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"Bares für Rares"
Weihestunden des neuen Biedermeier

Der Zeremonienmeister Horst Lichter zeigt uns eine wunderbare Welt des Trödel-Kosmos, meint Arno Orzessek in seiner Satire im Dlf. Es sei an der Zeit, den ZDF-Quotenhit "Bares für Rares" als "eine der großen Tendenzen des Medien-Zeitalters zu begreifen".

Satire von Arno Orzessek |
    Moderator Horst Lichter posiert am 14.12.2017 in Hürth nach der Aufzeichung der ARD Show "2017 - Das Quiz" - Sendetermin 28.12.2017 im Ersten
    952 Stunden strahlte Horst Lichter 2017 auf dem Bildschirm. (picture alliance / Horst Galuschka/dpa/Horst Galuschka dpa)
    Reden wir über "Bares für Rares", den Quoten-Hit von ZDF und ZDF neo in der schwierigen Day-Time...
    Also justament dann, wenn auch das gefühlsechte ARD-Drama "Rote Rosen" und wilde Zoo-Tiere unsere Aufmerksamkeit umschwärmen.
    Vorab jedoch ein Service für die bedauernswerten Hörer, die von den Kleinoden des öffentlich-rechtlichen Tagesprogramms ausgeschlossen sind, weil sie arbeiten müssen. Für sie seien die letzten und die nächsten tausend Folgen von "Bares für Rares" rasch zusammengefasst. Es läuft so:
    XY will Trödel verticken; Horst Lichter umgarnt XY mit edelproletarischer Jovialität; ein vorab gebriefter Experte schätzt den Trödel; Händler geben, ohne den Schätzpreis zu kennen, ihr Gebot ab; XY vertickt das Stück, zumeist für einen dreistelligen Betrag, manchmal für mehr, bedankt sich artig...
    Und schwuppdiwupp: nächste Runde, nächster Trödel, nächster Deal. Kurz: ewige Wiederkehr des Gleichen. Nicht von ungefähr spielt Lichters Schnäuzer raffiniert auf Friedrich Nietzsche an.
    Fernsehjunkies wissen natürlich, dass "Bares für Rares" quasi nur die blitzende Speerspitze der TV-Trödel-Bewegung ist.
    Hunger auf "Bares für Rares"
    Auch der MDR liegt im "Trödelfieber", der NDR mag's "Lieb & teuer", der BR setzt auf "Kunst & Krempel", der HR fragt "Schatz oder Trödel?" – und wir uns, wovon eigentlich Ebay lebt.
    Aber regionale Konkurrenz hin oder her: Wenn's so weitergeht, wird Lichters Trödel-Show im ZDF die erste Sendung im deutschen Fernsehen, die immer läuft. Und zwar im strengen Sinne des Wortes 'immer'.
    Alle Fakten weisen darauf hin. Während es 2013 gerade 16 Stunden lang "Bares für Rares" gab, waren es vier Jahre später satte 952 Stunden, die wiederum Hunger auf noch mehr machen dürften.
    Bei solcher epidemischen Ausbreitungspotenz wird bereits das Jahr 2020 zu kurz sein, um alle anfallenden "Bares für Rares"-Folgen ohne Parallel-Ausstrahlung zu zeigen... Sofern es Horst Lichter nicht bis dahin gelingt, die jährliche Erdumlauf-Dauer um die Sonne wesentlich zu verlängern.
    Doch ob so oder so: Es ist an der Zeit, den Erfolg von "Bares für Rares" als eine der großen Tendenzen des Medien-Zeitalters zu begreifen.
    Sonde für sensible Zeitgeistforschung
    Offenbar brauchen wir Zuschauer gar keine grelle, spektakuläre, verrückte Unterhaltung, um vor der Glotze selig zu werden. Diesen Mythos dekonstruiert "Bares für Rares" wirklich radikal. Es reicht lieb-onkelhaftes Palaver über eine zerkratzte Armbanduhr oder so...
    Vorausgesetzt, Horst Lichter palavert, der große Zeremonienmeister des neuen Biedermeier, in dessen Kumpel-Gemüt sich das charakterlich Beste von Lukas Podolski und Alfred Biolek selig mischen, zuzüglich eines Anteils von Herzdame Claudia Roth.
    Lichters Schnurrbarthaare, auch darin denen Nietzsches verwandt, sind eine Sonde für sensible Zeitgeistforschung. Und so ist ihm der große Zusammenhang nicht entgangen:
    Dass sich die Leute nämlich im raubtierkapitalistischen Weltmarkt da draußen nicht wirklich wohl fühlen und sich auf der TV-Couch umso lieber in bodenständig-nostalgische Flohmarkt-Atmosphäre mummen – Handeln wie dunnemals, ohne rätselhafte Algorithmen und den ganzen Kram, Bares für Rares eben, cash auf die Kralle, und ab damit.
    Okay, Vergleichbares können im Prinzip auch andere. Aber Lichter ist psychologisch am versiertesten.
    Wahrhaft beispiellos außerhalb von Mädchenpensionaten der Kaiserzeit ist sein zärtlicher Umgang mit Substantivchen wie "Döschen", "Väschen", "Kettchen" und "Amulettchen".
    Das "-chen" ist bei Lichter das, was im buddhistischen Mantra das "om" ist: Es ist die heilige Silbe in seinem spirituellen Trödel-Kosmos.
    Erst durch das -chen wurde Lichter zum Hohepriesterchen der Verniedlichung, als den wir ihn verehren.
    Es dauert gewiss nicht mehr lange, dann wird auch 'den Horst machen' als Synonym für liebenswerte Leutseligkeit gelten. Wir sagen: Lichter, Sie sind fürwahr ein helles Leuchtchen!