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Vor 125 Jahren
Als die erste Ballon-Expedition zum Nordpol startete

Am 11. Juli 1897 brachen der Schwede Salomon August Andrée und zwei Begleiter auf, um erstmals mit einem Wasserstoffballon den Nordpol zu erreichen. Der Versuch war von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Andrées Tagebücher dokumentieren einen verzweifelten Überlebenskampf.

Von Irene Meichsner |
Salomon August Andrées Polarexpedition von 1897: mit einem Gasballon zum Nordpol. Digitale Reproduktion einer Originalvorlage aus dem 19. Jahrhundert.
Salomon August Andrées Polarexpedition von 1897: Versuch, mit einem Gasballon zum Nordpol zu gelangen. (IMAGO/H. Tschanz-Hofmann)

„Es war herrlich, als die Abfahrt endlich beschlossen wurde. Die nötige Menge an Ballastsäcken wurde an Bord genommen. Und dann war der Augenblick des Abschieds gekommen. Wir stiegen ein. Einen Moment lang herrschte feierliches Schweigen. Dann kommt der richtige Augenblick. Drei Messer kappen die Taue, die den Tragring halten, und der Ballon hebt sich in die Luft, während die anderen zurückbleiben und ‚Hoch!‘ rufen. ‚Es lebe das alte Schweden!’“
Der schwedische Polarforscher Salomon August Andrée (rechts) mit seinen Kollegen Knut Fraenkel  und Nils Strindberg. 1897. Photographie.
Salomon August Andrée (rechts) mit Knut Fraenkel und Nils Strindberg, fotografiert 1897 Photographie. (picture alliance / IMAGNO/Austrian Archives (S))
Der Ballon bestand aus mehreren Lagen chinesischer Seide. Er hatte einen Durchmesser von 20 Metern, ein Volumen von 2.800 Kubikmetern und eine Tragkraft von 3.000 Kilogramm. Drei Männer zwängten sich am 11. Juli 1897 in den kleinen Korb: Der Student Nils Strindberg, den ein Hörspiel aus dem Jahre 2008 mit Briefen an seine Verlobte zu Wort kommen ließ. Knut Fraenkel, ein junger Ingenieur, der ein Jahr zuvor schon bei einem ersten, vergeblichen Startversuch dabei gewesen war. Und Salomon August Andrée, der Leiter der Technischen Abteilung des schwedischen Patentamts, von dem die kühne Idee stammte, mit einem Wasserstoffballon zum Nordpol zu fliegen.
„Vielleicht treibt uns nur ein überspanntes Persönlichkeitsgefühl, vielleicht können wir es nur nicht ertragen, in Reih und Glied mit dem Durchschnitt zu leben und zu sterben. Von kommenden Geschlechtern vergessen zu werden? Nennt man das Ehrgeiz?“

Alfred Nobel im Patentamt kennengelernt

Demjenigen, der den Wettlauf zum Pol für sich entscheiden würde, war weltweite Anerkennung jedenfalls gewiss. Das nötige Geld für sein großes Abenteuer hatte Andrée, der 1854 im schwedischen Gränna geboren wurde, persönlich eingetrieben. Die Hälfte stammte von Alfred Nobel, den er im Patentamt kennengelernt hatte. Auch der schwedische König gehörte zu den Sponsoren. Es gab aber auch kritische Stimmen, die dem Oberingenieur Andrée ein Desaster prophezeiten.

„Das ist für heute schon sehr selbstmörderisch, sich mit einem nicht lenkbaren Gas-Ballon auf den Weg in die Arktis zu machen", stellte Jürgen Bleibler vom Zeppelin-Museum in einem Radiobeitrag fest.
Andrées Optimismus gründete sich auf eine von ihm erfundene Schleppseiltechnik, mit der er glaubte, seinen Ballon zumindest partiell steuern zu können. Aber schon kurz nach dem Start von einer kleinen Insel im Nordwesten von Spitzbergen, als der Ballon das offene Meer erreicht hatte, lösten sich zwei Drittel der Schleppseile aus ihrer Verankerung – vermutlich eine Folge der Reibung mit der Meeresoberfläche.

Zu Fuß 350 Kilometer übers Eis?

Der Ballon kippte zur Seite, er wurde durch Fallwinde nach unten gedrückt, der Korb prallte auf das Wasser. Innerhalb von Sekunden warfen die Männer 200 Kilogramm Ballast ab, um wieder Höhe zu gewinnen. Sie passierten die Eisgrenze; mit Ach und Krach kamen sie rund 300 Kilometer weit, etwa ein Drittel der Strecke zum Nordpol - wobei der Korb immer wieder über den Boden schleifte. Dann stand der Ballon, inzwischen total vereist und längst nicht mehr lenkbar, endgültig still. Nach einer kontrollierten Landung machten sich die Männer zu Fuß auf den Weg, in der Hoffnung, das rund 350 Kilometer entfernte Franz-Josefs-Land erreichen zu können. Andrées Tagebuch spiegelt die wachsende Verzweiflung wider:
„1. August: Draußen auf dem Eis merkt man nicht, dass es in Bewegung ist. Aber die Rinnen bei den Lagerplätzen verändern sich, während wir schlafen. - 5. August: Uns allen Dreien rinnt dauernd die Nase. Permanenter Katarrh. - 17. August: Unsere heutige Wanderung war fürchterlich. Wir sind keine eintausend Meter vorangekommen.“
Als es immer kälter wurde, war klar, dass die Männer auf dem Eis würden überwintern müssen. Sie erreichten, auf einer Eisscholle treibend, Anfang Oktober noch die ‚Weiße Insel’ in der Barentssee, überlebten dort aber vermutlich nur noch wenige Tage. Die genaue Todesursache wurde nie geklärt. Erst 33 Jahre später stießen Robbenfänger auf die sterblichen Überreste von Andrée, Fraenkel und Strindberg. Neben vielen Ausrüstungsgegenständen wurden auch Filme, Fotografien und ein großer Teil der persönlichen Notizen gefunden. Mit ihrer Hilfe ließ sich der Ablauf dieser unglückseligen Fahrt rekonstruieren, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen war.