Zu Tausenden sind sie in den letzten Wochen auf die Straße gegangen - die Näherinnen in der Hauptstadt Dhaka:
"Eigentlich dürfen wir hier uns gar nicht versammeln, wegen der Ausgangssperre", sagt Moni Akhtar. "Aber was sollen wir machen? Wir sind hier, um unsere Gehälter einzufordern."
Die Regierung in Bangladesch hatte die Textilunternehmer angewiesen, die Löhne der Arbeiterinnen trotz der Ausgangssperre weiterzubezahlen. Aber das hätten die Fabrikbesitzer nicht leisten können, sagt die Präsidentin vom Verband der Textilhersteller und Exporteure in Bangladesch. Drei Milliarden US Dollar hätte die Branche in den letzten Wochen verloren, weil Aufträge aus dem Westen storniert oder zeitweise aufgehoben wurden. Es habe keine andere Wahl gegeben, die Fabriken hätten nun wieder öffnen müssen. Kleidungsstücke machen 80 Prozent des gesamten Exports von Bangladesch aus.
Angst, den Job zu verlieren
Trotz Ausgangssperre sind nun also hunderttausende Arbeiterinnen und Arbeiter in der Hauptstadt Dhaka unterwegs zu ihrem Arbeitsplatz. Die Nachrichtenagentur Reuters hat Aufnahmen davon gemacht, wie Wachleute an den Fabriktoren bei den Angestellten Fieber messen, ihnen die Beine und Füße mit einer flüssigen Lauge abspritzen und Desinfektionsspray auf die Hände sprühen. Drinnen sitzen die Näherinnen an ihren Maschinen, alle tragen einen Mundschutz. "Be cool!" steht auf dem Stück Stoff, das eine Arbeiterin aufbügelt. Lesen und verstehen kann sie diesen Satz vermutlich nicht, aber sie sagt:
"Es gibt sehr viele Sicherheitsmaßnahmen hier, das ist gut für uns."
Solche Antworten gibt es sehr häufig von den Textilarbeiterinnen in Bangladesch. Sie haben oft Angst, ihren Job zu verlieren, wenn sie sich kritisch über ihren Arbeitsplatz äußern. Oft bekommt man auch nur Arbeiterinnen zum Interview, die die Firmen zuvor ausgewählt haben. Die Nachrichtenagentur AP zum Beispiel hat mit Reshma Akhter gesprochen:
"Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Richtlinien für die Gesundheit und die Sicherheit unserer Angestellten eingehalten werden. Wir überprüfen das hier stündlich. Außerdem messen die Ärzte immer mal wieder die Temperatur bei unseren Angestellten."
"Schauen, wie wir überleben können."
Rund vier Millionen Menschen arbeiten in Bangladesch direkt für die Textilindustrie. In den letzten Wochen sind die Hälfte von ihnen entlassen worden oder wurden beurlaubt. Das habe nicht nur mit dem Coronavirus und der Ausgangssperre in Bangladesch zu tun, sagt Mohamad Hatem vom Verband der Strickwaren-Produzenten:
"Der komplette Export war gestoppt. Von daher war es sehr schwierig für uns, Löhne rechtzeitig auszuzahlen. Und die westlichen Modefirmen haben einfach ihre Aufträge storniert. Wir müssen doch jetzt selbst schauen, wie wir überleben können."
Eine Universität aus den USA hat bei den westlichen Modelabels, die in Bangladesch ihre Kleidungsstücke produzieren lassen, nachgehakt:
98 Prozenz von ihnen haben es abgelehnt, sich finanziell zu beteiligen, um die ausstehenden Löhne der Arbeiterinnen mitzufinanzieren. Seit Jahren würde der Westen von Bangladesch einfordern, die Arbeiterinnen würdevoll zu behandeln. Aber zurzeit würden genau diese Firmen ihr skrupelloses Gesicht zeigen, sagt Hatem:
"In der derzeitigen Situation ist es wirklich ein absolut unmoralisches Verhalten, was sie hier an den Tag legen. Einfach alle Bestellungen abzusagen."
Coronavirus könnte sich explosionsartig ausbreiten
Bislang haben sich in Bangladesch, laut offiziellen Zahlen, rund 8000 Menschen mit dem Coronavirus infiziert. Arbeitsrechtler warnen aber davor, dass sich das Virus nun explosionsartig ausbreiten könnte, wenn die Menschen zu dicht aneinander arbeiten würden. Nach der Schicht, außerhalb der Fabriken, trauen sich die Arbeiter schon eher, ihre Sorgen und Ängste zu äußern:
"Alles hat hier noch geschlossen. Warum müssen wir arbeiten? Ohne Schutz, mit Hunderten anderen Arbeitern in einem Raum? Wer trägt die Verantwortung für uns? Sind wir etwa keine Menschen oder hat unser Leben einfach keinen Wert?"
Die Ausganssperre in Bangladesch gilt noch mindestens bis zum 5. Mai. Rund 1000 Textilfabriken im Land aber sind nun wieder geöffnet, um Modeartikel für die USA und Europa liefern zu können.