Tausende von Menschen schieben sich durch die schmalen Straßen der ehemaligen Königsstadt Ubud, dem spirituellen Zentrum Balis. Ein hoher Brahmanenpriester ist gestorben. Um ihn zu würdigen, sind Einheimische aus der ganzen Region zu seiner Verbrennung gekommen. Gut 50 junge Männer tragen ein Bambusgestänge mit einem Verbrennungsturm - fast fünf Meter hoch, weiß und mit silbernen Fabelwesen verziert. In diesem Turm befindet sich der Leichnam. Immer wieder schwenken die Männer ihre Last ruckartig hin und her, um in alle Himmelsrichtungen den Göttern für ein erfülltes Leben zu danken.
Schon die Kinder in den Dörfern lernen von den Alten, wie die Rituale richtig auszuführen sind. Das ist Teil der religiösen Erziehung auf der Insel Bali, einer hinduistischen Enklave im überwiegend muslimischen Indonesien. Eltern und Gemeinden sind verpflichtet, mit den Priestern zusammen zu arbeiten.
Interreligiöse Sprechstunde
Deshalb sind in Mas, einem Dorf bei Ubud, die täglichen Sprechstunden von Ida Bagus Alit im Haus der Brahmanen stets gut besucht - nicht nur von Hindus, auch von Muslimen. Der weißgekleidete Dorfpriester sitzt zwischen Opfergaben und Räucherstäbchen und murmelt Mantras in Sanskrit, der klassischen Sprache der Brahmanen. Dann segnet er die Gläubigen mit heiligem Wasser aus einer silbernen Schale. Doch nicht immer kommen die Leute aus religiösen Gründen zu Ida Bagus Alit.
"Wenn es Streitigkeiten gibt etwa oder gesundheitliche Probleme. Ein Ehepaar wollte eine Reinigungszeremonie, weil beide an Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit leiden und ihr Baby immer schreit. Ich habe ihnen ein Mantra mitgegeben, das sie zu Hause beten können. Und ein Mann kam heute, weil er dringend Arbeit sucht."
Ida Bagus Alit stammt aus einer der ältesten Dynastien der Insel und ist ein Nachfahre jenes heiligen Priesters, der im 9. Jahrhundert den Hinduismus aus Java nach Bali brachte und dort die Brahmanenkaste gründete.
Vorbereitung mit der Familie
Gus De ist Ida Bagus Alits Neffe. Er sagt: "Seitdem lebt unsere Familie an diesem hochverehrten Ort. Bis heute ist es so, dass immer wenn jemand gestorben ist, die Angehörigen hierher kommen und sich den richtigen Termin für die Verbrennungsfeierlichkeiten geben lassen. Das gilt auch für Hochzeiten, Geburten und für Tempelzeremonien. Alle Vorbereitungen müssen hier mit der Familie abgestimmt werden."
Gus De hat Hotelmanagement in der Schweiz studiert und das Haus der Brahmanen für Gäste geöffnet. Der üppig bewachsene Familientempel mit mehreren Türmen stammt aus verschiedenen Jahrhunderten. Die steinernen Gottheiten und Altäre, die von geflügelten Schlangen und Affen mit gefletschten Zähnen bewacht werden, wurden alle von Gus Des Vorfahren gemeißelt. Dazwischen liegen Opfergaben als Danksagung für die guten Geister und zur Besänftigung der bösen: mit Reis gefüllte Bananenblätter und Blumengebinde - besprengt mit heiligem Wasser. In Bali haben sich Götter-, Ahnen- und Dämonenglauben der Urbevölkerung mit Buddhismus und Hinduismus zum Hindu Dharma Glauben vermischt, den viele auch die Religion des heiligen Wassers nennen. Und so darf heiliges Wasser bei keiner religiösen Zeremonien fehlen.
"Wir wollen Gäste, die sich wirklich für unsere Religion interessieren und die nicht nur wegen einer Strandparty kommen. In Ubud sollen die Leute etwas von unserer Kultur lernen und etwas von sich selber dort einbringen. Viele Besucher kommen zum Meditieren und zum Yoga hierher."
Wenn sie sich an die Regeln halten, zum Beispiel keine kurzen Hosen, sondern Sarong und Schärpe tragen, dürfen auch Fremde an den balinesischen Ritualen teilnehmen. Auch Verbrennungszeremonien.
Pflichten in der Dorfgemeinschaft
Auf dem Verbrennungsplatz in Ubud steht ein Podest mit einem weißen Baldachin - darauf der Sarkophag, in Form eines gut fünf Meter hohen Stiers, ebenfalls in Weiß, der Farbe der Priester. Wenn der Leichnam umgebettet ist, begießen ihn vier alte Brahmanenpriester großzügig mit heiligem Wasser, drapieren Opfergaben und murmeln stundenlang Mantras. Sie müssen korrekt gebetet werden, da sie sonst in schwarze Magie umschlagen und der Seele des Verstorbenen schaden könnten. Dann wird der Leichnam angezündet.
Ein Gamelan-Orchester spielt wie in Trance auf Bronzegongs, Metallophonen und Trommeln aus Bambus. Alle Kinder in Ubud lernen die religiösen Tänze und Gamelanmusik, erklärt Wayan Dibia, der Kunstbeauftragte des Gemeinderates.
"In unserer Kultur gehört Kunst zum Alltag. In einem Gamelan-Orchester zu spielen oder zu tanzen - das ist für Kinder und Teenager in den Dörfern eine religiöse und soziale Pflicht. Sonst könnten sie aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen werden."
Folgen der Globalisierung
Doch der spirituelle Alltag habe sich auch in einer Hochburg der Tradition wie Ubud durch den Massentourismus verändert.
"In dieser globalisierten Welt gehört Bali nicht mehr länger nur den Balinesen. Wir müssen uns nun fragen, wie können wir uns der Welt öffnen und gleichzeitig die naturverbundene Schönheit unserer Kultur beibehalten?"
Immer mehr Bauern haben in der Hoffnung auf Wohlstand ihre Reisfelder an ausländische Investoren verkauft. Das Wasser versorgt nicht mehr ihre Felder, sondern Hotelanlagen, in denen ein Tourist am Tag so viel verbraucht wie eine Großfamilie. Wasser ist auf Bali längst nicht mehr nur ein heiliges Lebenselixier, sondern ganz real knapp geworden. Umweltschützer konnten inzwischen erfolgreich neue Großbauprojekte verhindern. Immer mehr balinesische Familien bieten an, bei ihnen zu Hause zu übernachten. Sie binden ihre Gäste in ihren religiösen Alltag mit ein, nehmen sie mit zu Segnungen von Märkten und Reisfeldern, Initiationsritualen wie der Zahnfeilung oder zum letzten Geleit eines Verstorbenen nach der Verbrennung.
Denn erst wenn die Asche eines Menschen ins Meer oder einen Fluss gestreut wurde, ist seine Seele wirklich frei.