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Barrie Kosky inszeniert Händels "Semele"
Schillernder Erotik-Thriller

Händel komponierte seine Oper "Semele" 1743 in London. Den Stoff für dieses Oratorium fand der Komponist in der antiken Sagenwelt: Semele verliebt sich in den Göttervater Jupiter, und das geht am Ende schlimm aus. Ein musikalischer Erotik-Thriller mit nicht enden wollenden Koloraturen. Und das alles schillert zwischen Tragik und Komik.

Julia Spinola im Gespräch mit Beatrix Novy |
    Sängerin Nicole Chevalier als Semele in der Berliner Komischen Oper, Mai 2018
    Sängerin Nicole Chevalier als Semele in der Berliner Komischen Oper. (imago stock&people)
    Obwohl es sich doch bei Semele und Jupiter um ein absolut "wahnwitzes Liebespaar" handelt, habe der Komponist große Sympathien für beide. Händel habe hier ein Oratorium "mit nicht enden wollendem Koloraturen-Gejauchze" komponiert, versehen mit einer "verschmelzungssüchtigen melodischen Süße". Eine erotische Musik, der die Oratorienform sehr entgegen komme. Denn hier, erläutert Spinola, kann Händel "jenseits der starren Konventionen der italienischen Opera Seria mit höchst lebendigen musikdramatischen Formen experimentieren".
    Geschichte einer tödlichen Obsession
    Mit Konrad Junghänel habe man sich einen Spezialisten für diese Partitur geholt. Das Orchester der Komischen Oper Berlin spielt an diesem Abend auch zum Teil auf barocken Instrumenten. Kosky, der für die erkrankte Regisseurin Laura Scozzi kurzfristig eingesprungen ist, erzähle die Geschichte einer "tödlichen Obsession", einer "maßlosen erotischen Besessenheit", die nicht nur alle gesellschaftlichen Konventionen sprenge, sondern die Grenze zwischen Himmel und Erde gleich mit zum Einstürzen bringen will.
    Semele und Jupiter sind einander "vollständig verfallen" und von einem "fatalen Verschmelzungswunsch" besessen. Kosky erzähle diese Geschichte von ihrem Ende her: Der göttliche Blitz hat eingeschlagen in die bürgerliche Behaglichkeit. Wände und Mobiliar sind verkohlt. Aus einem kleinen Aschehaufen wühlt sich Semele und klaubt die Bruchstücke ihrer eigenen Geschichte zusammen wie die Scherben eines Spiegels. Das Bühnenbild (Natacha Le Guen de Kerneizon) und die Kostüme (Carla Teti) stammen allerdings noch aus dem Regiekonzept von Laura Scozzi.
    An der Grenze zum Dick-Aufgetragenen
    Nicole Chevalier ist in der Rolle der Semele zu sehen und zeige eine Frau, die sich vollständig verloren habe, seit sie von Jupiter durch die Kaminöffnung entführt wurde. Und auch sängerisch werfe sie sich rückhaltlos in die Partie. Ihre "Gestaltungswut" laviere aber " immer etwas an der Grenze zum Dick-Aufgetragenen, Aufgesetzten". Allan Claytons Jupiter - eine schräge Figur im Frack mit lila Socken und barocker Haarpracht – ist Spinola zufolge mit seinem "fokussierten, farbenreichen Tenor" dem restlichen Ensemble "haushoch überlegen".
    Ein Stück, raffiniert schillernd zwischen Tragik und Komik. Grell gezeichnet mit Hang zum Klamauk sind nach Einschätzung von Spinola vor allem die Nebenfiguren, die dem Geschehen Leichtigkeit verleihen - und einen, "bei allem Anspruch, hohen Unterhaltungswert".