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Band X-Japan
Zwischen Manga, Herzschmerz und Rock'n'Roll

33 Millionen Alben in 35 Jahren: Die japanische Band X-Japan gilt seit den 1980ern als das fernöstliche Gegenstück zu Guns N' Roses und hat eine bewegte Karriere hinter sich – von der man hierzulande nicht viel mitbekommen hat. Das soll sich nun ändern, hofft der Musiker Yoshiki Hayashi.

Von Marcel Anders |
    Ein Bassist, zwei Gitarristen stehen auf einer Bühne und spielen Rock-Musik, hinter ihnen sitzt ein Mann an einem Schlagzeug und trommelt.
    Gelten als Guns'n' Roses aus Japan, sind in Europa aber fast unbekannt: die Band X-Japan. (picture alliance / dpa / Hu Wencheng)
    Musik "Tears" (live)
    "Wir sind heute stärker denn je. Dabei hatten wir unseren Sänger zwischenzeitlich an eine Sekte verloren, ein Bandmitglied ist gestorben und wir haben uns aufgelöst. Jetzt sind wir wieder da - was ein Wunder ist. Deshalb leben wir jeden Augenblick so intensiv, wie möglich. Und spielen so oft wie wir nur können. Denn wir sind stark – also zumindest ich. Ich kann 48 Stunden durcharbeiten und immer noch rocken!"
    33 Millionen Alben in 35 Jahren
    In Punkto Selbstbewusstsein steht Yoshiki seinen westlichen Kollegen in nichts nach. Der 51-Jährige aus Chiba, östlich von Tokio, ist ein Rockstar, den jedes Kind in Asien kennt. Der sich durch plastische Chirurgie jung hält, die Augen hinter einer Sonnenbrille versteckt, von einem Tross an Bodyguards und Assistentinnen begleitet wird und wallende, weiße Gewänder trägt. Ein Wesen wie aus einem Manga - surreal und mega-erfolgreich: 33 Millionen Alben haben X-Japan in den letzten 35 Jahren verkauft, das letzte datiert von 1997. Danach wurde Sänger Toshi das Opfer einer Sekte, Gitarrist Hide beging Selbstmord und die Band löste sich auf. Seit 2007 ist man wieder zusammen und bastelt an neuen Songs, die 2017 erscheinen sollen.
    "Wir wollen ein richtig heftiges Album veröffentlichen, wobei 99 Prozent der Texte auf Englisch sind. Was nicht leicht ist. Denn Toshi spricht zwar Englisch, aber nicht wirklich gut. Deshalb haben wir viel Zeit in den Gesang und die Nachbearbeitung gesteckt."
    Musik "Born To Be Free"
    Das ist die Achillesferse der Band: Die Sprachbarriere, unter der ganz Asien leidet – und die Kommunikation mit der Welt und die Akzeptanz auf fremden Märkten erschwert. Musikalisch bewegen sich X-Japan nämlich auf demselben Level wie ihre Kollegen aus Europa und Nordamerika Das Quintett zelebriert Hardrock mit Speed-Metal- und Prog-Anleihen, liebt Balladen voller Drama und Herzschmerz und bewegt sich in der Schnittmenge zwischen Kiss, Mötley Crue und Bon Jovi. Nur: Alle Versuche, im Westen Fuß zu fassen, sind an der Muttersprache gescheitert. Doch durch soziale Medien und die Manga-Szene seien die Chancen heute besser und die Kommunikation einfacher geworden. Zumal das Wesentliche, so Yoshiki, eh etwas anderes sei.
    "Letztlich zählt nur die Melodie. Deshalb höre ich immer noch die Scorpions. Ich versuche nur, starke Melodie zu schreiben, um die Leute zu berühren und zu bewegen."
    Musik "Desperate Angel"
    Ob Yoshiki damit richtig liegt, wird sich zeigen, wenn das sechste Album von X-Japan erscheint. Das soll der große internationale Durchbruch werden – für eine Band, die in ihrer Heimat seit 1983 alle Rekorde bricht, die größten Hallen und Stadien füllt, und eine interessante Vita aufweist. Von Punks mit schrillem Make-up und bunten Irokesen-Frisuren, bis hin zu betuchten Herren in schicken Anzügen. Festgehalten im Biopic "We Are X", das gerade auf unabhängigen Filmfestivals läuft.
    "Wir wollten den Film erst gar nicht – weil wir es als sehr schmerzhaft empfinden, unsere Geschichte zu erzählen. Da sind Momente, wie der Tod unseres Gitarristen oder der meines Vaters, die beide Selbstmord begangen haben, und worüber ich kaum reden kann. Aber ich habe mich doch überzeugen lassen. Einfach, weil der Film den Leuten helfen kann. Jemandem, der Depressionen oder andere Schmerzen hat, kann er Mut zum Weitermachen geben."
    Musik "Jade"
    Rockstar und Wirtschaftsmogul
    Was Yoshiki unterschlägt: Die Filmbiografie ist auch geschickte Eigenwerbung für die Band und ihre zahlreichen Nebenaktivitäten. Das gilt insbesondere für ihn: als Songwriter, Sprachrohr, Produzent, Schlagzeuger und Pianist von X-Japan. Aber auch als regelrechten Wirtschaftsmogul, mit eigenem Studio in Los Angeles, einer Produktionsgesellschaft, die Casting-Shows für den asiatischen Fernseh-Markt entwickelt, einem eigenen Comic und einem Indy Car-Rennstall. Außerdem ist er Werbeträger für Kreditkarten, Wein und besitzt eine eigene Kimono-Kollektion.

    Ein Mann. der eine Lederhose trägt, sitzt mit nacktem Oberkörper auf einer Konzertbühne an einem Flügel und winkt ins Publikum.
    Der Musiker Yoshiki der japanischen Band X-Japan während eines Auftritts 2011 in Hong Kong. (dpa/picture alliance/Hu Wencheng)
    "Meine Familie hatte ein Kimono-Unternehmen. Und normalerweise übernimmt der älteste Sohn das Geschäft. Das war ich – aber ich wurde halt Rockstar. Bis ich jemanden kennengelernt habe, dessen Familie seit hunderten von Jahren Kimonos entwirft. Mit dem habe ich mich zusammengetan und eine eigenen Marke entworfen. Denn die Kimono-Industrie schrumpft immer weiter. Deshalb unterstütze ich sie, indem ich Rock'n'Roll-Kimonos für jüngere Leute entwickle. Aber wir haben auch eine traditionelle Linie."
    Multimillionär und klassisch geschulter Musiker
    Geschäftssinn, der sich auszahlt: Yoshiki ist ein Multimillionär mit mehreren Villen, imposantem Fuhrpark, Privatjet, Hubschrauber und immer neuen Ideen. Wie eigener Eiscreme oder Schlagzeuge und Klaviere aus durchsichtigem Acryl. Aber: Er ist auch ein klassisch geschulter Musiker, der seit seinem viertem Lebensjahr Klavier spielt und so viel Renommee genießt, dass er seine Interpretationen von Bach, Beethoven und Chopin in der New Yorker Carnegie Hall oder vor dem japanischen Kaiser aufführt, und auf diesem Terrain als echte Koryphäe gilt.
    "Ich schätze mich glücklich. Vor X-Japan war ich ein klassischer Pianist - insofern habe ich das im Blut. Rock´n´Roll ist mein Fleisch, aber in meinem Blut ist die Klassik."
    Auch 2017 wird er wieder Solo-Konzerte in den renommiertesten Kulturtempeln des Westens geben - vor einem euphorischen Fachpublikum. X-Japan dagegen beschränken sich auf sporadische Stippvisiten – wie gestern Abend in der ausverkauften Londoner Wembley-Arena vor 17.000 europäischen Fans, die auf Mangas und visuellen Rock stehen. Auf Musiker, die sich vor gespieltem Schmerz auf der Bühne winden, mit dem Schlagzeug-Podest über den Köpfen des Publikums schweben und die neueste Bühnentechnik auffahren. Ginge es nach Yoshiki, würde man diese Form von Rock-Entertainment bald auch in Deutschland zelebrieren.
    "Eines meiner Lieblingsländer. Und ich liebe Currywurst. Im Ernst!"