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Barack Obama
Das Wunder der mehrfachen Exklusivität

Barack Obama veröffentlicht seine Memoiren. Auch in deutschen Medien gibt es deshalb gerade Vorabdrucke und Interviews mit dem ehemaligen US-Präsidenten. Unser Kolumnist Arno Orzessek fragt sich allerdings, warum die einen von "exklusiv" sprechen - und andere nicht.

Von Arno Orzessek |
Barack Obama gibt aktuell Medien weltweit Interviews zu seinem Buch - hier spricht er mit einem französischen Journalisten
Barack Obama gibt Medien weltweit Interviews zu seiner neuen Autobiografie (picture alliance/Alexandre Marchi/MAXPPP/dpa)
Für alle, die es noch nicht wissen: Morgen Abend unterhält sich Markus Lanz im ZDF mit Barack Obama. Im Netz kursieren bereits Ausschnitte des aufgezeichneten Interviews. Und so viel sei verraten: Lanz ist erfrischend ehrfurchtslos, die Unterredung beginnt erfreulich lustig. Und Gottseidank bewirbt das ZDF das Interview im Netz ohne das Beiwort "exklusiv".
Auf das sonst kein Medium verzichtet, dass dieser Tage O-Töne von Obama erhascht. Was übrigens nicht so fürchterlich schwer sein kann. Um seinen 1000-Seiten-Wälzer Ein verheißenes Land zu bewerben, absolviert der ehemalige US-Präsident gerade ein Pensum, das austrainierte Quasseltanten aufstöhnen ließe.
Exklusivität verdoppelt sich
Am vergangenen Montag etwa war Obama auf RTL im "Exklusiv-Interview" mit Peter Kloeppel zu sehen. Allerdings hatte RTL gar keinen Termin für ein Einzelgespräch– Jan Christoph Wichmann vom "Stern" war auch mit dabei. Nun könnten Sie einwenden, dass das mit dem Begriff der Exklusivität unvereinbar ist – aber von wegen! Die Exklusivität hat sich de facto sogar verdoppelt.
Das glauben Sie nicht? Weil Sie an die Redlichkeit der Medien glauben? Bitte schön, dann holen Sie sich für 4,99 Euro das Drei-Monats-Abo von "Stern plus" - Achtung!, danach werden 14.99 pro Monat fällig – und lesen Sie das "Exklusiv-Interview" mit Obama, das der "Stern" aus Papier erst morgen bringt, aber RTL, wie gesagt, schon am Montag exklusiv hatte.
Tanit Koch zum RTL-Kurs: "Wir wollen nicht von einem Image wegkommen"
Unter der Führung von Tanit Koch baut RTL seit längerem seine journalistischen Angebote um. Es gehe darum, auch digital weiter zu wachsen, sagte die Chefin der RTL-"Zentralredaktion" im Dlf. Denn ihr Haus müsse sich auf dem Medienmarkt auch internationalen Wettbewerbern stellen.
Bei den Vorabdrucken wiederholt sich das Wunder der mehrfachen Exklusivität. Bei "Zeit online" können Sie einen "exklusiven Auszug" aus Obamas Memoiren lesen. Und im "Spiegel" steht, das lässt sich jetzt leicht erraten, ein "exklusiver Vorabdruck".
'Ausschließlich' heißt ausschließlich 'ausschließlich'
Der alte Cicero würde sich natürlich im Grabe umdrehen, gäbe es dort TV, Internet und Zeitungen. Denn seinerzeit hieß 'exklusiv' wirklich exklusiv, aus dem Lateinischen übersetzt also: ausschließlich – und war genau so unerbittlich gemeint.
Was man auch daran sieht, dass das Lateinische keine Steigerungsform von 'exklusiv' kennt: 'Ausschließlich' heißt ausschließlich 'ausschließlich'; ausschließlicher geht es nicht – und eingeschlossen ist da folglich nichts und niemand – außer bei unseren Medien, die sich erlauben, einen inklusiven Begriff von Exklusivität zupflegen.
Vielleicht kann Markus Lanz, der am Klassischen Gymnasium in Brixen die Schulbank gedrückt hat, noch so viel Latein, dass ihn die Exklusivitäts-Marotte nervt – und er darum exklusiv auf das verwelkte Label 'exklusiv' verzichtet.
Arno Orzessek. Seit 1966 Arbeiter- und Bauernsohn, geboren in Osnabrück. Studierte in Köln Philosophie und anderes. Dank "unverlangt eingesandt": SZ- und DLF-Autor; auch: zwei Romane. Lebt seit 2000 rundfunktreu in Berlin. Angesichts der Unordnung der Dinge thematisch unspezialisierter Stoffwechsel-Spezialist. Welt-Erfahrung per Motor- und Rennrad, plus Lektüre. Radio-Ideal: Geistvolles in sinnlicher Sprache; Ziel: Gedankenübertragung; Methode: Arbeit am Text; Verfassung: der Nächste bitte!
Ob Trump ein einziges Interview bekommt?
Allerdings muss man sagen: Barack Obama fördert den Hype um seine Person gewaltig und stellt als Welt-Lichtgestalt den Dalai Lama wohl längst in den Schatten. Das hat er allerdings nicht exklusiv: Michelle Obama kann das genauso gut. Die beiden zusammen, cool, kultiviert und charismatisch, sind das perfekte Paar der modernen Popkultur.
Ihr Podcast bei Spotify, ihre eigene Produktionsfirma, die Dokus für Netflix produziert, während Netflix Michelles Autobiographie "Becoming" verfilmt, jeweils Buch-Honorare in zweistelliger Millionenhöhe – man weiß einfach nicht mehr: Sind die Obamas nun die besseren Menschen oder doch nur die besseren Geschäftsleute?
Doch ob so oder so: Man darf gespannt sein, ob Donald Trump, wenn er demnächst aus dem Weißen Haus gezerrt wird, hierzulande auch nur ein einziges Interview bekommt. Unsere Vermutung: Eher nicht. Andererseits: Nach dem Heilsbringer Obama den Unheilsbringer Trump zu interviewen, das könnte manche Redaktion schon verlocken – gerade, wenn es exklusiv wäre.