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Barock in Oberschwaben

Bereits seit den 60er-Jahren verbindet die Oberschwäbische Barockstraße Orte mit prächtigen Kirchen, Klöstern und Palästen aus der Barockzeit. Nirgendwo gab es damals in Deutschland so viele eigenständige Reichsstädte wie hier, dazu Reichsklöster, Ritterschaften, Grafschaften und Fürstentümer, jeweils mit eigener Regierung.

Von Dieter Wulf |
    "Wenn Sie reinkommen, sind sie ja erst mal erschlagen. So und dann die erste Reaktion, Bücher, dann die zweite Reaktion. Das ist Marmor oder was?"

    Wir sind im Bibliothekssaal von Kloster Schussenried. Auf zwei Etagen stehen große hellblaue Schränke, voll bepackt mit Büchern.

    "Die Bücher stehen alle fantastisch da, sie sind aber trotzdem dynamisch irgendwie bewegt, indem die einen kleiner sind, die anderen größer, der eine steht schräg, aber das Ganze ist kein Chaos, sondern es ist eine geordnete Unordnung."

    Dann erst, bei genauerem Hinsehen merkt man, all diese Bücher sind nur Attrappen, kunstvoll auf die Schranktüren gemalt. Überhaupt ist nichts so, wie es im ersten Moment erscheint, erklärt Michael Barczyk, der Stadtarchivar aus dem nahen Bad Waldsee.

    "Die Bücher sind so in der Barockzeit aufgemalt worden. Dann das Zweite - sind das tatsächlich alles Alabasterarbeiten? Da jetzt aber niemand von der Aufsicht da ist, werde ich etwas machen, was man nicht darf. (Geräusch). Hören sie das, ist Holz. Also wir haben hier ausschließlich Holz und damit wären wir bei einem weiteren Aspekt von dem Barock, der Schein geht vor. Der Schein erscheint als Wirklichkeit. Es ist für den barocken Menschen nur wichtig, dass es aussieht wie Alabaster, ob es in Wirklichkeit so ist, ist vollkommen egal. Und auch diese vielen Edelsteine in den Monstranzen, das ist gar nicht echt. Das ist alles Murano-Glas, gefärbtes. Aber sieht aus, als wenn es echt wäre und das ist Barock. Der Schein wird gewahrt."

    Ein Zeitalter der prallen Lebenslust, üppiger überquellender Formen in Architektur und Malerei, Gesang und Literatur. Und nirgendwo in Deutschland ist all das so präsent wie in Oberschwaben nördlich des Bodensees. Duzende Schlösser, Klöster und Kirchen warten hier auf den Besucher, um sie mit ihrer Pracht zu beeindrucken und zu betören.

    Das nämlich war schon immer die Funktion des Barock. Einer Lebensphilosophie, mit der die katholische Welt sich gegen die Reformation Luthers zu wehren versuchte. So wundert es nicht, dass sich genau dieses Weltbild an der üppig bemalten Decke des Bibliothekssaals wieder findet.

    "Zum Beispiel wenn Sie sich ganz umdrehen könnten, mal ganz kurz da hinten in diese Ecke die beiden kleinen Kinder das sollen die Freimaurer darstellen. Diese Kindergruppe das sind dann die Lutheraner. Dann, wenn Sie sich genau anders rumdrehen dann sehen sie eine Gruppe Moslems, sie sehen eine Gruppe von Calvinisten und vorne rechts sehen sie eine Gruppe von Josephinern."

    Hier sind die Kinder nicht die Unschuldigen, sondern Abtrünnige, die die wahre Lehre der katholischen Kirche nicht verstanden haben.

    "Die Kinder sind die Dummen. Die plappern irgendwas raus haben keine Ahnung und dann kommen die Erwachsenen und zeigen meist mit einer eindeutigen Geste auf ein Buch nämlich das Evangelium und das sind die Kirchenlehrer. Und die Kirchenlehrer der katholischen Kirche die Doktores Ecclesiae die weisen die Ketzer zu Recht."

    Seit dem 13. Jahrhundert hatten sich hier in Oberschwaben Dutzende Klein- und Kleinstaaten entwickelt. Wer von Bregenz nach Ulm reisen wollte, musste fünfzehn Zollgrenzen überschreiten. Mal herrschten Bischöfe, Äbte oder Fürsten, die alle ihre Macht in Klöstern und Palästen zu demonstrieren suchten. Was sie einte, war der Katholizismus und die Feindschaft gegen die mächtigen Pietisten und Lutheraner in Württemberg. Während man dort jede Vergnügungssucht und Luxus ablehnte, entstand in Oberschwaben ein schwelgender, vor Lebensfreude strotzender Barock. Während die Protestanten fast alle Bilder aus ihren Kirchen entfernt hatten, präsentierten sich katholische Barockkirchen mit überbordender Bilderflut, erklärt Michael Barczyk.

    "Im Barock muss überall Action sein. Alles muss sich bewegen, ich möchte fast sagen, aufgeregt sein, und dementsprechend kann der barocke Mensch eine weiße Fläche nicht sehen. Die muss besetzt sein, diese weiße Fläche, mit irgendwelchen Ornamenten oder Bildern oder Stuck und das ist eben der Horror Vacui, die Angst vor dem Leeren vor dem Vakuum."

    Und um dem Schrecken der Leere zu entgehen, blickt bis heute eine riesige Ansammlung von Herrschern und Philosophen, Künstlern und Gelehrten, Politikern und Theologen in beeindruckender Farbenpracht vom Deckengemälde des Schussenrieder Bibliothekssaales auf uns herab.

    Doch der Barock, meint Michael Barczyk beim Hinausgehen, war eben viel mehr als nur Kulturgeschichte. Der Barock änderte auch die Esskultur.

    "Wir können tatsächlich von einem barocken Essen sprechen und dementsprechend auch von einem barocken Trinken. Wir können nicht von einem gotischen von einem romanischen Essen, das geht nicht das ist Quatsch. Aber von einem Barocken kann man, warum? Mit dem Anbruch der barocken Zeit ändern sich unsere Trink- und Essgewohnheiten. Bleiben während der Barockzeit einigermaßen konstant und wie die Barockzeit zu Ende geht schwups ändern sich unsere Trink- und Essgewohnheiten. Ergo kann man sagen, für diese Epoche des Barocks, das ja sowieso nicht nur ein Kunststil war, sondern eine Weltauffassung, kann man ganz bestimmte Kriterien für das Trinken, aber auch Essen erkennen."

    Um zu erfahren, was damals auf den Tisch kam, hat Michael Barczyk alte Predigten und Rechnungsakten, historische Reiseberichte und Rezeptbücher gewälzt. Doch darüber zu reden ist das eine. Barocke Esskultur muss probiert werden.

    Während wir uns im Landgasthof zur Linde niederlassen, stimmt uns Bernhard Bitterwolf, der sich seit Jahren mit historischen Barockinstrumenten befasst, auf das kulinarische Essvergnügen ein.

    "Es war ein Signal mit dem wir sie begrüßen wollen hier in diesem gastlichen Haus in Steinhausen. Wir wollen uns also gemeinsam eine Mahlzeit der besonderen Art einnehmen. Und das sie auch Klänge aus der Zeit bekommen sollen, in der wir uns befinden, wenn wir hier tafeln. Ich habe Instrumente mit dabei, die alle hier in Oberschaben zu Hause sind. Sie haben alle ihre Wurzeln hier im oberschwäbischen Raum und sind alle in der Barockzeit gespielt worden. Das Eingangssignal auf einer sogenannten Piffel, Pifa, die Pfeife die Flöte aus dem lateinischen abgeleitet, ein ganz typisches bäuerliches Instrument, mit dem die Bauern früher die Kühe gelockt haben."

    Jetzt aber geht es dann wirklich ans Essen. Auf dem Menü stehen Trachten. Denn die einzelnen Gänge, wie man heute sagen würde, wurden damals von Klosterbrüdern auf Tragen hereingebracht. Man sprach also von Trachten. Bei uns steht als erste Tracht ein Fischmousse auf der Speisekarte. Vieles kam damals zerkleinert auf den Tisch, denn wer älter als 30 war, hatte meist nur noch wenige Zähne im Mund. Da war man froh, wenn man nicht allzu viel kauen musste. Dann folgt eine Brotsuppe, früher die tägliche Mahlzeit der Bauern. Erst danach, bei der dritten Tracht, kommen wir zum barocken Mittagstisch der Klöster und Paläste. Hahn in Stachelbeersoße mit Mangold und grünen Knöpfle. Knöpfle, typisch schwäbisch, sind Mehlspeisen, ähnlich wie Spätzle. Kartoffeln gab es hier im Barock noch gar nicht. Und so wie sich die Wandgemälde in Kirchen und Klöstern im Barock möglichst bunt und vielfältig präsentierten, sah es, wenn man es sich leisten konnte, auch auf den Tellern aus, erklärt Michael Barczyk.

    "Sie haben ja gesehen bei dem zahmen Hahn da gibt es Stachelbeeren dazu, und dazu dann Mangold. Stachelbeeren ist eher gelb, dann Mangold ist grün Muskat ist ein sehr hervorstechendes Gewürz und dann grüne Knöpfle. Das heißt, wenn Sie den zahmen Hahn mit dem weißen Fleisch sehen, haben dann eine ganze Palette von bunten Dingen. Es muss also bunt sein und der Kontrast zwischen den Farben muss möglichst stark sein."

    Leben, das bedeutete im Barock, den Genuss auszuleben wann immer möglich. Nicht das warten auf die Zukunft. Eine Mentalität, die durch den Dreißigjährigen Krieg entstanden war.

    "Es ist nichts beständig und deswegen möchte ich den Augenblick ergreifen, carpe diem. Den Tag möchte ich nützen. Da ich aber nicht weiß, ob ich morgen noch lebe, weil ja Krieg ist der Dreißigjährige Krieg, weil diese Gedanken sind ja alle im Dreißigjährigen Krieg entstanden, weil ich nicht weiß, ob ich morgen noch lebe, fresse ich mich heute tot."

    Während wir bei der nächsten Tracht, Rehragout mit wilden Beeren an Safransauce, angekommen sind, zitiert Michael Barczyk ein Gedicht von Andreas Gryphius, einem der bedeutendsten Lyriker der Barockzeit.

    "Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden. Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein. Wo jetzt uns Städte stehn, wird eine Wiese sein. Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden. Was jetzt uns prächtig blüht, soll bald zertreten sein. Was jetzt so pocht und trotzt ist morgen Asch und Bein. Nichts ist, das ewig ist, kein Erz, kein Marmorstein. Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden."

    Solange das Glück einem lachte, so die ganz praktische barocke Philosophie, sollte man sich ihr erfreuen. - Das lassen wir uns nicht zweimal sagen und machen uns über die letzte Tracht her, Eis mit Thymian und anderen Kräutern. Währenddessen erzählt Bernhard Bitterwolf von der Chronik eines nahe gelegenen Klosters.

    "Und zwar wird dort beschrieben, dass vor den Klostermauern zwei Musikanten aufgetreten seien, die wahrscheinlich auch gebettelt haben, um Nahrung gebettelt haben oder etwas zu trinken, vielleicht auch ein Dach über dem Kopf gebeten haben, und die haben gespielt und jetzt kommt's auf ihren Kuhhörnern so trefflich, darob all erstaunten."

    Also machte er sich auf die Suche nach einem Kuhhorn.

    "Ich bin los für den heutigen Tag und hab nach einem Kuhhorn gesucht, du kriegst keins mehr. Seit der BSE-Krise darf kein Metzger kein Schlachthof ein Kuhhorn hergeben."

    Schließlich fand er doch noch ein altes Horn bei einer Tante im Stall. Das Ergebnis aber, meint er, sei für heutige Ohren doch eher gewöhnungsbedürftig.

    "Ich kriege auf diesem Ding nichts anderes hin und damals war vermutlich auch nichts anderes möglich als das, lassen Sie sich jetzt nicht den Appetit verderben. - auf dem Kuhhorn."

    Nach dieser ausgiebig barocken Malzeit spazieren wir nur wenige Hundert Meter zur Dorfkirche in Steinhausen. Ein Meisterwerk barocker Baukunst.

    "Durch den Haupteingang kommt man hier in einen lichtdurchfluteten Raum. Wo sehen sie die Fenster? Gar nicht. Eben. Hier hat er so klug der Dominikus Zimmermann konstruiert, dass wir einen Licht durchflutenden Raum haben, aber die Lichtquelle gar nicht sehen. Das weißt auf ein weiteres Kriterium des Barock hin. Barock ist ohne Sonne nicht interpretierbar. Durch das Licht fängt es an zu leben."

    Und wie schon vorher in Schussenried führte auch hier der Horror Vacui den Pinsel. Nichts, kein weißer Fleck lässt sich finden. Alle Wände und die Kirchendecke sind über und über mit Heiligen und Engeln, Kirchenfürsten und Märtyrern bevölkert. Ein wirklich beeindruckendes Kulturerlebnis, das von den Touristikern als die schönste Dorfkirche der Welt angepriesen und vermarktet wird. Das aber sei völliger Blödsinn, ärgert sich der Historiker Michael Barczyk.

    "Wissen Sie, dieses Dorf hat vielleicht in der Barockzeit 250 Einwohner gehabt. Die haben sich nicht so eine Kirche bauen können, das geht gar nicht. Das ist nämlich keine Dorfkirche das ist nämlich eine Wallfahrtskirche."

    Den Titel schönste Wallfahrtskirche der Welt hatte sich aber schon vor Jahren die bayrische Wieskirche gesichert. Beide Kirchen wurden übrigens vom gleichen Architekten gebaut, jeweils mit ganz wirtschaftlicher Begründung.

    "Die Gläubigen damals waren ganz versessen aufs Wallfahren und sie sind zu relativ berühmten Wallfahrtsorten hier in der Gegend gewallfahrtet, die aber fast alle im Ausland lagen. Damals im Ausland. Und haben dann ihr sauer verdientes Geld mitgenommen. Und da hat natürlich nicht nur der Abt von Schussenried, sondern diese kleinen Fürsten und Herrscher haben sich gesagt, ich möchte jetzt dieses Auslaufen der Leute zu ausländischen Wallfahrtsorten unterbinden. Die sollen gefälligst in der Herrschaft bleiben und sollen hier das ersparte Geld ausgeben. Und so hat gerade der Abt von Schussenried geguckt, dass hier aus einer schon bestehenden, aber ganz kleinen Wallfahrtsstätte durch diese schöne große Kirche eine große Wallfahrt entsteht."

    Von hier geht es dann einige Kilometer weiter zu der kleinen Gemeinde Inzighofen, wo wir uns am Donauufer mit dem Bürgermeister Bernd Gombold treffen.

    "Wir gehen jetzt durch den fürstlichen Park. Das ist ein wildromantischer Park angelegt im Stil eines englischen Landschaftsgartens der unterhalb des Klosters am Hang zur Donau von der legendären Fürstin Amalie Zephyrine angelegt wurde. Ein Park in dem man früher zu Zeiten der fürstlichen Familie lustwandeln konnte, in dem Feste, Gesellschaften gefeiert wurden. Dieser Park schlängelt sich beidseitig der Donau die einmal das Herzstück einmal dieses Parks war, entlang diesen Hängen unterhalb des Klosters."

    Über kleine Pfade geht es an Felsen und steilen Abhängen vorbei, Felsdurchbrüche erlauben immer wieder faszinierende Aussichten, auf die sich hier noch sehr klein daherschlängelnde Donau. Am Ufer angekommen ragt ein großer Felsen in die Höhe, der an die Fürstin erinnert, die den Park anlegen ließ. Auf Wunsch ihrer Eltern hatte sie 1782 den Erbprinzen von Hohenzollern Sigmaringen geheiratet. Doch das Leben in der schwäbischen Kleinstadt schien Amalie Zephyrine offenbar unerträglich. Nur zehn Wochen nach der Geburt ihres Sohnes, floh sie 1785 in Männerkleidern nach Paris und lebte dort mitten in den Revolutionswirren. Erst nach zwanzig Jahren kam sie hier nach Inzighofen zurück, wo sie als großzügige Fürstin geschätzt wurde.

    "Wir stehen jetzt hier eigentlich an einem der bekanntesten Punkt im fürstlichen Park nämlich am Amalienfelsen. Ein 18 Meter steil aufragender Felsen der an einer Donaubiegung ein malerischer Platz bildet. An dieser Felswand ist eine Inschrift Andenken an Amalie Zeferine, die diesen Park anlegen ließ."

    Vom Donauufer gehen wir ein paarhundert Meter hinauf zum ehemaligen Kloster Inzighofen, das heute der Gemeinde gehört und eine Volkshochschule beheimatet. Über 500 Jahre war hier ein Augustinerfrauenstift, erzählt der Lehrer für Geschichte und Religion am nahe gelegenen Gymnasium in Messkirch Markus Fiederer, während wir in der Klosterkirche auf die Empore steigen

    Im unteren Kirchenschiff konnte früher die normale Bevölkerung am Gottesdienst teilnehmen. Die obere Empore, streng abgeschirmt durch ein Gitter, war den Nonnen vorbehalten.

    "Wahrscheinlich mit ganz wenigen Ausnahmen kam hier kein Mann rauf. Es gibt in der Klosterchronik einen Hinweis, dass männliche Bläser von Messkirch ausgeliehen worden seien, aber ob die tatsächlich hier rauf durften, wage ich fast zu bezweifeln, weil die Klausur sonst absolut streng eingehalten wurde."

    Während wir alle rechts und links im Chorgestühl Platz nehmen, wo früher die Augustinernonnen sangen und beteten, setzt sich Markus Fiederer an den frei stehenden Orgeltisch, mitten auf der Empore und bittet uns dann alle wieder aufzustehen.

    "So, und jetzt bitte ich Sie bitte sind Sie mir nicht böse, halten Sie jetzt bitte alle mal die Klappe."

    Das sorgt im ersten Moment für betretenes Schweigen, bevor wir merken was gemeint ist.

    "Nun gucken Sie vielleicht mal hinter sich, dann sehen sie die Klappe und dann bitte ich Sie vielleicht noch mal die Klappe zu halten."

    Tatsächlich hat das Chorgestühl an jedem Platz ein kleines Brettchen, das sich umklappen lässt.

    "Das ist nämlich ein stehender Ausdruck die Klappe halten und der kommt tatsächlich aus den Klöstern und der kommt daher, dass die Klosterfrauen beim Chorgebet diese Klappe nach oben umgeklappt haben und jetzt fragen sie warum. Sie sehen an dieser Klappe oben so eine Verzierung und das sind die so genannten Miserikordien. Miserikordia heißt lateinisch erbarmen, man hatte erbarmen mit den Klosterfrauen. Und diese Klosterfrauen die waren etwas kleiner als wir, die konnten sich dann auf diesen Miserikordien abstützen mit ihrem Hinterteil und so etwas bequemer am Chorgebet teilnehmen."

    Aber wenn man die Klappe nicht halten konnte, war es umso unangenehmer.

    "Sie können sich vorstellen wenn das Chorgebet mal wieder so richtig lang war, die Gefahr dass die Chorfrauen unkonzentriert waren oder vielleicht sogar eingeschlafen sind, die war natürlich dann am größten wenn es richtig leise und still war und dann fiel die Klappe runter und es war ein Mordslärm und daher kommt das die Klappe halten tatsächlich."

    Dann setzt Markus Fiederer sich an die Orgel.

    "Es sind tatsächlich Originalregister aus der Barockzeit. Also so muss man es sich wirklich vorstellen, so hat es geklungen."

    "Leider das einzig erhaltene Teil oder überhaupt Nachweis dieser Klostermusik ist diese Orgel hier, die in wichtigen Teilen doch in seiner barocken Gestalt erhalten ist von Johan Baptist Lang und ein ganz typisches Beispiel für oberschwäbische Orgeln und es ist so dass diese Orgel ganz oft und ganz lang gescholten wurde. Sie galt als schrill, sie galt als träge, fast ein bisschen derb oder obszön so in dieser Klangart."

    Erst vor etwa zwanzig Jahren wurde in den USA ein Exemplar des so genannten Ochsenhausener Orgelbuches entdeckt. Erst dadurch weiß man heute wieder, was auf diesen oberschwäbischen Barockorgeln eigentlich gespielt wurde. Anders als die norddeutsche eher intellektuelle Barockmusik eines Johan Sebastian Bach, liebte man es hier geradezu tänzerisch.

    "Insgesamt ist interessant, dass in dem Ochsenhausener Orgelbuch diese Gebrauchsanweisung lediglich ein einziges geistliches Werk drin ist, ansonsten sind es alles säkulare Tänze, Gavotte. Courante usw und das ist auch typisch für die Musikkultur hier im Kloster Inzighofen, wo man auch einige Nachweise hat was tatsächlich musiziert wurde."

    Barock, das war viel mehr als Architektur oder eine Kunstrichtung. Barock war ein Lebensgefühl, war pralle Lebenslust für alle Sinne. Und das gab's in Oberschwaben schon damals zu bezahlbaren Preisen.

    "Also wenn jemand, der nicht Oberschwaben kennt in eine Barockkirche reingeht, dann sagt der, der Abt war ein Blutsauger. Der hat die Leibeigenen ausgesaugt, um so tolle Paläste zu erstellen. Nein, nein, nein, nein. Das ist alles mit billigsten Mitteln gemacht worden."


    Wer auf den Geschmack gekommen sein sollte und selbst mal probieren will, wie im Barock gegessen wurde, der kann sich an Oberschwaben Tourismus in Bad Schussenried wenden. Dort kann man von Ostern bis Ende Oktober Übernachtung mit barocker Küche buchen. Und wer es selbst einmal ausprobieren will barock zu kochen, für den sei das Buch "Essen und Trinken im Barock" empfohlen, von Michael Barczyk, erschienen im Silberbuch-Verlag. Der Historiker, der auch im Beitrag zu hören war, präsentiert darin nicht nur historische Rezepte, sondern erklärt auch warum damals so gekocht wurde.