Musik: λ "Lambda"
Seit 2003 gibt es Von Spar. In den ersten 15 Jahren veröffentlicht die Kölner Band fünf Studioalben. Das Personal: Christopher Marquez am E-Bass und den elektronischen Gerätschaften wie Sampler und Sequenzer, Phillip Tielsch an der E-Gitarre, Sebastian Blume an den diversen analogen Synthesizern und Philipp Janzen am Schlagzeug. Alle vier sind sie in den 1970er Jahren geboren und ganz unterschiedlich musikalisch sozialisiert: Punk und Hardcore, Post-Rock, Klassik, House und Techno — alles fließt ein in die losgelösten und doch so streng komponierten Stücke. Von Spar ist eine ungewöhnliche Formation: Von der musikalischen Herangehensweise mehr Kollektiv als Band. Es gibt keine Hierarchien, basisdemokratisch wird komponiert, und einen festen Sänger haben sie seit dem dritten Album auch keinen mehr — nur noch Gästesänger.
Philipp Janzen: "Wir werden oft gefragt: Wie kann es sein, dass eine Band so lange besteht wie wir bestehen, ohne einen klaren Leader zu haben? Es ist ja wirklich eine demokratische Veranstaltung, die wir hier führen."
Sebastian Blume: "Das ist so ein Luxus, den wir uns da erlauben, dass wir sagen: Wir sind jetzt nicht so die Gruppe von vier oder fünf Leuten, die auf so ein feststehendes Personal begrenzt ist, sondern wir fahren so eine Open-House-Politik in vielen Bereichen und sind halt froh über Input, der von anderen Leuten da rein kommt. Bestenfalls werden die Platten da vielfältiger dadurch."
Philipp Janzen: "Unsere Musik verändert sich. Das Instrumentarium, was wir benutzen verändert sich, genauso verändert sich auch so etwas wie ein Bedarf nach einer Stimme."
Musik: "A Dream"
Sebastian Blume: "Teilweise sind die Ideen, mit denen wir anfangen, schon relativ ausgearbeitet von einem von uns. Und teilweise ist es wirklich nur ein Groove, ein Sound, ein Molekül, aus dem der Rest dann entsteht."
Schaltzentrale des Musikkosmos von Von Spar ist ein winziges Studio in Köln-Zollstock. Ein Aufnahme- und Proberaum mit Mischpult, Schlagzeug und diversen Synthesizern auf nur etwa 20 Quadratmetern. Sebastian Blume sitzt am Computer und klickt sich durch Aufnahmen, seine Synthesizer in Reichweite. Philipp Janzen wippt auf seinem Schlagzeug-Hocker. Sie wollen mal kurz ihre Arbeitsweise an den Kompositionen demonstrieren. In der Studio-Software sind die Spure der 2019 erschienen Platte "Under Pressure" geladen.
Sebastian Blume: "Weiß nicht, wie aussagekräftig das jetzt ist."
Philipp Janzen: "Mach mal an, mal gucken, was da kommt überhaupt."
Sebastian Blume: "Das ist die Frage." Klingt schon ein bisschen matt alles, ohne Outboard. Das müsste man jetzt hier an der Patch-Bay wieder neu miteinander verbinden und die Einstellung finden, die es beim Mix hatte, damit es wirklich so klingt wie es gemacht ist."
Es ist zu aufwendig, das noch mal zu rekonstruieren, das Arrangement in der produzierten Fassung. Aber die alten Synthesizer im Studio, die gegeben einen ganz guten Einblick in ihren Klang-Kosmos - wie der legendäre "Roland Juno 106", der da rum steht, und auf jedem Album zum Einsatz kommt.
Sebastian Blume: "Das ist mittlerweile ein Klassiker aus den 1980er Jahren, den wir schon sehr lange haben. Eigentlich seit es Von Spar gibt. Bei den ersten Konzerten war der schon mit auf der Bühne. Das ist ein Synth, mit dem man sehr schöne Flächen machen kann, mit so einem eingebauten Chorus auch, der eine schöne Weite macht. Der wird aber tatsächlich immer noch, obwohl sehr viele andere dazugekommen sind, bei Aufnahmen eingesetzt. Wenn Du willst, kann ich Dir mal einen Ausschnitt vorspielen, der genau damit gemacht worden ist, auf der Platte.Das ist ein Synthesizer, mit dem man sehr schöne Flächen machen kann, mit so einem eingebauten Chorus auch, der so eine schöne Weite macht."
Analoge Technik
"Das ist mitten raus aus dem Stück Mont Ventoux so ein Fläche, die kommt da so ungefähr nach zwei, drei Minuten. Das ist glaube ich die einzige Stelle, wo jetzt der Juno 106 vorkommt auf der Platte, deswegen hatte ich die eben raus gesucht. Insgesamt: Das Stück ist so das, wo am meisten verschiedene analoge Technik im Einsatz ist, weil das so eine Reise ist, die sehr viele verschiedene musikalische Stationen besucht. Und natürlich auch digitale Technik, wie zum Beispiel ganz am Anfang des Stücks wird mit Sampling gearbeitet. Das ist alles aus einem Mini-Gitarren-Motiv entstanden, was dann im Sampler auf der Klaviatur gespielt zu einer komplexeren Textur verwoben ist."
Sebastian Blume: "Das muss ich nur finden, weil man da so ein bisschen hören kann, wie das entstanden ist. Genau. Das ist so die Keimzelle für die ersten zwei Minuten von Stück. Nur diese drei Töne von der Gitarre, die wir dann in den Sampler rein geladen haben und einmal vorwärts gesampelt, einmal rückwärts gesampelt haben. Daraus entsteht dann das:"
Musik: "Mont Ventoux"
Sebastian Blume: "Das ist ein Beispiel, für eine für uns relativ ungewöhnliche Art zu arbeiten."
Musik: "Mont Ventoux"
Philipp Janzen trommelt einen ungeraden, komplexen Rhythmus, Christopher Marquez hängt sich mit seiner groovenden Bassline daran, darüber die Blasen werfenden Synthesizer-Spiralen von Sebastian Blume und ein bräsiger Gitarre-Sound von Phillip Tielsch. Das klingt als hätten Von Spar mal eben den Progressive-Rock der 1970er-Jahre auf eine Frischzellenkur geschickt - und das 40 Jahre später. Innerhalb weniger Takte reisen die Kölner in die Musikgeschichte zurück. Ein Liebäugeln mit der Musik-Historie als Pop-Pastiche, sozusagen "im Stile von", und doch ganz eigen, frisch und durchtrieben - mathematisch wie am Reißbrett entworfen. Post-Rock als ausladende Geste. Überhaupt: Rockmusik! Da passen vielleicht die tätowierten Arme von Schlagzeuger Philipp Janzen ins Klischee.
Sebastian Blume: "Das ist der einzige mit Tattoos."
Philipp Janzen: "Und ich habe sogar ein Tribal-Tattoo. Sagen wir mal so: Das Label Rock, das geht einem wirklich nicht gut runter. Das hat so etwas Martialisches, so ein bisschen was aus vergangenen Zeiten, die berechtigter Weise auch vergangene Zeiten sind. Also die Archaik des Rockers mit dem Fuß auf der Monitorbox, oder so. Da komme ich nicht her und habe mich nie so gefühlt und sehe mich da nicht verankert."
Sebastian Blume: "Ich glaube die Reverenzen, die jetzt da sind, sind vielleicht einfach nicht so offensichtlich für eine deutsche Band, die mit Krautrock assoziiert wird. Ich meine, das ist immer gefährlich, so etwas selbst zu benennen, aber da sind schon Elemente, die vielleicht eher aus so einem Fusion-Bereich auch kommen mitunter eingeflossen. Nicht, dass wir Fusion-Musik machen würden. Aber das hat auf einmal auch so seine Ekligkeit ein bisschen verloren in den letzten Jahren, haben wir festgestellt, die es halt so in den späten 1990ern, frühen 2000ern hatte. Und man kann viele Sachen da jetzt wieder sehr frisch hören, die vielleicht so ein bisschen einen ranzigen Geruch hatten eine Zeit lang."
Das ist es, was Von Spar so besonders macht: Sie entstauben in die Jahre gekommene Musik-Genres und kombinieren sie zu einem ungewöhnlichen Hybrid aus Jazz-Rock und New Age, Space-Pop und Tech-House. Von Spar verschmelzen Stilistik diverser Sub-Genres zu homogenen, aber immer auch transparenten Kompositionen. Mit der Bezeichnung "Neo-Krautrock" können sie selbst gut leben. Dahinter steckt stilistischer Freigeist, die Aufarbeitung von Althergebrachtem. Nennen wir es "Coming-of-New-Age": Hier findet eine Entwicklung statt, die keine musikalische Grenzen kennt und durch Innovation einen eigenen Charakter entwickelt.
Philipp Janzen: "Wir befinden uns doch, wenn man das so sagen kann, in der Postmoderne und solche Meta-Ebenen sind jetzt möglich. Das heißt: Man kann zum Beispiel New-Age-Musik entkontextualisieren und in einen neuen Kontext packen. Und auf einmal hat diese Musik eine ganz andere Färbung als sie das hatte als sie vielleicht entstanden ist, damals. Und das ist natürlich auch nach wie vor total spannend. Vielleicht ist es nicht mehr so einfach wie es früher mal war, neue Musik zu machen. Es ist aber sehr wohl möglich Techniken, Klänge, Ästhetike zu entkontextualisieren und in ein neues Fahrwasser rein zu schieben. Und das ist natürlich total spannend und es bleibt auch total spannend."
Musik: "HyBoLT"
Modulare Synthesizer-Meditationen à la Jean Michel Jarre verarbeiten Von Spar Jahrzehnte nach dem französischen Avantgardisten der Minimal Music in ihren am Post-Punk geschulten Kompositionen. Außerweltlich und geerdet, stampfender Beat und flirrende Klangflächen. Die Stücke von Von Spar wecken Erinnerungen an die sogenannte Kosmischen Musik der Krautrock-Legenden Can, Neu!, Cluster und Harmonia. Auch Global Pop ist kein Tabu!
Philipp Janzen: "Genau dieser Begriff ist natürlich auch assoziativ im Kollektiv gefallen. Weltmusik hat sich ja gelöst von diesem Verquasten, Hippieesken, Esoterischem, was es mal hatte in den 1990er-Jahren. Der Begriff hat sich emanzipiert, wie das so oft passiert im Pop-Bereich. Zumindest kenne ich Leute, die ohne sich zu schämen heutzutage Andreas Vollenweider hören, was vor 20 Jahren nicht möglich gewesen wäre."
Geradlinige Kompositionen
In den Nuller-Jahren ist es der aus dem New Yorker Underground entwachsenen Disco-Punk im Stil von LCD Soundsystem und The Rapture, den Von Spar mit Soft-Rock und Space-Pop verschmelzen. Die Wiederholung als Prinzip. Ihre Kompositionen sind repetitiv, hypnotisierend, geradlinig. Horizontale Popmusik, tranceartig verwoben in schillernd kosmische Klänge.
Philipp Janzen: "Dieses Minimalistische, was überhaupt nicht das Bedürfnis hat auf einen Klimax zuzusteuern, ist uns auch irgendwie sehr wichtig. Das hat auch etwas von einer Abwendung gegenüber Archaischem, also dass man eben nicht die große Geste braucht und den großen Gong am Ende, sondern dass man es auch dabei belassen kann und das Repetitive ausreicht."
Musik: "A Dream"
Auf dem Debüt-Album klingen Von Spar 2004 noch ganz anders: Das Aufarbeiten der Musik-Historie ist nicht bloß angedeutet, sondern wird zur offensichtlichen Dekonstruktion von Song-Strukturen und Popzitaten - roh und ungeschliffen. Sie veröffentlichen ein Electro-Punk-Album mit Indie-Pop-Anleihen, das den schönen Titel trägt: "Die uneingeschränkte Freiheit der privaten Initiative". Damals noch mit Thomas Mahmoud als Frontmann - mehr Schreiend als Singend.
Musik: "Bunsenwahrheiten"
"Bunsenwahrheiten" aus dem 2004 erschienen Von-Spar-Debütalbum. Drei Jahre später erscheint das selbstbetitelte, zweite Album von Von Spar. Es klingt wie die radikale Abwehr jeglicher Konventionen, wie ein Bruch mit Erwartungshaltungen. Es ist die Verabschiedung vom zugänglichen Popformat von drei-, vierminütigen Songs: Ein mäanderndes Opus Magnum ohne Songstrukturen, ein Album mit nur zwei Stücken, jeweils um die 20 Minuten. Krautig und punkig. Anti-Pop. Oder: Meta-Musik.
Philipp Janzen: "Man startet mit einem gesteigerten Interesse musikalische Formen neu zu definieren, aufzubrechen und so weiter. Und das macht nicht nach der ersten Platte halt. Sondern man macht eine Platte und es wäre einfach todlangweilig das immer wieder zu reproduzieren. Wir haben es als extrem logisch wahrgenommen nach der ersten Platte, die zweite nicht klingen zu lassen wie die erste Platte."
Musik: "Xaxapoya"
Philipp Janzen: "Man war allerdings schon so ein Stück weit konsterniert, als man sah wie die Reaktionen auf die zweite Platte rein kamen, beziehungsweise wie gar keine Reaktion auf die zweite Platte rein kam. Eben, weil man das nicht als Verweigerungshaltung hat, sondern man hat das als eine logische Entwicklung gesehen, wo gefälligst Applaus her muss. Das hat so nicht funktioniert. Im Nachhinein, würde ich sagen, gibt es gute Gründe, dass das nicht so funktioniert hat. Aber das liegt eher am Inhaltlichen als an dem Bruch selber."
Band ohne Frontman
Auch formal ist es ein anstrengendes Album: zwei 20-Minüter, wabernder Krautrock-Punk, der klingt wie die Vertonung eines Albtraums. Und auch mit dem comichaften Vokal-Performer Thomas Mahmoud als Sänger hat es nicht richtig funktioniert. Mit ihrem zweiten Album verabschieden sich Von Spar vom Konzept eines festen Frontmanns.
Musik: "Xaxapoya"
Philipp Janzen: "Die Wunden sind verheilt. Und da, wo die Narben entstanden sind, ist das Fleisch noch stärker als vorher. Also wir sind nach wie vor sehr gut mit Thomas befreundet, schätzen ihn auch als Musiker sehr stark und schätzen ihn auch für seine Leistung, uns zu veranschaulichen, dass es vielleicht für uns besser ist, ohne festen Sänger zu arbeiten."
Sie machen aus der Not eine Tugend. Ihren bis ins kleinste Detail auskomponierten und intelligent produzierten Tracks schadet das nicht — im Gegenteil: Das Studio ist eines ihrer Instrumente, und auch der Gesang. 2019 bekommen acht der neun Stücke auf dem Album "Under Pressure" Vocals — von drei Sängerinnen und zwei Sängern. Lætitia Sadier von den Londoner Postrock-Pionieren Stereolab leiht ihre Stimme der ungewöhnlich poppigen und gegen Ende auch krautig mäandernden Komposition "Extend the Song".
Musik: "Extend the Song"
Philipp Janzen: "Das ist natürlich ein toller Luxus zu sagen: Wir haben hier ein Stück, wir können uns vorstellen, dass die Stimme so und so drüber steht oder was auch immer, und können dann eben uns damit beschäftigen, welche Person das singen könnte. Natürlich verbindet uns auch viel persönlich mit den Leuten, mit denen wir arbeiten, zum Beispiel mit dem Chris: Wir sind gute Freunde."
Fast die Hälfte der Stücke auf dem 2019 erschienen Album "Under Pressure" singt wie auf "Streetlife", dem Album zuvor, der kanadisch stämmige und in Köln wohnende Musiker Christopher Cummings alias Marker Starling. Er gehört fast schon zum Band-Personal, ist aber doch nur Molekül des kosmischen Klang-Kollektivs Von Spar.
Philipp Janzen: "Uns alle verbindet ein bestimmter Wunsch nach Freiheitlichkeit des eigene Lebens und der eigenen Musik. Und ich denke, das macht das Kollektiv aus."
Musik: "Chain of Command"
Das Kölner Band-Kollektiv Von Spar entführt mit seinen Kompositionen in einen eigenwilligen, musikalisch grenzenlosen Kosmos und nimmt den Hörer mit auf eine musikalische Reise — auch ohne berauschende Substanzen. Bei Von Spar geht zusammen, was scheinbar nicht zusammen gehört. Stampfender Techno-Beat, verkitschtes Piano-Motiv, dazu Soft-Rock-Gesang. Das ist Dream-Pop in Neonfarben, der glitzert wie Sternstaub.
Musik: "Chain of Command"