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Ballspiele im Aquarium

Verhaltensforschung. - Schimpansen benutzen Werkzeug, oder auch Rabenvögel. Fische hingegen standen nicht im Verdacht, eine so große Intelligenzleistung zu vollbringen, dass sie Werkzeuge einsetzen. Nun verhalfen südamerikanische Süßwasserrochen den Biologen zu der Einsicht, dass auch Fische Werkzeuge benutzen.

Von Dagmar Röhrlich | 04.02.2010
    Der Schönbrunner Zoo in Wien. Das Aquarium. Es ist vormittag - Zeit für die Schulklassen. In einem der Aquarien sind Tigerstachelrochen zu Hause. Sie sind noch jung, erst so groß wie Pizzateller. Elegant gleiten sie knapp über den sandigen Aquariengrund:

    "Süßwasserstachelrochen dieser Art fressen sehr viel Futter, das im Sand vergraben ist. Es wird permanent in den Sand hineingeblasen, um zu sehen, ist da der Wurm begraben, um den Wurm zu bekommen","

    erklärt Michael Kuba, der im Wiener Zoo und an der Hebrew University in Jerusalem arbeitet. Rochen gehören - wie die Haie - zu den Knorpelfischen: zu einer uralten Fischgruppe, die vor mehr als 400 Millionen Jahren entstanden ist.

    ""Es ist so, dass Knorpelfische immer diesen Nimbus der schwimmenden Nase haben, eher dumm zu sein, eher keine großen kognitiven Leistungen zu vollbringen."

    Aber anscheinend stimmt das nicht, zumindest nicht für die Tigerstachelrochen. Sie entwickeln sogar Problemlösungsstrategien. Das fanden die Forscher aus Wien und Jerusalem heraus, als sie die Rochen im Wiener Zoo mit grauen Plastikröhrenstücken konfrontierten, in denen sie Futter versteckten. Mit Hilfe chemischer Sensoren merkten die Tiere sofort, dass sich darin etwas Leckeres verbarg:

    "Der Rochen muss dann zur Röhre schwimmen und das Futter aus dieser Röhre herausbekommen. Dazu hat er drei Minuten Zeit, normalerweise, und wir schauen nach halt, wie schnell schafft er das und lernt er, das Futter schneller aus der Röhre herauszubekommen."

    Es gibt mehrere Methoden, mit denen die Rochen an die Leckerbissen kommen können, aber zunächst versuchten sie, einfach in die Röhre zu beißen. Als das scheiterte, war ihre nächste Idee, die Röhre so lange herumzuschleudern, bis das Futter herausfällt:

    "Das ist aber rein von der Effizienz her nicht die geschwindeste Strategie. Wenn sich die Rochen ein bisschen damit beschäftigen, kommen sie zu anderen Strategien. Das kann entweder sein, dass die Rochen Wasser in die Röhre hineinblasen und das Futter herauskommt, oder, was sich in unserem Fall als die schnellste Variante erwiesen hat, dass der Rochen an einer Seite die Röhre blockiert, mit seinem Teller, und dann mit seinem Mund, beziehungsweise über Flossenbewegungen Unterdruck erzeugt, und somit das Futter zu sich hin saugt."

    Nach 50 bis 100 Versuchen mit dem fremden Objekt hatten die Rochen die effizienteste Strategie entdeckt und das Wasser dafür zum Werkzeug gemacht: Sie setzten es gezielt ein, um ans Futter zu gelangen, indem sie es bewusst mit ihrem Körper manipulierten:

    "Als wir das begonnen haben, mit Röhren zu arbeiten, haben wir uns gedacht, dass die normalste Reaktion von Rochen die sein wird, in die Röhre ein Wasserstrahl hinein zu blasen, um das Futter herauszubekommen. Hat sich herausgestellt, das ist die mit Abstand unüblichste Methode für den Rochen."

    Am liebsten setzten sie sich ruhig auf die Röhre und saugten das Futter hinaus. Wenn sie erst einmal ihre Lösungsstrategie gefunden haben, behalten sie sie über Jahre hinweg, auch wenn sie zwischendurch keine Plastikröhren zu sehen bekommen. Inzwischen hat sich sogar herausgestellt, dass die Tigerstachelrochen nicht nur clever sind:

    "Meine Dissertation hat sich mit Spielverhalten bei Octopus vulgaris beschäftigt, und irgendwann war der amerikanische Kollege Gordon Burghardt, zu Besuch in Wien, und wir sind durch das Aquarium marschiert und haben uns gedacht, mit welchen anderen Tier können wir das ausprobieren."

    Also haben die Biologen Bälle in die verschiedenen Aquarien geworfen. Anders als die Kraken, die liebend gern mit Bällen spielen, fanden die Fische die runden Dinger nicht beachtenswert. Dann kamen die Süßwasserrochen dran:

    "Sie sind absolut begeisterungsfähig. Der absolute favourite war ein kleiner Katzenball, der wurde wirklich durch das ganze Aquarium gestupst und verfolgt."

    Für die von ihrer Evolutionsgeschichte her uralten Knorpelfische ist das nun wirklich ein vollkommen unerwartetes Verhalten. Das Potential intelligentes Verhalten zu entwickeln, müsse weit in unsere Geschichte zurückreichen, urteilt Michael Kuba: Er glaubt, dass es mehrfach in der Evolution entstanden ist.