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Bandenkriminalität in Schweden
"Auch Folge eines sozialen Sparkurses"

Schüsse auf offener Straße und Autobomben. In Schweden spitzt sich das Problem mit gewalttätigen Banden zu. Dänemark hat Grenzkontrollen eingeführt. Philipp Fink, Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung für die Nordischen Länder, sieht Fehler in der Integrationspolitik als Ursache der Kriminalität.

Philipp Fink im Gespräch mit Bastian Rudde |
Schwedische Polizistinnen sichern eine Gegend in Malmö, in der mehrere Menschen durch Schüsse verletzt wurden.
Schwedische Polizistinnen sichern eine Gegend in Malmö, in der mehrere Menschen durch Schüsse verletzt wurden. (AFP / TT News Agency / Johan NILSSON)
Bastian Rudde: Das Image Schwedens ist das eines friedfertigen, toleranten Landes. Tatsächlich jedoch hat Schweden schon länger ein großes Problem mit kriminellen Banden, vor allem im Süden des Landes rund um Malmö. Dieses Problem spitzt sich jetzt zu. Nachdem letztes Wochenende ein 15-Jähriger vor einer Pizzeria ermordet wurde, hat die schwedische Polizei eine Art Notstand ausgerufen, der unter anderem für terroristische Anschläge vorgesehen ist. Kriminelle aus Schweden werden auch verantwortlich gemacht für Explosionen in Dänemark, weswegen das Nachbarland Grenzkontrollen eingeführt hat. Darüber konnte ich sprechen mit Philipp Fink. Er ist Direktor des Büros für Nordische Länder bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Stockholm und hat mir geschildert, wie er die Bedrohungslage gerade wahrnimmt.
Philipp Fink: Es ist jetzt inzwischen schon ein bedrohliches Gefühl entstanden, da die Berichterstattung entsprechend zugenommen hat und die Ereignisse jetzt auch mehr oder weniger in vielen Situationen im Alltag der einzelnen Schweden und Dänen auch erschienen ist. Vor allem es geht um Schweden, jetzt weniger um Dänemark.
Rudde: Bandenkriminalität in Schweden, vor allem in Malmö, das ist nichts Neues, warum aber nimmt sie jetzt so zu?
Fink: Weil die Art der Anschläge entsprechend Aufsehen erregt hat. Also das sind zum Teil Sprengstoffanschläge, und das ist eigentlich ein Unikum, das kommt eigentlich gar nicht so oft vor. Die Anzahl der Anschläge hat extrem zugenommen. Beispielsweise vor zwei, drei Wochen hatten wir in Stockholm an einem Donnerstagabend drei Anschläge hintereinander. Man muss auch sagen, es gab auch aufsehenerregende Morde.
"Vermutlich junge Täter aus Einwandererfamilien"
Rudde: Banden – über wen reden wir da überhaupt genau?
Fink: Das ist sehr schwer zu sagen. Also man weiß nicht besonders viel. Man weiß, dass die Täter sehr jung sind. Man weiß, dass sie aus Einwandererfamilien stammen. Man vermutet, dass weil die Täter sehr jung sind, dass sie Aufträge erfüllen, also den Sprengstoff oder die Tasche abzustellen oder kleine Raubüberfälle durchzuführen, aber man weiß relativ wenig über die Hintermänner. Man weiß nur, dass sich das jetzt, diese ganzen Geschehnisse, sich eigentlich in den Einwanderungsvölkern abgespielt hat. Zunehmend passieren diese Sachen mehr in der Öffentlichkeit, also mehr in anderen Vierteln, und man vermutet, dass das eher Revierkämpfe sind zwischen verschiedenen Banden, die sich eigentlich um Märkte und um Geldquellen streiten.
Rudde: Einwanderer sagen Sie, aber wir reden ja über Schweden. Sie haben gesagt Einwanderer der zweiten oder dritten Generation. Bewerten wir das Ganze mal politisch. Welche Versäumnisse hat es denn mutmaßlich gegeben, dass die Situation so werden konnte wie sie jetzt ist?
Fink: Das ist eine Mischung von verschiedenen Faktoren. Zum Teil kann man von einer fehlgeleiteten Integrationspolitik sprechen, indem Ghettos entstanden sind, indem praktisch bestimmte Viertel, weil sie günstig waren oder weil Bekannte und Verwandte bereits vor Ort waren, weiteren Nachzug ausgelöst haben, und dieser Nachzug wurde nicht geregelt. Dann muss man sagen, dass das Land ja eigentlich eine sehr rigide Sparpolitik fährt seit einigen Jahren und entsprechend bestimmte Kommunen nicht unterstützt werden können, die Polizei schlecht ausgestattet ist. Die Kommunen können nicht unterstützen. Sie sind aber gleichzeitig verantwortlich für die Bildung, für die Vorschulbildung und auch für die sozialpolitischen Instrumente, und da ist einfach nicht genug Geld da und dass man sich nicht gekümmert hat.
"Partei Schwedendemokraten will Situation ausnutzen"
Rudde: Schweden wird regiert von einer sozialdemokratisch grünen Minderheitsregierung, und die bekommt gerade Druck von der rechtspopulistischen Partei Schwedendemokraten. Spielt denen die aktuelle Entwicklung jetzt in die Karten?
Fink: Ja, also was man jetzt sehen kann, ist, dass die Zustimmung für die Schwedendemokraten sehr hoch ist. Also sie liegen mehr oder weniger Kopf an Kopf mit den Sozialdemokraten in den letzten Umfragen. Die Schwedendemokraten nützen das aus, indem sie natürlich für eine harte Law-and-Order-Politik eintreten und eine harte Migrationspolitik auch eintreten.
Rudde: Aber sehen Sie das denn als zulässig an, jetzt die Gewaltdiskussion zu vermengen mit einer Diskussion zum Beispiel über aktuelle Zuwanderung oder über Flüchtlinge?
Fink: Ja, das ist in der Tat eigentlich eine sehr ungeschickte Sache, die da läuft, dass sozusagen die verschiedenen Sachen miteinander vermengt werden. Wie ich schon gesagt hatte, es handelt sich ja eigentlich um Schweden, die eigentlich einen Migrationshintergrund haben, das heißt also, sie sind hier aufgewachsen, sie sprechen Schwedisch und so weiter und so fort. Gleichzeitig wird das natürlich ausgenutzt von den Schwedendemokraten, da entsprechend eine migrationspolitische Debatte zu führen. Das ist ein bekanntes Muster, das kennen wir auch von uns von der AfD.
"Migrationsdebatte fehl am Platz"
Rudde: Schweden hat ja schon einen Paradigmenwechsel in Sachen Asylrecht und Zuwanderungspolitik vollzogen, ist von sehr liberal gewechselt zu sehr rigide, sehr streng. Wenn jetzt noch mehr Wähler auf, wie Sie sagen, die Law-and-Order-Rhetorik der Schwedendemokraten eingehen, wohin soll es danach gehen in Schweden?
Fink: Das ist jetzt gerade schwer zu sagen. Das Problem ist, was ich auch gerade gesagt hatte, dass sich das vermengt, einmal die Migrationsdebatte, also praktisch die Zuwanderung, diese zu steuern. Da sind schon Veränderungen vorgenommen worden seit 2015, seit 2016. Die andere Debatte ist eigentlich die Integrationsdebatte. Das betrifft jetzt aber natürlich nicht nur Einwanderer, sondern das ist für mich immer so eine Art Feigenblatt, das passiert ja bei uns in Deutschland auch, dass es eigentlich viel mehr um Strukturen geht und um die Sache der öffentlichen Daseinsvorsorge, die Rolle des Staates bei der Finanzierung der Bildung und der Organisation der Bildung oder jetzt bei anderen öffentlichen Gütern. Man führt aber die Diskussion in Richtung, dass die Migration schuld sei, dass der Wohlfahrtsstaat so nicht funktioniert.
Rudde: Wie sinnvoll wäre es, stattdessen in Schweden darüber politisch zu diskutieren, dass man weniger leicht an Waffen kommt oder an Substanzen, die man auch missbrauchen kann als Sprengstoff?
Fink: Das wird auch diskutiert. Also es gibt einen 35-Punkte-Plan von der Regierung, die das aufgestellt hat, mit weitreichenden Befugnissen für die Polizei soll der Zugang zu Waffen beziehungsweise zu Sprengstoff weiterhin reguliert werden, aber es ist natürlich so, das ist ein Land mit relativ offenen Grenzen in der EU, und man kommt damit natürlich leicht an Sachen ran. Zum Teil ist es so, dass es Feuerwerkskörper sind, die auch eingesetzt werden, also entsprechend vermengt werden. Die haben, glaube ich, letztes Jahr, eine ganze Ladung von sogenannten Bangers, also hochexplosiven Feuerwerkskörpern, in Polen sichergestellt. Das führte dazu, dass die Anschläge auch abgenommen haben.
"Grenzkontrollen sind symbolischer Akt"
Rudde: Inwiefern können denn Grenzkontrollen jetzt helfen, die Kriminalität in den Griff zu kriegen?
Fink: Das kann natürlich die freie Beweglichkeit einschränken, aber das ist auch eher ein symbolischer Akt, sondern, wie schon gesagt, das sind ja eine ganze Mischung an Maßnahmen, die eigentlich im sozialpolitischen, bildungspolitischen und finanzpolitischen Bereich stattfinden sollten.
Rudde: Grenzkontrollen zwischen Dänemark und Schweden sind ja keine Seltenheit, muss man sagen, beide Länder haben sie schon benutzt, auch zum Beispiel, um Zuwanderung zu stoppen von Flüchtlingen, die auch aus Richtung Deutschland Richtung Skandinavien wollten, aber trotzdem, wenn Grenzkontrollen jetzt immer häufiger werden, wie spalterisch kann das sein für Skandinavien?
Fink: Ich sehe das bedenklich. Ich war letzte Woche in Kopenhagen und bin dann mit dem Zug über die Öresundbrücke gefahren, und man merkt es gar nicht, wie schnell man in Dänemark ist beziehungsweise in Schweden. Das wird natürlich als Errungenschaft gesehen, aber was natürlich zunehmend in Gefahr ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.