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Bargeld, Karte oder App
Langsamer Abschied von Scheinen und Münzen?

Deutschland ist traditionell ein Bargeld-Land. Doch in der Corona-Pandemie haben Kartenzahlungen und das Bezahlen per App auch hierzulande zugenommen. Das Verhältnis der Deutschen zu bargeldlosem Zahlen bleibt dennoch ambivalent. Experten sehen es aus verschiedenen Gründen kritisch.

Von Catalina Schröder |
Zahlung per Handy an einem Bezahlterminal
Mehr als 60 Prozent der Deutschen zahlen laut einer Umfrage des Bankenverbands inzwischen regelmäßig bargeldlos (imago/Ute Grabowsky)
Wiederholung vom 14.9.2020
Deutschland ist das Bargeld-Land. 80 Prozent aller Zahlungen hierzulande werden mit Scheinen oder Münzen getätigt. Auch wenn Banken und Kreditkartenanbieter bisher nicht müde wurden, für kontaktloses und digitales Bezahlen oder die Kartenzahlung zu werben. So wie in diesen Werbespots von Mastercard und der Sparkasse Bodensee: "Wenn Sie es gerne schnell haben, dann sollten Sie das kontaktlose Bezahlen probieren. Denn schneller können Sie kaum mehr bezahlen" heißt es da, oder: "Zahlen ist einfach. Weil man dafür nichts weiter als das Handy braucht."
Bargeldloses Zahlen hat in der Pandemie zugenommen
Doch es tut sich was im Bargeld-Land: Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie haben Kartenzahlungen und digitales Bezahlen zugenommen. Mehr als 60 Prozent der Deutschen zahlen laut einer Umfrage des Bankenverbands inzwischen regelmäßig mit ihrer Giro- bzw. Kreditkarte oder mit dem Handy. Das ist rund ein Viertel mehr als vor der Krise.
Ist Corona also ein Katalysator für bargeldloses Bezahlen in Deutschland? Haben Bargeld-Befürworter Recht, wenn sie fürchten, dass wir uns auf dem Weg zu einer schleichenden Abschaffung von Scheinen und Münzen befinden? Und wo steht Deutschland in Sachen bargeldloses Bezahlen im Vergleich mit Technik-Nationen wie China?
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Problem Datensicherheit
Norbert Häring steht dem bargeldlosen Bezahlen kritisch gegenüber. Der Wirtschaftsredakteur des "Handelsblatts" und Buchautor beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Bargeld und digitalen Bezahlmethoden. Seine Sorge gilt vor allem der Datensicherheit: "Wenn wir digital bezahlen, also nicht bar, dann hinterlassen wir immer eine Datenspur. Und all diese Datenspuren, die verlieren sich nicht irgendwo im Nichts, sondern die werden alle ausnahmslos gesammelt, und die Bank ist verpflichtet, diese Daten aufzubewahren, und zwar bis zehn Jahre nach Ende der Geschäftsbeziehung, also fast ewig."
Problematisch findet Häring, dass wir als Verbraucher oft gar nicht wissen, wer unsere Daten hat. Viele Unternehmen tauschen diese mit anderen Firmen aus. In ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen steht auch, mit wem. Zum Beispiel mit Kreditauskunfteien. Aber: Wer liest schon die AGB? Je häufiger wir bargeldlos bezahlen, desto detaillierter wird das Daten-Profil, das über uns entsteht: "Dann ist unser Bankkonto, und die Daten, die davon da sind, praktisch ein Logbuch unseres ganzen Lebens. Wo auch in 20 Jahren noch, jemand reingucken kann und unser ganzes Leben liegt vor ihm. Er weiß dann, wo wir am 20.8.2005 waren und was wir da getan haben. Fast jede Stunde."
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Komplette Lenkung von Gesellschaften möglich
Ob und wofür solche Daten genutzt werden, hängt davon ab, in wessen Händen sie sind: Konzerne können sie nutzen, um Kunden maßgeschneiderte Angebote zu machen. Aber theoretisch auch, um verschiedenen Kunden dasselbe Produkt zu unterschiedlichen Preisen zu verkaufen. Je nachdem, wie finanzstark der Käufer ist. Und auch Staaten können sich diese Daten zu Nutze machen.
Die Auswirkungen können im extremsten Fall eine ganze Gesellschaft beeinflussen, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler und Buchautor Ulrich Horstmann: "Das ermöglicht die komplette Lenkung. Die kann man ja auch sehr schön verpacken, dass man sagt: Na ja, wir wollen nicht, dass unsere Bürger Alkohol trinken. Rauchen sollen sie auch nicht mehr. Also werden wir einfach, da wir ein kollektives Verbot nicht aussprechen wollen, dem Bürger xy, dessen Daten wir ja haben, einfach aussperren davon."
Sozialkreditsystem - in China schon Realität
Was für uns nach Science Fiction klingt, ist in China schon Realität. Dort gibt es seit Anfang des Jahres das so genannte Sozialkreditsystem, das Daten über das gesamte Leben der rund 1,4 Milliarden Menschen dort bündelt und auswertet: ob jemand Schulden hat, oder regelmäßig Fast Food kauft. Daten aus allen Bereichen des Lebens werden hier zentralisiert und ausgewertet.
Für die Menschen hat das gravierende Folgen: Auf bestimmte Jobs kann sich nur bewerben, wer einen gewissen Sozialpunkteindex hat. Wer sich gesund ernährt, erhält von seiner Krankenkasse unter Umständen einen günstigeren Tarif. Fehlverhalten – beispielsweise im Straßenverkehr - wird auf öffentlich ausgehängten Bildschirmen für alle sichtbar angeprangert. Ein digitales Überwachungssystem.
Eine rote Tafel mit vielen Punkteständen und Bildern von Dorfbewohnern in Fulushan.
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Ansätze bereits in Europa
Ist ein solches Szenario auch hierzulande möglich? In dieser gravierenden und undemokratischen Ausprägung sicher nicht. Doch erste Ansätze gibt es auch in Europa: "In einem Forschungsprojekt haben wir uns mit dem so genannten Scored Consumer mit Scoring im Konsumentenbereich beschäftigt, das heißt Menschen werden in ihrer Zahlungskraft beurteilt, kriegen einen Wert zugeordnet und der hat wieder Auswirkungen auf ihr konkretes Leben", sagt Walter Peissl, stellvertretender Direktor des Instituts für Technikfolgenabschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien.
"Das Problem ist, dass durch die neuen technologischen Möglichkeiten auch sogenannte Soft Facts vermehrt in die Beurteilung der Konsumenten eingegangen sind, also nicht nur: ‚Zahlen Sie ihre Rechnungen pünktlich‘, sondern auch: ‚Wie heißen Sie? Wo wohnen Sie und welchen Eindruck machen Sie auf Social Media?.‘ Und da wird es dann sozusagen problematisch, weil das natürlich Informationen sind, die die Konsumenten von sich gar nicht wissen, sich auch nicht bewusst sind, dass die in die Beurteilung ihrer Zahlungsfähigkeit oder ihrer Kreditwürdigkeit einfließen."
Ungleichgewicht zu Ungunsten der Konsumenten
Selbst wenn alle datenschutzrechtlichen Bestimmungen eingehalten werden, entsteht auf diese Weise ein immer stärkeres Ungleichgewicht zwischen Konsumenten, Banken und Konzernen. Denn für den einzelnen Verbraucher wird es zunehmend schwieriger, nachzuvollziehen, wer welche seiner Daten zu welchem Zweck einsehen und nutzen kann.
Walter Peissl zieht daraus aber nicht den Schluss, dass man Zahlen mit Karte oder Handy grundsätzlich meiden sollte: "Es geht ja nicht darum, sich aus dem Leben zu entfernen, sondern es geht darum, einen bewussten Umgang mit den neuen Medien zu pflegen. Wenn ich aber sage: Für bestimmte Dinge ist es für mich wichtig, dass nicht nachvollziehbar ist, dass ich jeden Freitag mir drei Flaschen Whisky im Supermarkt ums Eck kaufe, dann muss ich das mit Bargeld machen, denn Bargeld ist die anonyme Zahlungsvariante."
Bargeld sichert Anonymität
Freiheit und Anonymität sind unter Gegnern und Skeptikern des unbaren Bezahlens die wichtigsten Argumente. Manche fürchten deshalb den Trend, dass Bargeld in Zukunft eine geringere Rolle spielen wird. So auch Dorothea Mohn, die beim Bundesverband der Verbraucherzentralen das Finanzmarkt-Team leitet:
"Richtig wird natürlich momentan nicht die kolossale Abschaffung des Bargeldes diskutiert, aber es gibt so Ansätze, an denen man sieht, in welche Richtung es gehen könnte. Es geht um die Abschaffung der ein bis zwei Cent Stücke oder um die Grenzen, bis zu der man anonym bezahlen können soll und so weiter sind. Es sind also alles Indizien, die in die Richtung gehen, dass das Bargeld geschwächt werden könnte."
Tatsächlich hat die EU-Kommission Anfang des Jahres angekündigt, Ein- und Zwei-Cent-Münzen abschaffen zu wollen, Ihre Begründung: Die Materialkosten seien hoch und der Transport gerade in entlegenere Orte teuer. Bisher ist es nur eine Überlegung in Brüssel, ob die Münzen tatsächlich abgeschafft werden, ist noch offen. Dorothea Mohn jedenfalls sieht im Bargeld auch ein Korrektiv, einen gewissen Schutz davor, dass Banken umfassende Negativzinsen einführen können. Denn Scheine, die zu Hause unter dem Kopfkissen liegen, können zwar durch Inflation, nicht aber durch negative Zinsen auf dem Konto entwertet werden.
Bezahlung mit Bargeld auf einem Wochenmarkt
Deutschland ist immer noch Bargeld-Land (dpa/Christoph Schmidt)
Ärmere Bevölkerungsschichten als Leidtragende
Zu den Leidtragenden eines zunehmend bargeldlosen Deutschlands würden nicht nur die Sparer, sondern auch Obdachlose, Straßenmusiker und Kirchengemeinden gehören. All diejenigen, die ihre Einnahmen oder zumindest Teile davon aus kleinen Münzspenden beziehen. Welche Folgen ein Zurückdrängen des Bargeldes oder gar seine Abschaffung gerade für den ärmeren Teil einer Gesellschaft haben kann, konnte man 2016 in Indien in besonders drastischer Ausprägung beobachten. Damals kündigte der indische Regierungschef an, dass schon vier Stunden später die beiden größten Geldscheine nicht mehr als Zahlungsmittel verwendet werden durften.
"Handelsblatt"-Journalist Norbert Häring erzählt: "Das bedeutete, dass 90 Prozent des Bargelds nicht mehr gültig war, sondern nur noch auf der Bank eingezahlt werden konnte. Und das in einem Land, wo 90 Prozent der Transaktionen bar laufen oder damals zumindest gelaufen sind und die Hälfte der Bevölkerung gar kein Konto hat. Das hat dann bedeutet, dass gerade alle, die dies am nötigsten hatten, so von der Hand in den Mund und von ihrer täglichen Arbeit im informellen Sektor leben - Rikschafahrer, Schuhputzer, kleine Händler, ein sehr, sehr großer Teil der Wirtschaft - konnte kein Geschäft mehr machen, weil es kein Geld mehr gab."
Ein- und Zwei-Centmünzen in einer Hand.
Vorstoß der EU-Kommission - Aus für Ein- und Zwei-Cent-Münzen?
Ist es der Anfang vom Ende des Bargelds oder nur eine längst überfällige Vereinfachung für Handel und Verbraucher? Die EU-Kommission will über einen Umweg Kleinstmünzen überflüssig machen.
Schattenwirtschaft ist auch bargeldlos möglich
Ein Szenario, das in Deutschland undenkbar ist, weil die Ausgangsbedingungen hier ganz andere sind. Doch nehmen wir einmal an, Bargeld würde in Deutschland vollständig abgeschafft. Hätte das nicht auch Vorteile? Könnte es nicht den Schwarzmarkt eindämmen, auf dem Putzkräfte und Handwerker ohne Versicherung beschäftigt und am Fiskus vorbei bezahlt werden? Damit hat sich der emeritierte Wirtschaftswissenschaftler der Universität Linz, Friedrich Schneider beschäftigt. Er ist Experte für Schattenwirtschaft und organisierte Kriminalität.
"Also eine Abschaffung des Bargeldes hätte für den Schwarzmarkt in Deutschland zu Beginn einen negativen Effekt, weil ein wichtiges, einfaches Transaktionsmittel, das Bargeld, entfällt. Ich muss dann mit Prepaid-Kreditkarten oder anderen arbeiten, das macht Schattenwirtschaftsaktivitäten etwas mühsamer. Da würde die Schattenwirtschaft vielleicht um fünf bis zehn Prozent zurückgehen. Ich möchte aber sagen, dass Bargeld keinerlei Ursache für Schwarzmarkt-Schattenwirtschaft ist. Ursachen sind Steuerdruck, Regulierungsdruck, Arbeitslosigkeit, Rezession."
Mit relativ einfachen Mitteln, weiß Schneider, lasse sich ein Schwarzmarkt auch in einer bargeldlosen Welt aufrechterhalten: Mit der illegal beschäftigten Putzkraft könne man sich zum Beispiel im Supermarkt verabreden und ihren Einkauf bezahlen, statt ihr Bargeld zu geben. Noch einfacher sei aber die Nutzung von Prepaid-Kreditkarten, auf die man einen gewissen Betrag lade. Wer in Besitz dieser Karte komme, könne das darauf geladene Geld ganz unkompliziert ausgeben.
Beispiel Schweden: Kein positiver Effekt auf den Schwarzmarkt
Schweden beispielsweise gehört zu den Ländern in Europa, in denen das Bargeld zwar nicht abgeschafft wurde. Trotzdem wird hier fast ausschließlich digital oder mit Karte bezahlt. Im Handel laut dem britischen Marktforschungsunternehmen Lafferty Group in 95 Prozent aller Fälle. Das liegt unter anderem daran, dass es für die Banken aufwändig und teuer ist, das verhältnismäßig große, aber dünn besiedelte Land mit Bargeld zu versorgen. Einen positiven Effekt für den Schwarzmarkt hatte die Zurückdrängung des Bargeldes bislang nicht.
"Auch in Schweden ist die Schattenwirtschaft ungefähr so hoch wie die in Deutschland, also zehn Prozent des BIP. Und insofern ist in Schweden die Schattenwirtschaft immer noch vorhanden, weil die Steuern sehr hoch sind und jetzt in Zeichen der Krise mit steigender Arbeitslosigkeit wird auch die Schattenwirtschaft in Schweden wieder ansteigen", sagt Wirtschaftswissenschaftler Schneider.
Banknoten der schwedischen Währung Krone liegen am 19.02.2016 in Hamburg auf einem Tisch.
Schwedens Weg in die (fast) bargeldlose Gesellschaft
Schweden ist Vorreiter beim bargeldlosen Zahlungsverkehr. Mehr als 80 Prozent der Menschen zahlen kaum noch "cash". Doch Verbraucherschützer fürchten, dass Digitalisierung manche ausschließt.
Organisiertes Verbrechen arbeitet bargeldlos
Auch das Auslaufen des 500-Euro-Scheins, das die Europäische Zentralbank im vergangenen Jahr beschlossen hat, und das häufig damit begründet wird, dass er zur Terrorfinanzierung und Geldwäsche genutzt wurde, hält Friedrich Schneider nicht für wirkungsvoll, um den Schwarzmarkt zu bekämpfen:
"Ich habe das in Deutschland sehr genau untersucht und auch für die EU. Das Auslaufen des 500 Euro Scheins, zumal es den 200 und den 100 Euro-Schein ja noch gibt, hat keinerlei Effekte sowohl auf den Schwarzmarkt als auch auf die Kriminalität gehabt. Weil es noch a) große Banknoten weiterhin gibt und b) hier der Zusammenhang gerade in Deutschland und Österreich, auch in der Schweiz, aber auch Frankreich und den Benelux-Staaten sehr gering ist, dass die Höhe des Bargeldes einen Einfluss auf den Schwarzmarkt beziehungsweise auf die Kriminalität hat. Die Kriminellen sind heutzutage viel schlauer. Größere Summen transportieren die bargeldlos über Scheinfirmen und würden sich das auch nicht mehr antun mit einem Koffer von Geld über die Grenze zu gehen. In der organisierten Kriminalität spielt Bargeld höchstens im Endverbraucher Stadium beim Drogenverkauf noch eine Rolle, aber sonst überhaupt nicht mehr."
Ambivalentes Verhältnis zu bargeldlosem Zahlen
Bargeld, Kartenzahlung oder digitales Bezahlen? Was wird sich in Deutschland künftig durchsetzen? Stand heute kann man sagen: Die Deutschen haben ein ambivalentes Verhältnis zu technischen Bezahlmöglichkeiten. Beim Einkaufen nutzen sie diese immer häufiger, das war auch schon vor Corona so. Der Ausbruch der Pandemie hat dem unbaren Bezahlen aber noch einmal einen kräftigen Schub verliehen.
Gleichzeitig ist die Menge an Bargeld, die im Umlauf ist, hoch. Und sie steigt jedes Jahr um sechs bis sieben Prozent. Allein 2019 gab die Bundesbank Scheine im Wert von knapp 750 Milliarden Euro aus. Laut einer Umfrage der Notenbank hat ein Bürger in Deutschland im Schnitt 107 Euro im Portemonnaie. Zusätzlich hortet er zuhause oder im Bankschließfach durchschnittlich weitere 1.364 Euro. Als Gründe gaben die Menschen vor allem Schutz vor Niedrigzinsen und Angst vor Technikversagen an.
Wirtschaftswissenschaftler Ulrich Horstmann ist überzeugt, dass das Horten von Bargeld auch mit der deutschen Geschichte zusammenhängt: "Die Freude an der Kontrolle über das eigene Leben, die durchaus da ist, eine Freiheitsfreude vielleicht aus politischen Gründen. Oder die DDR-Bürger hatten so viel Freude, dass sie die D-Mark hatten. Sie wollen stabiles Geld haben die Deutschen, und sie wollen die Freiheit damit haben. Diese Urangst schwingt vor allen Dingen bei den Deutschen mit, weil wir staatliches Versagen viel mehr als andere Länder erlebt haben."
Eine Frau hebt Geld an einem Bankautomaten ab.
Die Bargeld-Infrastruktur in Deutschland ist im internationalen Vergleich sehr gut (picture alliance / VisualEyze / Matthias)
Banken als erste Gewinner
Die Gewinner einer zunehmend bargeldlosen Welt wären zunächst die Banken. Denn Bargeld und Geldautomaten auch in den hintersten Winkeln des Landes zur Verfügung zu stellen, kostet sie viel Geld. "Tatsächlich ist das ein Kostenblock, das ist gar keine Frage", sagt Tanja Beller vom Bundesverband Deutscher Banken. "Digitale Produkte kosten aber natürlich auch. Und letztendlich müssen die Banken so ein bisschen ihren eigenen Weg finden, auf welche Filialstruktur sie setzen, welche Kunden sie haben, welche Angebote sie dort noch machen also da gibt’s durchaus ganz unterschiedliche Wege."
Erste Versuche, das Bargeld zu reduzieren, gab es bereits: In Kleve in Nordrhein-Westfalen wollte ein Netzwerk aus Einzelhändlern die Ein- und Zwei-Cent-Münzen abschaffen und alle Preise auf fünf Cent aufrunden. Doch das Experiment scheiterte: Viele Händler machten nicht mit, der Aufwand war ihnen zu groß. Ähnlich lief es auf der Nordseeinsel Wangerooge. Dort stellte die einzige Bank vor Ort im vergangenen November die Ausgabe von Ein-, Zwei- und Fünf-Cent-Münzen ein. Kunden sollten bei jedem Kauf entscheiden, ob sie den Betrag auf- oder abrunden wollen. Den meisten war das zu kompliziert. Um doch irgendwie an Münzen zu kommen, tauschen die Händler inzwischen ihre verbliebenen Kleinstmünzen untereinander, oder nehmen Spardosen mit Münzen von Kunden entgegen.
Deutschland hat sehr gute Bargeld-Infrastruktur
Von einer zunehmend bargeldlosen Welt profitieren besonders Kreditkartenanbieter und die Anbieter mobiler Bezahlmöglichkeiten: Zwischen 0,2 und 0,3 Prozent des Umsatzes erhalten Kreditkartenanbieter bei jedem Bezahlvorgang vom Händler. Apple verlangt vom Verkäufer für seinen Bezahldienst Apple Pay 0,15 Prozent des Umsatzes.
Dass andere Länder in der digitalen Entwicklung weiter sind, liegt auch an der jeweiligen Vorgeschichte. Während in Deutschland eine sehr gute Bargeld-Infrastruktur mit vielen Geldautomaten Tradition hat, hat es diese in Ländern wie Schweden, aber auch in Lettland, Estland, Litauen oder den USA nie in dem Ausmaß gegeben. Kartenzahlung und digitales Bezahlen sind dort deshalb heute noch viel stärker verbreitet als in Deutschland.
Mit Corona-Angst wurde bargeldloses Zahlen befördert
Ein Mythos der vergangenen Monate lautete: Bei der Übergabe von Bargeld könne auch das Corona-Virus weitergegeben werden. Experten halten das Risiko jedoch für extrem gering. Dorothea Mohn vom Bundesverband der Verbraucherzentralen sagt: "Hier wurde mit Corona Angst gemacht und, und, und. Das hatte eine Zielrichtung. Für den Verbraucher liegen die Vorteile beim Bargeld und für den Handel für die Banken. Für die Kartenanbieter liegt der Vorteil eher im unbaren Bezahlen. Und deswegen hat man die Corona-Angst hier ganz klar für eigene Zwecke genutzt."

Dorothea Mohn schätzt deshalb, dass die Corona-Pandemie dem unbaren Bezahlen in Deutschland einen unumkehrbaren Schub verliehen hat: "Ich gehe davon aus, dass Corona an der Stelle genutzt worden ist, schon ein starker weiterer Katalysator fürs unbare bezahlen ist. Und natürlich hat der Handel teilweise auch seine Infrastruktur entsprechend aufgerüstet, sodass ich davon ausgehe, dass dieser Trend eher nicht großartig umkehrbar ist, sondern dass es ein weiterführender Trend ist. Allerdings würde ich trotzdem betonen, dass es immer einen erheblichen Anteil in der Bevölkerung geben wird, die sagt: Ich möchte lieber Bar zahlen und wenn es vor allem der Grund ist, dass man vermeiden möchte, dass man genau über mich sehen und sagen kann, was ich gerade den Tag über getan habe, weil das sieht man eben."
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
(Dieser Beitrag ist eine Wiederholung der Sendung vom 14.9.2020)