"Wir wollten einfach direkt sein. Wir wollten der Zeit entsprechend releasen."
Maurice Ernst. Erst Anfang Dezember hat der Sänger von Bilderbuch zusammen mit seinen Bandkollegen das Album "Mea Culpa" rausgebracht – ohne Vorankündigung und Werbetrommel, quasi über Nacht.
"Es hat sich unheimlich gut angefühlt, Musik rauszubringen, ohne verkaufen zu wollen in erster Linie, sondern sich wirklich auf das zu konzentrieren, was man eigentlich am liebsten tut, nämlich Musik zu machen."
Song "Ich habe Gefühle": "Ich bin bereit für dieses Risiko, stecke meinen Kopf aus dem Cabrio, Freiheit fängt bei mir ganz alleine an."
Einen sogenannten "Overnight Release" trauen sich eigentlich nur eine Beyoncé oder ein Kanye West. Also die großen Superstars, die bekannt genug sind. Für eine deutschsprachige Indie-Band - auch wenn sie erfolgreich wie Bilderbuch ist - birgt das ein Risiko. Das wussten die vier Österreicher und wagten trotzdem diesen Schritt. Um sich ein bisschen vom "Business", wie Maurice Ernst sagt, und dessen Vermarktungszwängen zu befreien:
"Die Inszenierung im klassischen Sinne - sei es auch mit Musikvideos - ist nicht mehr ganz so stark, wie vielleicht zu Zeiten von MTV, aber der visuelle Content ist trotzdem unheimlich wichtig. Es ist nicht mehr nur ein Musikvideo. Es ist Lifestyle. Leute verkaufen Lifestyle – und da gibt es Musik dazu."
Song "Vernissage My Heart": "Triff' mich auf der Vernissage, sippe am Martini, bis der Morgen kommt. Du siehst mich an der weißen Wand. Ich will nur das sein, das Du an mir liebst. Schau mich an!"
"Vernissage My Heart" - gerade mal zwei Monate später veröffentlicht - ist nun das Nachfolgealbum zu "Mea Culpa". Die Songs auf beiden Platten sind jedoch zeitgleich entstanden. Sie nehmen inhaltlich zwei unterschiedliche Perspektiven auf die Liebe ein. Die "Mea Culpa" ist privater. Die Liebe zu sich selbst, ist zum Beispiel ein Thema. Die "Vernissage My Heart" richtet sich dagegen nach außen - positiv gedeutet könnte man den Titel vielleicht als "Herz, das sich der Welt öffnet" übersetzen, denn:
"Die 'Vernissage My Heart' schaut auf ein Wir-Gefühl. Das ist eine Wir-Platte, die in Freundschaft entstanden ist. Es fängt schon musikalisch an, dass wir uns als Band wieder begriffen haben."
Konkret bedeutet das: weniger Laptop und eine Rückkehr zur Akustik - schwere Gitarren und echte Drums werden in langen instrumentalen Passagen zelebriert. Legerer Funkrock, der stellenweise an die jungen Red Hot Chilli Peppers erinnert. Verfremdung durch Autotune-Effekte sind jedoch geblieben. Textlich drückt sich das Wir-Gefühl - typisch Bilderbuch - in provokant-naiven Phrasen aus.
Maurice Ernst: "Sei es 'One Earth' oder 'One Culture' oder 'Es gibt nur eine Culture, und die kennt keine Nation'. Das man solche Dinger halt einfach sagt."
"Es gibt nur eine Culture, und die kennt keine Nation." Damit schwingt auf "Vernissage My Heart" unterschwellig eine stark politische Note mit. Bilderbuch sind eben nicht nur "Zucker und Lollipop", wie Maurice Ernst es formuliert. Der mittlerweile 30-Jährige findet es gut, in Europa zu leben. Der Song "Europa 22" wirkt wie eine alternativer Hymnenentwurf. Er thematisiert ein Erbe, das er als junger Europäer zu wertschätzen weiß und gleichzeitig zwiespältig sieht. Das vermittelt sich vor allem in einer Textzeile aus dem Song:
Song "Europa 22": "Ein Leben ohne Grenzen, ein Freedom zum Verschenken, eine Freiheit, nicht zu denken. I better open my eyes."
"'Die Freiheit, nicht zu denken' – das ist auch ein bisschen die Kritik an mich, eine Kritik an meiner Generation, eine Kritik der Leute, die mich ja doch in der Masse umgeben. Es ist dieses Selbstverständliche, was wir haben. Das Selbstverständliche, Freiheit auch als selbstverständlich zu empfinden und gleichzeitig, sich da keine Sorgen zu machen. Das ist ein Luxus und ein Wohlstand."
Dennoch: Bilderbuch moralisieren nicht. Alles bleibt leicht wie ein Frisbee. Zur Veröffentlichung von "Vernissage My Heart" stellen Bilderbuch seit ein paar Tagen auf Facebook, Instagram & Co. europäische Pässe aus. Dann halt doch ein bisschen Promo, mit einer positiven, nicht allzu verkopften Botschaft.
Auch 2019 machen Bilderbuch anscheinend, was ihnen Spaß macht: "Sich selber zu überraschen oder sich selbst zu entertainen. Das ist eine treibende Kraft in dieser Band. Das war es bist jetzt und das kann sich auch immer ändern, aber so entstehen solche Platten."