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Ballett im Musiktheater im Revier
Kreativität gegen den Verdruss

„The Vital Unrest“ heißt ein zweiteiliger Ballettabend, für den Tanzdirektorin Bridget Breiner eine Choreografie entwickelt hat. Die Musik im ersten Teil wurde eigens komponiert - von dem Letten Georgs Pelēcis. Herausgekommen ist ein trotzig-stolzer Abend, der in guter Balletttradition Kunst und Kreativität als Therapeutikum gegen den Verdruss feiert.

Von Nicole Strecker |
    Blick auf die Fassade eines quaderförmigen Gebäudes mit vielen großen Fensterflächen.
    Am 25. März feierte das Stück "The Vital Unrest" Premiere am Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen (dpa / picture alliance / Marius Becker)
    Die Welt steht Kopf, die Wut grassiert, längst verbindlich geglaubte Werte müssen neu verhandelt werden – und die Kunst muss sich irgendwie zu den politischen Verwerfungen verhalten. Im Tanz – egal ob freie oder städtische Szene - scheint derzeit der alte Appell ans 'Wahre, Schöne, Gute' das Mittel der Wahl. Schon Martin Schläpfer überbrachte zuletzt mit einem noblen Bachballett die humanistische Botschaft, die Berliner Choreografin Eszter Salamon verwandelte gar Kriegstänze in kollektivbildende Riten. Utopie statt Untergang. Jetzt Bridget Breiner.
    Eine gigantische doppelwandige Säule scheint im Bühnenbild von Jean-Mark Puissant mit Wucht aus dem Boden geschossen zu sein, dass die Tanzfläche ringsum aufgesplittert ist. Neben dem Monolith, der an Stanley Kubricks Film "2001" erinnert, steht Bridget Breiner mit dem Rücken zum Publikum. Sie ist längst da, wenn die Zuschauer eintreten, denn die Bühne gehört ihr, ist ihr Denk- und Kreativraum. Wie magisch angezogen schiebt sie sich rückwärts Richtung Rampe, weist mit ausgestrecktem Arm gen Himmel – der Fingerzeig der Inspiration.
    Choreografie beginnt aufgekratzt
    So erzählt Breiner, ehemalige Starsolistin in Stuttgart und seit fünf Jahren erfolgreiche Ballettdirektorin am Musiktheater im Revier, von der glücklichen Selbstfindung einer Künstlerin und streift dabei durch die Geschichte der Sparte. Ein Tänzer schmiert sich ein wenig weiße Farbe ins Gesicht wie einst die Expressionisten Martha Graham oder Kurt Jooss. Dann marschiert er auf wie die berühmte Todesfigur aus dem Ballett "Der grüne Tisch". Ein Kriegskollaborateur und Rattenfänger, das Ensemble tänzelt als grotesk-zappelige Soldateska hinterher.
    Später rauscht die Kompanie als hysterisch-heiterer Revue-Trupp herein, wohl eine Referenz an das eskapistische Entertainment der Kriegs- und Nachkriegszeit, und auch in der Komposition von Georgs Pelēcis rappelt es dann für einen Moment als hätte sich ein Stepptänzer ins Orchester von Dirigent Valtteri Rauhallammi geschmuggelt. Meist aber säuselt die eigens für das Ballett geschaffene Komposition als ziemlich charakterlos-eklektische Begleitmusik vor sich hin, ein bisschen Minimalmusic und Filmdramatik, ein paar bizarre Effekte, die eher stören als beleben. Das merkt man auch der Choreografie an, die nach aufgekratztem Beginn ziemlich einschläft und erst im zweiten Teil wieder zu sich findet zur 3. Sinfonie von Camille Saint-Saëns.
    Gute Balletttradition gegen den Verdruss
    Eine abstrakt-neoklassische Choreografie zur sogenannten Orgelsinfonie ist schon lange ein Wunschprojekt von Breiner. Tatsächlich lässt sie hier das Vergangene hinter sich und erschafft ihre eigene, sehr feminine Ballettpoesie. Breiner ist eine exquisite Bein-Spezialistin: Irgendwo schlenkert, spreizt und reckt sich immer auf ihrer Bühne ein Spitzenschuh-geschmücktes Bein.
    In hinreissenden Pas-de-Deux' verschmelzen Mann und Frau zu Traumpaaren – Romantik in Perfektion. Da mag die Musik gelegentlich dunkel grollen und mit "Dies Irae" an Tod und Jüngstes Gericht mahnen – im Tanz triumphiert die Schönheit über den Schmerz. Ein trotzig-stolzer Abend, der in guter Balletttradition Kunst und Kreativität als Therapeutikum gegen den Verdruss feiert. Und das tut ja auch mal gut.