Baltasar Garzón hätte kaum einen Titel mit mehr Pathos für sein mehr als 1.000 Seiten umfassendes Werk über seine Zeit als Untersuchungsrichter wählen können. Im Fadenkreuz stand Garzón tatsächlich während der 23 Jahre, in denen er am spanischen Nationalen Gerichtshof in Madrid tätig war, - an einem Sondergerichtshof für besonders schwere Straftaten. Der Jurist ermittelte gegen die Todesschwadronen der Antiterroristischen Befreiungsgruppen, der sogenannten GAL, die aus dem Innenministerium finanziert auf illegale Weise gegen die baskische Terrorgruppe ETA kämpften. Garzón verfolgte seinerseits die ETA, Drogen- und Waffenhändler sowie Diktatoren. Damit hat er sich viele Feinde gemacht:
"Unbekannte drangen während der Osterwoche in meine Wohnung ein. Sie suchten offenbar die Akte. Sie fanden sie nicht. Ich arbeitete zwar bis zum Mittwoch, aber ich schloss sie dann im Gerichtsgebäude ein, weil ich befürchtete, dass man trotz der Bewachung erneut in meine Wohnung eindringen würde. Schon im Februar hatte ich eine Warnung erhalten. Da hinterließ jemand eine Bananenschale auf meinem Bett."
Obwohl solche offenen Drohungen zum Tagesgeschäft gehörten, habe sich Garzón davon nie einschüchtern lassen, betont er immer wieder. 28 Menschen fielen dem staatlich organisierten Terror gegen die ETA zum Opfer. Garzóns Ermittlungen führten schließlich zu Verurteilungen der Hauptangeklagten, zu langen Haftstrafen.
Der Rechtsstaat darf keinen Gegenterror anzetteln
Aber auch wenn die Bedrohung von Leib und Leben wie auch die rufschädigenden Kampagnen mancher Medien mit der Wahl des Titels eine Art Leitmotiv des Buchs sind, lohnt sich seine Lektüre noch viel mehr aufgrund aufschlussreicher Beobachtungen am Rande.
"Ich habe immer an einen sauberen Kampf gegen das Verbrechen und die Verbrecher geglaubt, an die Legalität. Es ist effizienter, sie so zu bekämpfen. Schlechte Gewohnheiten haben schon immer sehr negative Folgen gehabt, vor allem wenn sie in so sensiblen Bereichen erfolgen wie im Kampf gegen den Terrorismus oder das organisierte Verbrechen. Die GAL sind das sichtbarste und bekannteste Beispiel dafür."
Der Leser erfährt aber auch, wie es so weit kommen konnte, wie der spanische Staat ausgerechnet unter Führung der Sozialisten Anschläge verüben, Menschen entführen und ermorden konnte. Die Weichen dafür wurden früh gestellt:
"Die Ernennung von José Barrionuevo zum Innenminister nach dem Wahlsieg der Sozialisten 1982 überraschte. Als aussichtsreichster Kandidat galt Carlos Sanjuán, sozialistischer Rechtsanwalt und Auditor der Militärjustiz. Es heißt, Sanjuán habe eine radikale Säuberung bei der Polizei gefordert, Barrionuevos Priorität hingegen sei der Kampf gegen den Terror gewesen. Er suchte so schnell wie möglich das Vertrauen der mittleren Führungsriege der Polizei, so dass die Mitglieder der alten politisch-sozialen Brigade weiter bei den Sicherheitskräften bleiben konnten. Sie blieben aktiv, ohne dass es zu irgendeinem Bruch bei der Polizei durch die neue demokratische Ordnung gekommen wäre."
Der politisch-sozialen Brigade gehörten die Folterer des Franco-Regimes an, der hier erwähnte sozialistische Innenminister Barrionuevo, der sie weiter beschäftigte, wurde letztlich aufgrund Garzóns Ermittlungen zu 10 Jahren Haft verurteilt. Auch wenn er am Ende nur drei Monate inhaftiert war, war das Urteil der Paradigmenwechsel in der spanischen Terrorbekämpfung. Das Ende der Gewalt der ETA erreichte am Ende kein staatlicher Gegenterror, sondern der Rechtsstaat.
Garzón engagierte sich für Umsetzung des Weltrechtsprinzips
Doch er schreibt nicht nur über die Justiz Spaniens, sondern auch über das Weltrechtsprinzip, wonach schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Folter, Terror oder Völkermord von jedem Gericht der Welt zu verfolgen sind. So konnte Garzón südamerikanische Militärs anklagen. Augusto Pinochet konnte er zwar nicht den Prozess machen, aber immerhin wurde Chiles Ex-Diktator fast eineinhalb Jahre lang aufgrund eines Haftbefehls des Spaniers in London festgehalten. Nur sein angeschlagener Gesundheitszustand bewahrte Pinochet vor einer Verhandlung in Madrid.
"Es gilt heute allgemein als akzeptierte Wahrheit, dass erst der Fall Pinochet das Weltrechtsprinzip wieder zum Leben erweckt hat. So geschehen in Belgien, Argentinien, Südafrika oder im Senegal. Seither müssen die Diktatoren und großen Verbrecher der Welt sich wieder sorgen, wohin sie reisen und wo sie zwischenlanden."
Richter sieht sich als Opfer eines Komplotts
Doch mit seinem Einsatz musste Garzón auch im eigenen Land viele Widerstände überwinden. Das Weltrechtsprinzip ist in Spanien inzwischen eingeschränkt worden. Und als Garzón trotz eines Schlussstrichgesetzes auch die Verbrechen des Franco-Regimes im eigenen Land juristisch aufarbeiten wollte und zudem auch noch einen Parteispendenskandal bei der Volkspartei aufdeckte, begann die Jagd auf ihn. "Die Jagd" ist der Name des letzten Kapitels des Buchs:
"Am Donnerstag, dem 19. Februar 2009 traf ich eine Entscheidung, für die ich letztlich am 14. Mai des folgenden Jahres verurteilt wurde, meine Karriere als Richter zu beenden. An diesem Tag verfügte ich in einer begründeten richterlichen Entscheidung, die Kommunikation der Beschuldigten zu überwachen, die wegen des Falles Gürtel in Untersuchungshaft saßen. Ich traf die Entscheidung nach Rücksprache mit der Polizei und der Staatsanwaltschaft, nachdem es sich als erwiesen gezeigt hat, dass die Hauptverantwortlichen des Falles aus dem Gefängnis heraus ihre Straftaten fortsetzten. So sollte vermieden werden, dass die Gelder in Steueroasen verschwinden oder auf andere Konten verschoben oder Beweismittel vernichtet würden."
Diese Abhörpraxis ist inzwischen nach einer Gesetzesreform erlaubt, doch Garzón wurde dafür wegen Rechtsbeugung für elf Jahre vom Richteramt suspendiert. Der Autor wertet dies als Erfolg eines Komplotts der vielen Gegner, die er sich im Laufe seiner Karriere gemacht hat. Sein Buch ist eine beachtliche Bilanz, die er mit viel Genugtuung und ein bisschen zu viel Pathos beschreibt: Er hat Drogenhändler ins Gefängnis gebracht, die baskische Terrorgruppe ETA hat die Waffen gestreckt, das Internationale Recht ist bei der Verfolgung von Diktatoren ein gutes Stück weitergekommen und im Parteispendenskandal um die Volkspartei läuft bereits seit Oktober die mündliche Verhandlung.
Baltasar Garzón: "En el punto de mira. La forja de un juez a contracorriente" (Im Fadenkreuz. Die Schmiede eines Richters, der gegen den Strom schwimmt)
Planeta-Verlag
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