Durch Amerika laufe eine gesellschaftliche Schere, sozial und wirtschaftlich. "Das kann man nur anpacken, wenn man dieses Problem angeht", sagte Jackson. Der Konflikt sei aber nicht allein in der Frage Schwarz oder Weiß zu begründen. "Ferguson (dort hatte es ebenfalls Unruhen gegeben, d.Red.) hatte weiße Führungseliten, Baltimore hat schwarze - der Ergebnis ist das gleiche. Wirtschaftliche Fragen sind das Problem", sagte Janes, der Präsident des American Institute for Contemporary German Studies ist.
Auch die schwarze Gemeinschaft in den USA trage Verantwortung. Das Problem sei auch in den Familien und in der Nachbarschaft anzupacken. "Das hängt davon ab, ob gewisse Stellen - Bürgermeisteramt, Polizeirevier, die Gruppen - miteinander reden können."
Das Interview in voller Länge:
Bettina Klein: Ausgangssperre in der US-Ostküstenstadt Baltimore nach den Unruhen der vergangenen Tage. Im Augenblick scheint die Situation ruhig zu sein.
Ich habe darüber gerade mit dem Politikwissenschaftler Jackson Janes sprechen können. Er ist Präsident des American Institute for Contemporary German Studies in Washington. Und ich habe ihn zunächst gefragt, ob die Situation in der Stadt Baltimore tatsächlich beispielhaft steht für die Situation der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA, oder ob es doch nach den Ereignissen der vergangenen Tage eine Art Sonderfall ist.
Ich habe darüber gerade mit dem Politikwissenschaftler Jackson Janes sprechen können. Er ist Präsident des American Institute for Contemporary German Studies in Washington. Und ich habe ihn zunächst gefragt, ob die Situation in der Stadt Baltimore tatsächlich beispielhaft steht für die Situation der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA, oder ob es doch nach den Ereignissen der vergangenen Tage eine Art Sonderfall ist.
Jackson Janes: Leider kein Sonderfall in dem Sinne, dass es ist schon passiert quer durch Amerika in anderen Städten, Ferguson natürlich das beste Beispiel in der letzten Zeit. Ich finde eigentlich, das Problem ist auch wiederum das: In vielen Städten und nicht nur in Städten gibt es dann eine Marginalisierung von Minderheiten, und die sind nicht nur afroamerikanisch übrigens. Und das bedeutet, dass momentan eine Schere durch die Gesellschaft läuft, sozial und wirtschaftlich, und das kann man eigentlich nur anpacken, wenn man das Problem angeht und nicht nur die Frustebenen, Zornebenen, die dann ausbrechen bei so einem Fall wie in Baltimore jetzt.
Klein: Wir haben es dort ja mit einer schwarzen Bürgermeisterin auch zu tun, und weshalb hat das eigentlich nicht dafür gesorgt, dass man sich doch stärker integriert fühlt. Das spielt ja offenbar keine Rolle.
Janes: Na ja, es ist genau dasselbe Problem, als man meinte, nachdem wir einen Schwarzamerikaner als Präsident gewählt haben, ist das Problem zwischen den Rassen in Amerika damit aufgehoben. Schwachsinn! Ich meine, wir haben ja auch dann diese Probleme, weil wir seit Jahrzehnten soziale und wirtschaftliche Probleme mit verursacht haben, und das ist dann egal, welche Farbe regiert in einer Stadt oder in einem Land. Denken Sie mal an Ferguson. Ferguson hat natürlich weiße Führungseliten da, in Baltimore umgekehrt. Aber das Ergebnis ist gleich. Insofern: Es geht nicht nur um Rassen; es geht um die wirtschaftliche Situation, die für viele Leute absolut unakzeptabel bleibt.
Klein: Und ist da erkennbar, dass dort irgendetwas unternommen wird auf dieser Ebene?
Janes: Es kommt darauf an, wo man wohnt, in dem Sinne, dass manche Länder, manche Städte sind etwas mehr ausgerüstet, mit solchen Problemen umzugehen. Wir haben ja diese Unausgeglichenheit, dass manche Städte in einem Teufelskreis landen. Nehmen wir mal zum Beispiel Detroit, wo die Steuerbasis dann wegläuft und schmilzt. Wo kommt das Geld her? Vom Bund immer weniger. Daher ist es sehr unausgeglichen, wie das Problem angepackt werden kann. Es hängt vom Staat ab, es hängt von dem Land ab und natürlich auch vom politischen Willen.
"Die 50 Staaten benehmen sich manchmal wie 50 Nationen"
Klein: Und ist denn gerecht die Kritik, die jetzt auch Obama trifft, wenn man anspricht, dass große Hoffnungen da waren, dass der erste, zumindest halb afroamerikanische Präsident etwas Grundsätzliches an der Lage wird ändern können?
Janes: Ich meine, das war eine falsche Hoffnung, weil eine Person kann das nicht mit einem Zauberstock dann irgendwie aus dem Weg räumen. Insofern: Er kann ja natürlich alle Seiten ansprechen, so wie er das gestern gemacht hat. Aber im Prinzip bleiben die Lösungen auf der Kommunalebene und nicht unbedingt im White House.
Klein: Es ist möglicherweise auch ein falsches Verständnis, was auf dieser Seite des Atlantiks existiert, dass man meint, die Leute müssten nach Washington rufen. Aber die wollen im Grunde genommen gar nicht, dass man von übergeordneter, von Bundesebene bei ihnen eingreift. Das ist ja auch sehr zwiespältig.
Janes: Eben! Deswegen ist es ein Problem, weil die Staaten, die 50 Staaten, die benehmen sich manchmal wie 50 Nationen und die wollen eigentlich das Problem selber anpacken. Aber manchmal haben sie nicht die richtigen Quellen dafür, haben sie nicht das richtige Geld dafür, manchmal sind sie abhängig vom Bund. Aber das ist so eine Spannung in der Gesellschaft, die seit Jahrzehnten existiert. Und wie gesagt: Ich komme wieder zurück auf die Frage, inwieweit ist der politische Wille da, auf allen Ebenen das Problem anzuerkennen. Das ist die Hälfte der Schlacht, einfach das Problem erst mal anzuerkennen.
Klein: Eine Kritik richtet sich ja auch darauf, dass es nicht so etwas gibt wie eine nationale Aufsicht über Polizeibehörden, dass es keine wirklichen Statistiken bundesweit gibt. Aber da gilt im Grunde genommen auch: Am Ende will es eigentlich keiner, oder doch?
Janes: Wir haben ja nicht unbedingt diese Übersicht in dem Sinne. Jeder Staat, jedes Land ist eigentlich zuständig für die eigene Polizei und niemand möchte in diesen verschiedenen Kommunalebenen eine Bundespolizei irgendwie eingreifen sehen, wenn sie das überhaupt vermeiden können. Das kommt ja manchmal in Fällen vor, aber es ist ja nicht unbedingt gewünscht. Insofern ist wieder die Frage, wie können wir dann davon ausgehen, dass die jeweiligen Länder ihre eigenen Probleme anpacken, wo sie am besten angepackt werden können, und daher auch die Frage, inwieweit das in Teufelskreis bleibt, wenn das nicht passiert.
"Wir haben Spalten in der Gesellschaft"
Klein: Obama hat immer wieder, wenn er sich in der Vergangenheit zum Thema und zur Problematik geäußert hat, auch darauf verwiesen, dass die schwarze Bevölkerung sich bitte nicht in einer Art Opfertradition und Opferhaltung einrichten möge. Wie viel Verantwortung trägt die Black Community selbst in den Vereinigten Staaten?
Janes: Ich glaube, viel. Ich glaube, viel Verantwortung in dem Sinne, dass die Fähigkeit, das Problem anzupacken, bleibt in der Familie, in den unmittelbaren Nachbarschaften, und wenn das irgendwie eine Kettenreaktion auslöst, so wie es in Baltimore gerade passiert ist, dann müssten eigentlich die Führungskapazitäten nicht nur von oben runterkommen, sondern direkt an Ort und Stelle. Viele Leute haben davon gesprochen in den letzten Jahren, nicht nur Obama, und ich glaube, das ist dann wiederum etwas, wo Führungskapazitäten in allen Gruppen, Schwarz, Weiß und wo auch immer das angebracht werden kann, gerufen werden müssen.
Klein: Abschließend: ist denn damit zu rechnen, abgesehen von diesen Kameras, die jetzt bei den Polizisten befestigt werden, dass es abgesehen davon etwas grundsätzlichere Reaktionen geben wird und Konsequenzen gezogen werden?
Janes: Ich glaube, nicht. Ich glaube, dass das hier einfach nicht von der nationalen Ebene zu lösen ist. Ich glaube, es hängt davon ab, inwieweit man an gewissen Stellen im Bürgermeisteramt, im Polizeirevier und vor allen Dingen in diesen Gruppen, die auch dann angesprochen werden, ob sie dann miteinander reden können. Wir haben eine Spalte in der Gesellschaft, Spalten, nicht nur eine, und das muss überwunden werden. Das kann nur an Ort und Stelle gemacht werden.
Klein: Der US-Politikwissenschaftler Jackson Janes heute Morgen im Deutschlandfunk über die Situation in Baltimore, die Hintergründe und die notwendigen Konsequenzen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.