Vielleicht wird man dereinst, wenn man versucht eine geeignete Illustration für den September 2008 zu finden, einen Banker von Lehman Brothers mit Pappkarton unterm Arm vor den Kathedralen der Finanzmacht zeigen: Da steht er auf der Straße, müde und erledigt, und man kann beim Betrachten dieses Fotos ein bisschen etwas spüren von der Endzeitstimmung, die den Neoliberalismus kurzzeitig erfasst hat.
Vielleicht aber ist der Typ auf dem Bild auch ganz froh, dass er dem Wahnsinn der Millionen-Transfers, Hedgefonds und Immobilien-Spekulationen entronnen ist. Froh, dass er nun ohne Notebook und iPhone und den Zwang, alle zwei Minuten die Bewegungen an den Börsen zu verfolgen, an einer großen Kreuzung steht.
Ganz sicher zeigt das Bild, das in Kristof Magnussons neuem Roman "Das war ich nicht" zum Ausgangspunkt einer unglücklichen Liebesgeschichte wird und auf Umwegen doch zu einem klassischen Happy End führt, einen erschöpften Banker. Abgedruckt in der Zeitung aber nimmt dieses Foto auch emblematischen Charakter an – die Epoche der größten Finanzkrise seit 1929 spiegelt sich in diesem Gesicht. Das Gesicht gehört Jasper Lüdemann, der bei einer großen Investmentbank in Chicago für kleinere Optionsgeschäfte zuständig ist, es aber durch Leichtsinn plötzlich mit ganz anderen Summen zu tun bekommt:
Als der Kurs auf unter 6,00 gefallen war, rechnete ich nach. 650.000 Dollar Verlust, 600... Einen Moment lang tat ich nichts. Hoffte auf ein Wunder. Dass die Leute sich daran erinnerten, wie viel Angst sie noch vor zwei Wochen vor dem Platzen der Immobilienblase gehabt hatten. Sechshundertfünfzigtausend Dollar. Ich dachte nichts, handelte nicht. Rechnete nur noch meinem Verlust hinterher.
Die Verluste, die Lüdemann generiert, wachsen in immer unüberschaubarere Höhen – so hoch, dass die Bank kollabiert und das gesamte Finanzsystem ins Wanken gerät. Die Psyche des Bankers als Spieler wird so zum Signum einer bestimmten Zeit, in der das Geld als abstrakte Größe zum Roulettespiel geradezu einlud. Ähnlichkeiten mit den Ereignissen der letzten beiden Jahre sind intendiert.
Auch Henry LaMarck, der zweite von drei Ich-Erzählern in Magnussons Roman, erlebt eine Baisse: Auch bei ihm war es ein schicksalhafter Moment, der aus einem angesehenen Pulitzer-Preisträger eine Witzfigur macht. Henry LaMarck hat, um in einer Talkshow neben Elton John nicht allzu blass zu wirken, den Mund zu voll genommen und einen großen Roman über den 11. September 2001 angekündigt – für ihn persönlich mindestens ein ebenso folgenschwerer Fehler wie für die Amerikaner der Einmarsch in den Irak. Er gerät in eine Schreibkrise, die sich gewaschen hat, erwägt sogar, gänzlich mit der Schriftstellerei zu brechen und bringt damit auch seinen Verlag, der in dem Autor einen Goldesel hat, in die Bredouille.
Hoffnung schöpft er, als er den müden Banker auf dem schon erwähnten Foto in der Zeitung sieht: Der schwule Autor verliebt sich nicht nur in die Melancholie des Scheiternden, sondern sieht in Jasper Lüdemann auch eine Inspirationsquelle für seinen zu noch schreibenden Gegenwartsroman.
Auf diesen Roman wartet nicht nur die Welt sehnsüchtig, sondern vor allem die dritte Protagonistin von Magnussons "Das war ich nicht"; Meike Urbinski ist die Übersetzerin LaMarcks. Nach privaten Umwälzungen fehlt ihr nun auch noch Geld, und Vorschuss gibt es nur für Autoren – nicht aber für Übersetzer. Also beschließt sie, nach Chicago zu fahren, um ihren abgetauchten Autor Henry LaMarck zu finden und ihm den fälligen Roman abzuschwatzen. Man ahnt es: Nun laufen die Fäden und die drei Ich-Erzähler zusammen, und alle begegnen sich im Finanzviertel der Stadt: Henry LaMarck auf der Suche nach dem süßen Banker-Boy auf dem Foto, Meike auf der Suche nach Henry LaMarck, alle auf der Suche nach dem Glück. Und dann schließt sich der Kreis, als Jasper Lüdemann durch Zufall Meike Urbinski begegnet, sich in sie verliebt und unterdessen seine systemrelevante Bank in den Ruin treibt.
Kolportage, ick hör dir trapsen: Was sich nun ereignet, reichte jedem RTL-Zweiteiler zur Ehre. Ungeschickte Annäherungsversuche, Verwechslungen und Pannen, lustige Verfolgungsjagden durch hippe Cafés, Krisen und Selbstzweifel, verlorene und dann – schwuppdiwupp – wundersamerweise doch noch gerettete Millionen. Schließlich interessiert sich das FBI für Jasper Lüdemann, und der folgt seiner Meike zurück nach Deutschland in die Lüneburger Heide, wo schließlich auch Henry LaMarck auftaucht und die Dreierbande zusammenführt zum perfekten Ende. Widerlegt wird schließlich, was zu Anfang einmal so formuliert wird:
Alle sagen, dass alle nach Liebe suchen, aber das stimmt gar nicht. Einsamkeit ist eine echte Alternative, sie und die Liebe sind gleichberechtigt, wenn die Einsamkeit ihr nicht sogar überlegen ist.
Kristof Magnusson wollte den Roman zur Zeit schreiben, dazu aber auch noch einen Liebesroman und eine tragikomische Boulevard-Story. Er hat sich damit übernommen: Wo die Zu- und Unfälle sich allzu leicht zur berechenbaren Geschichte runden, wird es trivial. Der Autor scheint von seinem durchkonstruierten Plot so begeistert gewesen zu sein, dass ihm die Enge und Klischeehaftigkeit seiner Figuren, die er geometrisch genau in Beziehung zueinander setzt und denen er aber doch keine eigene Sprache geben kann, gar nicht mehr aufgefallen ist.
Das größere Problem aber entsteht durch die Banalität der Darstellung der Finanzkatastrophe: Der Schriftsteller Thomas von Steinaecker sprach kürzlich in einem Essay von der Finanzkrise auch als einer Krise des Romans: Ihm sei die Funktion als welterklärendes Instrument weitgehend abhandengekommen. Wo die Finanzwelt immer fantastischer, virtueller, unwirklicher wurde, habe der Roman immer mehr auf die Mittel des Realismus gesetzt, um die Komplexität abzubilden. Bei Magnusson ist es nicht nur Realismus, sondern mitunter Wirklichkeitsklischee. Komplexe Systeme werden miteinander in Verbindung gesetzt wie Lego-Bausteine, deren Einzelteile immer zueinanderpassen. Auch die Sprache hat manchmal etwas von einem Baukasten: schematisch, ohne eigenen Ton. Zugegeben: Die Börse in ihrer aktuellen Ausformung als von Zufällen gesteuertes, undurchschaubares System lässt sich nicht erzählen. Zumindest aber nicht in Form dieses Buchs, das auf Effekt statt auf Durchdringung setzt.
Was am Ende des Romans bleibt, dessen Titel eine kleine Anbiederung an Thomas Glavinic' "Das bin doch ich" darzustellen scheint, sind Küchentisch-Gesprächs-Weisheiten:
Doch das Leben ist nun mal kein Wunschkonzert. Noch nicht mal eine Musikbox.
Kristof Magnusson: "Das war ich nicht". Roman. Kunstmann Verlag. München 2010. 285 S. 19,90 Euro.
Vielleicht aber ist der Typ auf dem Bild auch ganz froh, dass er dem Wahnsinn der Millionen-Transfers, Hedgefonds und Immobilien-Spekulationen entronnen ist. Froh, dass er nun ohne Notebook und iPhone und den Zwang, alle zwei Minuten die Bewegungen an den Börsen zu verfolgen, an einer großen Kreuzung steht.
Ganz sicher zeigt das Bild, das in Kristof Magnussons neuem Roman "Das war ich nicht" zum Ausgangspunkt einer unglücklichen Liebesgeschichte wird und auf Umwegen doch zu einem klassischen Happy End führt, einen erschöpften Banker. Abgedruckt in der Zeitung aber nimmt dieses Foto auch emblematischen Charakter an – die Epoche der größten Finanzkrise seit 1929 spiegelt sich in diesem Gesicht. Das Gesicht gehört Jasper Lüdemann, der bei einer großen Investmentbank in Chicago für kleinere Optionsgeschäfte zuständig ist, es aber durch Leichtsinn plötzlich mit ganz anderen Summen zu tun bekommt:
Als der Kurs auf unter 6,00 gefallen war, rechnete ich nach. 650.000 Dollar Verlust, 600... Einen Moment lang tat ich nichts. Hoffte auf ein Wunder. Dass die Leute sich daran erinnerten, wie viel Angst sie noch vor zwei Wochen vor dem Platzen der Immobilienblase gehabt hatten. Sechshundertfünfzigtausend Dollar. Ich dachte nichts, handelte nicht. Rechnete nur noch meinem Verlust hinterher.
Die Verluste, die Lüdemann generiert, wachsen in immer unüberschaubarere Höhen – so hoch, dass die Bank kollabiert und das gesamte Finanzsystem ins Wanken gerät. Die Psyche des Bankers als Spieler wird so zum Signum einer bestimmten Zeit, in der das Geld als abstrakte Größe zum Roulettespiel geradezu einlud. Ähnlichkeiten mit den Ereignissen der letzten beiden Jahre sind intendiert.
Auch Henry LaMarck, der zweite von drei Ich-Erzählern in Magnussons Roman, erlebt eine Baisse: Auch bei ihm war es ein schicksalhafter Moment, der aus einem angesehenen Pulitzer-Preisträger eine Witzfigur macht. Henry LaMarck hat, um in einer Talkshow neben Elton John nicht allzu blass zu wirken, den Mund zu voll genommen und einen großen Roman über den 11. September 2001 angekündigt – für ihn persönlich mindestens ein ebenso folgenschwerer Fehler wie für die Amerikaner der Einmarsch in den Irak. Er gerät in eine Schreibkrise, die sich gewaschen hat, erwägt sogar, gänzlich mit der Schriftstellerei zu brechen und bringt damit auch seinen Verlag, der in dem Autor einen Goldesel hat, in die Bredouille.
Hoffnung schöpft er, als er den müden Banker auf dem schon erwähnten Foto in der Zeitung sieht: Der schwule Autor verliebt sich nicht nur in die Melancholie des Scheiternden, sondern sieht in Jasper Lüdemann auch eine Inspirationsquelle für seinen zu noch schreibenden Gegenwartsroman.
Auf diesen Roman wartet nicht nur die Welt sehnsüchtig, sondern vor allem die dritte Protagonistin von Magnussons "Das war ich nicht"; Meike Urbinski ist die Übersetzerin LaMarcks. Nach privaten Umwälzungen fehlt ihr nun auch noch Geld, und Vorschuss gibt es nur für Autoren – nicht aber für Übersetzer. Also beschließt sie, nach Chicago zu fahren, um ihren abgetauchten Autor Henry LaMarck zu finden und ihm den fälligen Roman abzuschwatzen. Man ahnt es: Nun laufen die Fäden und die drei Ich-Erzähler zusammen, und alle begegnen sich im Finanzviertel der Stadt: Henry LaMarck auf der Suche nach dem süßen Banker-Boy auf dem Foto, Meike auf der Suche nach Henry LaMarck, alle auf der Suche nach dem Glück. Und dann schließt sich der Kreis, als Jasper Lüdemann durch Zufall Meike Urbinski begegnet, sich in sie verliebt und unterdessen seine systemrelevante Bank in den Ruin treibt.
Kolportage, ick hör dir trapsen: Was sich nun ereignet, reichte jedem RTL-Zweiteiler zur Ehre. Ungeschickte Annäherungsversuche, Verwechslungen und Pannen, lustige Verfolgungsjagden durch hippe Cafés, Krisen und Selbstzweifel, verlorene und dann – schwuppdiwupp – wundersamerweise doch noch gerettete Millionen. Schließlich interessiert sich das FBI für Jasper Lüdemann, und der folgt seiner Meike zurück nach Deutschland in die Lüneburger Heide, wo schließlich auch Henry LaMarck auftaucht und die Dreierbande zusammenführt zum perfekten Ende. Widerlegt wird schließlich, was zu Anfang einmal so formuliert wird:
Alle sagen, dass alle nach Liebe suchen, aber das stimmt gar nicht. Einsamkeit ist eine echte Alternative, sie und die Liebe sind gleichberechtigt, wenn die Einsamkeit ihr nicht sogar überlegen ist.
Kristof Magnusson wollte den Roman zur Zeit schreiben, dazu aber auch noch einen Liebesroman und eine tragikomische Boulevard-Story. Er hat sich damit übernommen: Wo die Zu- und Unfälle sich allzu leicht zur berechenbaren Geschichte runden, wird es trivial. Der Autor scheint von seinem durchkonstruierten Plot so begeistert gewesen zu sein, dass ihm die Enge und Klischeehaftigkeit seiner Figuren, die er geometrisch genau in Beziehung zueinander setzt und denen er aber doch keine eigene Sprache geben kann, gar nicht mehr aufgefallen ist.
Das größere Problem aber entsteht durch die Banalität der Darstellung der Finanzkatastrophe: Der Schriftsteller Thomas von Steinaecker sprach kürzlich in einem Essay von der Finanzkrise auch als einer Krise des Romans: Ihm sei die Funktion als welterklärendes Instrument weitgehend abhandengekommen. Wo die Finanzwelt immer fantastischer, virtueller, unwirklicher wurde, habe der Roman immer mehr auf die Mittel des Realismus gesetzt, um die Komplexität abzubilden. Bei Magnusson ist es nicht nur Realismus, sondern mitunter Wirklichkeitsklischee. Komplexe Systeme werden miteinander in Verbindung gesetzt wie Lego-Bausteine, deren Einzelteile immer zueinanderpassen. Auch die Sprache hat manchmal etwas von einem Baukasten: schematisch, ohne eigenen Ton. Zugegeben: Die Börse in ihrer aktuellen Ausformung als von Zufällen gesteuertes, undurchschaubares System lässt sich nicht erzählen. Zumindest aber nicht in Form dieses Buchs, das auf Effekt statt auf Durchdringung setzt.
Was am Ende des Romans bleibt, dessen Titel eine kleine Anbiederung an Thomas Glavinic' "Das bin doch ich" darzustellen scheint, sind Küchentisch-Gesprächs-Weisheiten:
Doch das Leben ist nun mal kein Wunschkonzert. Noch nicht mal eine Musikbox.
Kristof Magnusson: "Das war ich nicht". Roman. Kunstmann Verlag. München 2010. 285 S. 19,90 Euro.