Musik: "Wouldn´t You Rather"
Berlin, Ende August. Mark Tremonti und Myles Kennedy empfangen in einem Hotel am Hackescher Markt, um über "Walk The Sky", das sechste Album ihrer Band Alter Bridge zu sprechen: Einen ganzen Tag lang, alle 30 Minuten mit wechselnden Gesprächspartnern.Die beiden Endvierziger sind lange im Geschäft, aber keine Rockstars, sondern bodenständige Familienväter und Koryphäen als Sänger wie Gitarristen. Neben Alter Bridge haben sie noch andere Projekte: Tremonti ist solo aktiv, Kennedy singt in der Band von Gitarrist Slash. Für die beiden Musiker bedeutet das, fast jedes Jahr kommt ein neues Produkt auf den Markt mit einer korrespondierenden Tournee. Bei jedem dieser Alben überrascht das Duo, das von Bassist Brian Marshall und Drummer Scott Phillips komplettiert wird, mit neuen Akzenten und Ansätzen. Im Falle von "Walk The Sky" sind es deutlich kürzere Songs, die auch mal mit psychedelischen Elementen oder den hypnotischen Keyboard-Sounds eines John Carpenter flirten. Und sich inhaltlich um Optimismus und Zuversicht bemühen. Oder wie es Myles Kennedy formuliert:
Musik ist Lebensphilosophie und Mission
Myles Kennedy: "Das Album soll dabei helfen, ein bisschen mehr Achtsamkeit zu entwickeln und neue Parameter aufzuzeigen, nach denen es sich zu leben lohnt. Ich will mit meinen Texten nicht predigen, aber die Sache ist halt, als Songwriter sinnierst du meist über Dinge, die du fühlst, die du dir selbst zu erklären versucht und die dadurch zu deinem persönlichen Mantra werden. Indem das aber auch andere hören, färbt das vielleicht auch auf sie ab. Und das Interessante an diesem Album ist, dass es wahrscheinlich unser bislang positivstes ist. Ich meine, klar tauchen da auch Themen wie Verlust oder Entfremdung auf, aber etliche Stücke drehen sich um einen Zen-Zustand. Darum, ein gewisses Maß an Erleuchtung zu finden."
Für die Band aus Florida ist Musik mehr als Unterhaltung. Sie ist Lebensphilosophie und Mission zugleich, sie soll die Welt zumindest ein kleines bisschen besser machen.
Musik: Creed - "With Arms Wide Open"
2019 feiern Alter Bridge ihr 15-jähriges Bestehen, doch ihre Anfänge reichen noch viel weiter zurück. In den frühen 2000ern ist Sänger/Gitarrist Myles Kennedy Mastermind der Mayfield Four. Einer Rockband aus Spokane, im Bundesstaat Washington, der eine große Zukunft prophezeit wird. Doch die Band scheitert nach zwei Alben an den hohen Erwartungen ihrer Plattenfirma und an internen Querelen. In der Folge schlägt sich Kennedy als Gitarrenlehrer und Session-Musiker durch. Ein Angebot von Slash, Frontmann seiner Interimsband Velvet Revolver zu werden, lehnt er ab. Stattdessen schließt er sich dem neuen Projekt von Mark Tremonti an. Der ist seit 1993 Gitarrist und Hauptsongwriter von Creed. Das Quartett aus Florida greift den Grunge-Sound von Bands wie etwa Pearl Jam auf, zu einer Zeit, als gerade Electronica-Künstler wie The Prodigy oder Chemical Brothers angesagt sind. Dafür wird Creed von Kritikern gehasst. Doch die Fans lieben sie. 1998 erklärt Mark Tremonti das Phänomen so:
Erfolgreichster Rock-Act der späten 90er
Mark Tremonti:"Die Leute brauchen einfach Rock´n´Roll. Und es gibt viele, die sich im Stich gelassen fühlen. Die auf Scorpions oder Metallica stehen, aber nicht mit Electronica klarkommen. Ich denke, das macht einen großen Teil unseres Erfolgs aus eben, dass es schon eine ganze Weile her ist, seit Bands auf Gitarre, Bass und Schlagzeug gesetzt haben. Die letzten waren Nirvana, Pearl Jam und Soundgarden, von denen sich die meisten längst aufgelöst haben. Wir sind halt das nächste Ding."
Creed nimmt drei Alben auf, die sich imposante 53 Millionen Mal verkaufen und die Band zum erfolgreichsten Rock-Act der späten 90er machen. Doch Sänger Scott Stapp kommt mit dem rasanten Aufstieg nicht zurecht. Er entwickelt ein Rockstar-Ego samt heftigem Alkohol- und Drogenproblem. Es kommt zu Spannungen, Personalwechseln und letztlich zur Trennung. Seit 2004 konzentriert sich Mark Tremonti auf Alter Bridge.
Musik: Alter Bridge – "The Uninvited"
Trotz der erfolgreichen Vergangenheit, der zweite Anlauf unter neuem Namen gestaltet sich nicht einfach. Alter Bridge hat in der Musikindustrie den Ruf, eine schwierige Band zu sein und wechselt vier Mal das Label. Dabei hat das Quartett lediglich klare Vorstellungen: Es will sich von der Vergangenheit abgrenzen, sich langsam nach oben spielen und etwas verkörpern, mit dem sich der Hörer identifizieren kann. Dafür steht auch der Name der Band, den Drummer so erklärt.
Scott Phillips: "Alter Bridge ist eine Brücke, die die Vororte von Detroit mit der Innenstadt verbindet und von einer wirklich netten Nachbarschaft in den sprichwörtlichen wilden Westen führt. In eine nicht ganz so gute Gegend. Kinder dürfen zwar in der Nähe der Brücke spielen, aber sie halt nicht überqueren, denn da wird es ungemütlich. Insofern steht die Alter Bridge auch für das Unbekannte. Und jetzt, da wir die vertraute und bequeme Umgebung von Creed verlassen haben, sind wir ebenfalls ins Unbekannte aufgebrochen. Deshalb der Name Alter Bridge."
Mittenbretter
Alter Bridge spielt Hardrock ohne Klischees. Ihr sechstes Album "Walk The Sky" klingt abwechslungsreich und ambitioniert. Mit Einflüssen aus der psychedelischen Musik, Referenzen an die minimalistischen, atmosphärischen Synthesizer-Soundracks von Horror-Regisseur John Carpenter, aber auch geballter Euphorie und Leidenschaft. Auf "Walk The Sky" klingt Alter Bridge oft so: Auf ein langes Intro folgen Tempowechsel, Veränderungen der Dynamik und ein hymnischer Refrain. Diese Mini-Dramen dauern durchschnittlich fünf Minuten und sind dicht instrumentiert. Zwischen den Mittenbrettern von zwei Gitarren und Keyboards ist kaum Platz für den Bass und die stark komprimierten Drums. Dennoch schimmern im Sound hier und da Streicher durch. Mark Tremonti krönt die Songs mit epischen Gitarrensoli, Myles Kennedy ist als Sänger in den höchsten Lagen des Rock´n´Roll unterwegs. Grüße an Robert Plant von Led Zeppelin.
Der Song "The Bitter End" enthält die meisten dieser Zutaten, stellt aber auch ein Novum in der Bandgeschichte dar. Mit drei Minuten 40 zählt er zu den kürzesten, die Alter Bridge bislang geschrieben haben.
Musik: "The Bitter End"
Ein weiteres Merkmal von Alter Bridge sind die positiven, lebensbejahenden Texte, ein klares Statement gegen den Pessimismus der Gegenwart. Die Mitglieder von Alter Bridge richten sich gegen Lethargie und Hoffnungslosigkeit.
Kennedy: "Das Ziel der Mächtigen und Reichen scheint zu sein, eine Welt zu kreieren in der die Menschen so verwirrt in Bezug auf die Wahrheit sind, dass sie sich einfach ausklinken und regelrecht abschalten. Ich denke, da draußen gibt es eine Fraktion, die genau das gerne sehen würde. Eben dass Leute aufhören, sich zu engagieren und sich dafür zu interessieren, wer ihre Welt kontrolliert. Dabei ist es doch so, dass man immer wach und in Alarmbereitschaft sein muss. Ansonsten wacht man eines Morgens auf und hat eine Menge seiner Rechte verloren. Von daher ist es wichtig, den Kopf nicht in den Sand zu stecken. Versucht eine Quelle zu finden, die euch als zuverlässig erscheint, haltet euch daran fest und fällt entsprechende Entscheidungen."
Musik: "Walking On The Sky"
Die Mitglieder von Alter Bridge beschränken sich aber nicht nur auf ihre Stammformation. Wenn nicht gerade ein neues Album oder eine gemeinsame Tour anstehen, wirkt Bassist Brian Marshall auf den Alben befreundeter Künstler mit. Drummer Scott Phillips unterhält die Nebenband Projected, die bereits zwei Alben veröffentlicht hat.
Musikalischer Ritterschlag
Sänger Myles Kennedy ist nebenbei Frontmann der Band von Slash und singt auf den letzten drei Solo-Alben des Guns N´Roses-Gitarristen. Außerdem ist er auf Songs von Sevendust oder Gov´t Mule zu hören und veröffentlicht 2018 sein erstes eigenes Album, "Year Of The Tiger". Ein Vorstoß ins Singer/Songwriter-Genre. Seinen musikalischen Ritterschlag erlebt er 2008 als ihn Jimmy Page, John Paul Jones und Jason Bonham einladen, Robert Plant bei Led Zeppelin zu ersetzen. Doch das Projekt verläuft im Sand.
Kennedy: "Nichts davon wurde aufgenommen. Es waren einfach nur Jams. Wir waren ein paar Tage in einem Proberaum und das war es. Wir waren vier Typen, die etwas versucht haben. Aber natürlich ist da für mich ein Traum wahr geworden, keine Frage."
Tremonti: "Ich bin einfach stolz auf Myles. Und ich glaube nicht, dass er die Band je verlassen würde. Als er den Anruf von den Led Zeppelin-Jungs bekam, haben wir ihn nicht zurückgehalten, sondern gesagt: "Geh, leb deinen Traum. Komm zurück, wann immer du bereit dazu bist." Ich denke, er würde genauso reagieren, wenn mich eines Tages Metallica anrufen. Nach dem Motto: "Kirk braucht eine 8-monatige Auszeit, kannst du für ihn einspringen?" Da würde ich auch sagen: "Jungs, ich muss für acht Monate weg. Ich melde mich, sobald ich zurück bin." Das würden sie verstehen."
Mark Tremonti ist nicht weniger umtriebig: Er jammt mit Joe Bonamassa und unterhält eine Zweitband namens Tremonti. Dort lebt er seine Vorliebe für die härtere Gangart aus, härter als der Sound von Alter Bridge.
Musik: Tremonti – "Radical Change"
"Radical Change" von Tremonti, die ihre Alben auf Fret 12 veröffentlichen. Eine Firma mit der Mark seinen Gitarren-Tick auslebt. Sei es mit der Produktion von DVDs, auf denen Kollegen wie John 5, Leslie West, Troy Stetin oder Jim Root von Slipknot ihr Spiel analysieren. Oder mit dem Verkauf seiner gebrauchten Gitarren und Verstärker. Davon hat der selbsternannte Geek etliche. Er sammelt Vintage-Verstärker, die ganze Räume seines Eigenheims in Orlando füllen und von denen er sich meist schon nach kurzer Zeit wieder trennt, um Platz für neues Spielzeug zu schaffen.
Tremonti: "Was Verstärker betrifft, bin ich ein Fanatiker. Da hege ich eine echte Obsession. Und wenn meine Kinder mal bei Freunden übernachten, heißt das für mich: "Jetzt habe ich vier Stunden Zeit für meine Verstärker." Dann drehe ich sie auf, kombiniere sie miteinander, köpfe ein paar Biere und habe eine tolle Zeit."
Ein guter Tag
Mark Tremonti zählt aktuell zu den besten Hardrock-Gitarristen der Welt. Und er genießt hohes Ansehen unter seinen Kollegen.
Tremonti: "Wir haben mal mit Van Halen in Detroit gespielt. Vor der Show hat Eddie mir seine Verstärker und seine Gitarren gezeigt. Worauf ich nur meinte: "Das gefällt mir und es fühlt sich gut an beim Spielen." Darauf er: "Welche Farbe magst du?" Und ich: "Schwarz?" Bei der nächsten Show in New York hat er mir dann eines seiner Signature-Modelle in die Hand gedrückt. Mit den Worten: "Hier, bitteschön. Nimm noch die beiden Federn auf der Rückseite raus. So mache ich das auch immer." Dann hat mich umarmt und ist auf die Bühne. Das war ein guter Tag."
Musik: "Blackbird"
In zwei Tagen startet in Hamburg der deutsche Teil der "Walk The Sky"-Tour mit fünf Konzerten, für die Alter Bridge auf ihrer Homepage ausgefallene Spezialtickets anbieten. Für 1500 Dollar, rund 1220 Euro, gibt es zum Beispiel einen VIP-Status auf Lebenszeit.
Fans wurden Freunde
Tremonti: "Bislang haben wir etwa 25 davon verkauft. Und wenn Leute so viel Geld ausgeben, um uns live zu erleben, werden sie auch königlich behandelt. Sprich: Wenn ein VIP zu einer Show kommt, esse ich mit ihm im Catering, er darf sich den Soundcheck ansehen und den Gig direkt von der Bühne verfolgen. Dasselbe gilt für Fans, die zu guten Freunden geworden sind. Die schon so viele Jahre dabei sind, dass ich sie beim Vornamen kenne und nach der Show noch ein Bier mit ihnen trinke."
Die Fan-Verbundenheit ist einmalig und passt zu einer Band, die seit 15 Jahren auf Kontinuität, Können und Leidenschaft setzt. Dieser Ansatz verspricht Alter Bridge eine rosige Zukunft. Zwar werden auch sie den Hardrock sicherlich nicht neu erfinden, aber sie übernehmen Vorbildfunktion für den Nachwuchs. Sie zeigen kommenden Generationen, wie man sich im Rockgeschäft durchsetzt, nämlich mit Ehrgeiz und richtig guten Songs.
Kennedy: "Für uns stellt ein Album immer noch die Möglichkeit dar, sich selbst auszudrücken. Und als Songwriter haben wir ein starkes Verlangen danach."
Tremonti: "Ich will einfach weiter Platten machen, auf die wir stolz sind und die uns hoffentlich einen Schritt nach vorne bringen. Bislang haben wir das Glück, dass es genauso läuft. Und wir werden so weiter machen, bis die Leute aufhören, zu unseren Shows zu kommen."