der sogenannten Eisernen Lunge überleben, und die meisten Patienten blieben ihr Leben lang auf Beinschienen, Krücken oder den Rollstuhl angewiesen.
Salk war ein Sohn armer russisch-jüdischer Einwanderer, bekam jedoch als begabter Schüler Stipendien. Er besuchte schon mit 15 das College und studierte anschließend Medizin. Sein Interesse galt vor allem der Forschung, sagt sein Sohn Peter Salk, ebenfalls Mediziner:
"Mein Vater versuchte immer, praktische Lösungen für Menschheitsprobleme zu finden: Der Polio-Impfstoff war eines davon."
Erste Tests an sich selbst und seiner Familie
Im Herbst 1947 geht Jonas Salk als Direktor des virologischen Forschungslabors an die Universität Pittsburgh. Er bekommt großzügige Forschungsgelder von der Nationalen Polio-Stiftung, bekannter unter dem Namen "March of Dimes", zu deutsch: "Pfennigparade". Gegründet wurde diese Wohltätigkeitsorganisation 1938 vom späteren amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt, der selbst wegen seiner Polio-Erkrankung im Rollstuhl saß. Salk gelingt es, einen Impfstoff aus vollständig abgetöteten Erregern herzustellen. Um die Skeptiker zu überzeugen, testet er das Serum zuerst an sich und seiner Familie. 1954 beginnt ein großer Impf-Feldversuch mit fast zwei Millionen Kindern. Und am 12. April 1955 meldet ein Radiosender:
"Die Salk-Polio-Impfung ist ein Erfolg!"
Eilig startet die Gesundheitsbehörde ein nationales Impfprogramm, und die Zahl der Polio-Erkrankungen in den USA sinkt um über 80 Prozent. Jonas Salk wird wie ein Held gefeiert, von einigen Kollegen jedoch angefeindet. Denn die für seinen Erfolg unerlässlichen Forschungsarbeiten anderer Wissenschaftler erwähnt er nicht einmal. Allerdings geht es Salk offenbar nicht um Geld. Als ihn ein Journalist fragt, wem das Patent auf den Polioimpfstoff gehöre, sagt er:
"Es gibt kein Patent. Kann man die Sonne patentieren?"
Die Frage war durchaus verständlich, denn fast gleichzeitig mit Salk hat der amerikanische Bakteriologe Albert Sabin einen Impfstoff entwickelt, diesmal aus abgeschwächten, lebenden Polioviren. Der ist letztlich sogar noch wirksamer, billiger und leichter zu handhaben, weil er oral, auf einem Stück Zucker verabreicht werden kann.
"Kinderlähmung ist grausam - Schluckimpfung ist süß!"
In Deutschland zum Beispiel, aber auch in den USA wird in den 1960er-Jahren Sabins Schluckimpfung verwendet. Im Zusammenhang mit Kinderlähmung fällt der Name Salk kaum noch.
So wendet er sich anderen "Menschheitsproblemen" zu und beginnt 1960, wiederum mit Geldern der March-of-Dimes-Organisation, in La Jolla in Kalifornien das Salk-Institut aufzubauen. Fast 1.000 Wissenschaftler aus über 20 Nationen forschen heute dort zu Krebs, Diabetes, Gendefekten, Alzheimer, Parkinson und Aids. Jonas Salk selbst hat bis zu seinem Tod am 23. Juni 1995 nach einem Impfstoff gegen das HI-Virus gesucht – vergeblich und auch ein wenig belächelt von anderen Forschern. Aber davon hat er sich nicht beirren lassen, sagt Peter Salk. Das Motto seines Vaters sei gewesen:
"Es gibt nur eine Art des Scheiterns – und das ist, zu früh aufzuhören."