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BAP-Sänger Wolfgang Niedecken
"Wenn ein Selfie gemacht wird, musst du das Maul halten"

Die Kölsch-Rockband BAP feiert in diesem Jahr 40. Geburtstag. Passend zum Jubiläum hat Sänger Wolfgang Niedecken mit seiner Band das neue Album "Lebenslänglich" veröffentlicht. Im Corsogespräch erzählt er, was es damit auf sich hat und wieso er lieber Autogramme gibt als Selfies zu machen.

Wolfgang Niedecken im Gespräch mit Anja Buchmann |
    Porträtfoto des Sängers Wolfgang Niedecken von der Band BAP, aufgenommen am 29.11.2015 während eines Interviews in seinem Büro in Köln
    Wolfgang Niedecken feiert mit seiner Band BAP in diesem Jahr 40-Jähriges. (picture alliance / dpa / Marius Becker)
    Anja Buchmann: 1976 haben sie sich zusammen gefunden, '77 gab es das erste Konzert und nun sind sie bereits 40 Jahre zusammen: Wolfgang Niedecken und seine Kölschrock-Band BAP, allerdings in den letzten Jahrzehnten mit wechselnden Besetzungen. In seiner aktuellen Bandformation - unter anderem mit Sting-Schlagzeuger Rhani Krija - hat der Sänger nun zum Jubiläum ein neues Album veröffentlicht: "Lebenslänglich" heißt es und versammelt BAP-typische Balladen und Rockmusik.
    Im Corsogespräch erzählt Wolfgang Niedecken über das neue Album, über das Geschichtenerzählen und auch, wie er persönlich den Tod von David Bowie erlebt hat.
    Wolfgang Niedecken: Ich hab das morgens im Frühstücksfernsehen erfahren. Wir waren auch noch ausgerechnet in Berlin. Bowie ist ein Stadtheiliger in Berlin, also Berlin war wirklich erschüttert. Ich war überrascht. Ich kann nicht sagen, dass ich nicht damit gerechnet habe, dass er stirbt. Weil dieses letzte Video zum Blackstar-Album, da konnte man schon sehen, dass es ihm wirklich nicht gut geht. Und ich wusste auch, weil ich hab in New York das Album abgemischt und ich kenne Musiker, die mit Bowie zusammen arbeiten - dass es ihm nicht gut geht. Das war abzusehen, aber dass es dann so schnell geht, das war schon erschütternd. Ganz Berlin hat den Atem angehalten. Diese großen Poster, die überall hingen zum Bewerben des Albums die kamen einem auf einmal wie Todesanzeigen vor. Das war eine vollkommen surreale Stimmung, eine Stimmung, die werde ich nie vergessen.
    Buchmann: Auszeit heißt ein Song Ihres neuen Albums "Lebenslänglich" und es beginnt mit den Worten "Keine Blick zoröck, nur de Moment, vollkommen ejal, wat jraad anbrennt...". Wie wichtig ist es für Sie, sich Auszeiten zu nehmen - auch nach dem Schlaganfall von 2011. War das immer schon eine wichtige Angelegenheit?
    "Mein Schlaganfall hatte nichts mit Überlastung zu tun"
    Niedecken: Das Kunststück ist ja, sich dann ne Auszeit zu nehmen, wenn man merkt: Jetzt geht's nicht mehr. Wenn man merkt: Es ist jetzt wirklich egal, was anbrennt, wenn ich jetzt nicht aufhöre, dann drehe ich durch. Und das ist sehr schwer, das zu tun. Aber ich kann beruhigen, mein Schlaganfall hatte nichts mit Überlastung zu tun, sondern mit einem Dauerhusten, durch den sich ne kleine Wunde in der Halsschlagader gebildet hat und aus dieser Wunde ist ein Gerinnsel nach oben gestiegen ins Gehirn. Diese Art Schlaganfall ist mittlerweile sogar nach mir benannt.
    Buchmann: Tatsächlich?
    Niedecken: Ja, Casus Niedecken heißt der. Wirklich. Ich rauche nicht, ich trinke nicht, ich treibe Sport - ich bin in keiner Risikogruppe.
    Buchmann: Aber sich diese kleinen Auszeiten oder Ferienzeiten zu nehmen, bevor es wirklich kurz vor knapp ist und man gar nicht mehr kann, das ist eine schwierige Angelegenheit, gerade als Künstler.
    Niedecken: Also ich nehme mir durchaus, wenn ich merke, ich habe genug Zeit um in Köln kreativ arbeiten zu können, ich könnte aber auch in die Türkei fahren zu Freunden, dann nehme ich immer die andere Möglichkeit, bin dann mal fünf, sechs Wochen in der Türkei und lass es mir da gut gehen und gehe wirklich alles ganz gemach an. Das tut mir auch sehr gut, auch dieser Perspektivwechsel.
    Buchmann: Sie erwähnten die Türkei, wo Sie ab und zu mal sind und wenn ich recht informiert bin, ist dort auch ein Song entstanden: Die Ballade vom Vollkasko Desperado. Bzw. - es gab sogar eine Schreibblockade, oder?
    Niedecken: Es gab eigentlich überhaupt keine Schreibblockade. Ich selber habe das gemacht, was ich immer vermeiden will, nämlich ich bin mit dem Brecheisen rangegangen. Also ich komme von der Tour und denke: Jetzt fährst Du in die Türkei, erholst Dich gut - kaum bin ich angekommen, denke ich: Moment, wie lange habe ich eigentlich keinen Song mehr geschrieben? Vier Jahre? Außer dem Titelsong des "Zusammen alt"-Albums, also des Solo-Albums und einem Song, den ich für "Maschine" geschrieben hatte. Wieso schreib ich nicht direkt mal 'nen Song, damit es weiter geht? Und ich hatte natürlich außer Tourleben nichts erlebt. Also wo sollte ich einen Song drüber schrieben. Das kann sich dann zu 'nem Kolbenfresser entwickeln.
    Buchmann: Und wie sind Sie aus diesem Kolbenfresser wieder raus gekommen?
    "Super, wenn mich einer anspricht"
    Niedecken: Weil ich mich erinnert habe an eine Situation, die mir sehr lustig vorkam. Also tragikomisch. Jemand fragt mich nach einem Selfie und macht das dann. Mittlerweile gibt es ja kaum noch Autogramme, mittlerweile gibt es Selfies. Und da kann man gar nicht mehr mit den Leuten reden. Ich hab das immer gern getan. Ich fahre hier auch KVB in Köln. Super, wenn mich einer anspricht und ich erfahre seinen Zugang zu BAP oder zu mir, Geschichten, die damit verbunden sind. Das ist großartig. Nur wenn ein Selfie gemacht wird, dann musst du das Maul halten, sonst verwackelt das Ding. Und wenn dann anschließend auch noch derjenige kommt und sagt, er wäre früher mal Fan gewesen, aber jetzt wäre ihm das alles zu kommerziell. Ich sage: Wann hast Du denn das letzte Album gehört? Ja damals in den Achtzigerjahren. Dann sag ich, er solle vielleicht mal die letzten dreißig Jahre auch hören und mir das nochmal sagen. Und über diese merkwürdige Situation... die fängt natürlich auch an, auszumäandern.
    Buchmann: "Der Herrjott meint et joot mit mir" ist ein schöner Titel, wo auch die Musik von Ulrich und Anne kam - die haben das im Nightliner auf Tour mit Bosse grob entworfen und Ihnen dann per Dropbox zugeschickt.
    Niedecken: Das waren reichlich Songs, bei den Demos konnte man teilweise das Motorengeräusch hören. Fast wie bei Jackson Brown, "Running on empty". Das ist schön, so zu arbeiten.
    Buchmann: Und wie funktioniert das dann? Sie hören die Musik an und in diesem Fall gab es schon einen Interims-Titel "Sleeping cities", den haben Sie im Text zum Teil übernommen - wie lassen Sie sich inspirieren? Haben Sie auch schon Texte parat, wo Sie denken: Da gucke ich mal, ob der darauf passt?
    Niedecken: Nee, das ist nicht so. In dem Fall war es so, dass ich wusste, dass das im Nightliner entstanden ist, die hatte in Köln gespielt mit Bosse und ich hab das Konzert auch gesehen. Dann bin ich zu Clueso nach Oberhausen und hab mit dem zwei Stücke im Konzert gespielt. Und anschließend bin ich wieder nach Hause gefahren. Und das war so inspirierend, das Konzert, auch vor diesen jungen Menschen zu stehen und akzeptiert zu sein - dass ich von einer tiefen Dankbarkeit erfüllt war, dass ich das darf. Und da fahre ich wieder nach Hause auf der A3 und denke: Darüber könntest Du eigentlich ein Stück schreiben. Genau über dieses Gefühl. Das ist bei uns zu Hause ein stehender Spruch: "Der Herrjott meint et joot met mir". Ich mag das Stück sehr gern, weil das so dankbar ist und weil es auch rockt. Eine Band, die immer noch rockt nach 40 Jahren.
    Buchmann: "Verdamp lang her" - die Genese gibt es jetzt auch in einem Song. Der heißt "Et ess lang her" - der Titel weist schon darauf hin. Wie sind Sie darauf gekommen, die Geschichte der Entstehung von "Verdamp lang her" in einen Song zu kleiden?
    "Eigenes Erlebtes in den Song reinpacken"
    Niedecken: Das war etwas, was ich immer schon mal schreiben wollte. Weil auch die meisten Leute gar nicht wissen, worum es in "Verdamp lang her" geht. Es ist auch nicht wichtig, Hauptsache sie können ihr eigenes Erlebtes in den Song reinpacken. Es ist halt ein unglaublicher Refrain, der alles zulässt. Aber ich wusste nie, wie ich den Song angehen könnte. Denn ein Song braucht ja auch einen Plot. Dann hab ich irgendwie die Kiste mit meinen alten Terminkalendern gefunden und hab mal geguckt, wann ich eigentlich "Verdamp lang her" geschrieben hab. Ich wusste, dass es auf einer Karnevalsflucht war. Aber ich wusste nicht, dass es ein Rosenmontag war. Und das war das Ding, was einen rein zieht: Rosenmontag 81. Ausgerechnet dieses Lied schreib ich an einem Rosenmontag.
    Buchmann: Also Sie brauchen immer so kleine Triggerpunkte, seien es Begegnungen, seien es Erinnerungen, die sie dann rein ziehen und wo Sie merken: Da könnte die Geschichte lang gehen. Versuchen Sie auch selbst sich zu Überraschen? Ich habe mal mit dem Jazzschlagzeuger und Komponisten John Hollenbeck gesprochen, der sagte, wenn man viel komponiert, muss man schon schauen, dass man nicht immer das Gleiche schreibt, dass man versucht sich unterschiedliche Situationen zu schaffen, um sich selbst wieder was Neues zuzutrauen.
    Niedecken: Auf jeden Fall. Manchmal auch dialektisch oder wie ein Kontrapunkt. Man übernimmt eine ganz andere Position und schreibt von außen beobachtend. Ich beobachte mich selber und beurteile mich dann auch vielleicht anders. Das muss man machen, Perspektivwechsel ist ganz wichtig.
    Buchmann: "Visionen von Europa", das ist ein Song, der aktuell... - wann haben Sie den geschrieben?
    Niedecken: Die Idee hatt ich vor neuen Jahren. Hab aber nie die richtige Musik dazu gehabt.
    Buchmann: Ja. Also, der heute, lassen Sie mich kurz den Satz fortführen, der heute wieder sehr aktuell ist, denn es geht um zwei Brüder, die sich von Schwarzafrika nach Nordafrika aufmachen, um von dort letztlich nach Europa zu schiffen. Das ist natürlich in Anbetracht der heutigen Situation ein brennend aktueller Titel. Aber Sie haben den vor neun Jahren schon geschrieben?
    Niedecken: Vor neuen Jahren hatte ich die Idee zu dem Song, aber noch nicht die Musik. Ich wollte das Stück auch nicht auf irgendwas schreiben. Als ich die Musik von Ulle gehört habe, diesen merkwürdigen Walzer und der Rhani das auch noch mit seinen nordafrikanischen Perkussionsinstrumenten veredelt hat...
    Buchmann: Der kommt ursprünglich aus Marokko?
    Niedecken: Der Rhani kommt aus Essaouira.
    Buchmann: In Marokko.
    Niedecken: In Marokko. Und ich kam gerade aus seiner Heimatstadt und habe gedacht: Setzte nicht in Tanger über, sondern fährst nach Ceuta und dann zwischen Tanger und Ceuta geht ja diese Küstenstraße , von wo aus man Spanien sehen kann. Und da lungerten die alle rum. Warteten auf ne Chance, auf ein Boot zu kommen. Schon allein dieser optische Eindruck, was da los ist - sehr bedrückend auf der einen Seite, auf der anderen das absolute Abenteuer.
    Buchmann: Wie sehen Sie die aktuelle Situation, gerade in Anbetracht dessen, dass Sie auch diesen Song geschrieben haben. Was sagen Sie insbesondere nach den Vorfällen an Silvester in Köln - was können wir daraus lernen, um es mal positiv zu formulieren?
    "Man hat sich zusammenzuraufen"
    Niedecken: Was können wir daraus lernen... - ich will mir auch nicht anmaßen zu sagen, ich kann das lösen. Ich kann nur hoffen, dass es genug anständige Menschen in dem Land gibt, die eine Koalition bilden. Beispielsweise, dass die Politik nicht Wahlkampf betreibt. Man hat sich zusammenzuraufen und zu sehen, wie man diese Situation auf die Reihe kriegt. Man muss auch über den Schatten springen und sagen: Klar, wir brauchen wieder mehr Polizei. Polizei ist abgebaut worden. Man muss einen Weg finden, wie man keine Obergrenze bei den Flüchtlingen... aber dass man es reguliert. Das geht aber nur im gesamteuropäischen Zusammenhang. Man muss diese osteuropäischen Länder dazu kriegen, dass sie noch mal überlegen, ob Europa nicht doch ne Solidargemeinschaft ist und nicht nur 'ne Zugewinngemeinschaft. Also das muss alles zusammen spielen, das kann ich aber nicht verordnen. Ich hoffe, dass irgendwann mal der Groschen fällt in dieser Beziehung. Denn wir leben in einer globalisierten Welt. Und es ist nichts mehr mit "aussperren". Das wird nicht laufen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.