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Barrie Kosky inszeniert in Paris
Wahnsinnsende für Prinz Igor

Regisseur Barrie Kosky deutet für die Bastille-Oper Alexander Borodins "Fürst Igor" um: Bei ihm verschwindet der Machthaber am Ende einfach von der Bühne, nur sein Mantel bleibt. Dlf-Kritiker Jörn Florian Fuchs findet, Koskys bunte Ästhetik passe bestens zu Borodins opulenter Musik.

Von Jörn Florian Fuchs |
Der australische Theater- und Oper-Direktor Barrie Kosky possiert hier "on stage" für seine neue Inszenierung von "Prince Igor" (Alexander Porfiryevich Borodin), die in der Opéra Bastille in Paris aufgeführt wird ab dem 25. November 2019
Der Regisseur bittet zur Premiere - Barrie Kosky zu Gast an der Opéra Bastille (Eric Feferberg / AFP)
Düster geht es zu an diesem Abend. Die Bastille-Oper ist von Bauzäunen umgeben, Obdachlose kampieren in der Nähe der Abendkasse. Drinnen erwarten einen unterdessen knappe vier Stunden Machtverfall, Schlachtgetümmel und Melancholie – dies alles in ungemein süffige, energiereiche Klänge verpackt, die der im Hauptberuf als Chemiker und Arzt tätig gewesene Alexander Borodin nur zum Teil selbst fertig komponierte. Manche Ergänzung, vor allem bei der Instrumentation, besorgten Kollegen.
In Paris spielt man eine besondere Fassung: mit einem raren, sehr tristen und überaus langen Monolog Igors; die temporeiche Ouvertüre wird im letzten Drittel platziert, dafür entfällt ein Akt fast ganz. Opernphilologen kommen voll auf ihre Kosten, fürs Publikum wird es ein bisschen wirr.
Kosky-Kaspereien
Aber Borodins "Fürst Igor" ist ja ohnehin nicht völlig schlüssig. Der Machtverlust des Titelhelden durch Überschätzung seiner militärischen Mittel und Intrigen wird durch ein arg plötzliches "lieto fine", also ein "Happy End", konterkariert: Igor kehrt triumphal zurück, alle sind froh. Und dann hochzeitet man auch noch über die verfeindeten Lager hinweg.
Regisseur Barrie Kosky sieht das anders und lässt in seiner Inszenierung den Fürsten gar nicht mehr auftauchen – zwei betrunkene Deserteure albern mit Igors Mantel herum, und das Volk deliriert dazu. Im Wahnsinn endet diese Oper. Vorher mischt die Regie munter Pathos und bunte Überzeichnung. Dazu gibt es die üblichen Kosky-Kaspereien: halbnackte Mannen, die sich in einem Pool erfrischen und nebenbei auch mal junge Nonnen schänden. Zu den berühmten Polowetzer Tänzen jagen mythische Wesen mit Hörnern über die Bühne.
Starke Bilder, wirksame Kontraste
In einer Kathedrale beginnt alles mit einer Schreckensvision Igors. Es wird eine Katastrophe kommen. Doch der plötzlich blutende Herrscher führt sich und seine Truppen trotzdem in den Krieg. Es gibt starke Bilder, klare Personenzeichnung, wirksame Kontraste. Eine ausufernde Anrufung nationalistischer Schutzpatrone sorgt für direkte Schläge auf den Körper Igors, die sich gleichsam aus der Musik heraus entwickeln. Otto Pichler hat als Leib- und Seelenchoreograph von Barrie Kosky wieder ganze Arbeit geleistet und hält das fulminante Tanzensemble präzise auf Trab. Natürlich passt Borodins testosteron-geschwängerte Opulenz überhaupt bestens zu Koskys einschlägiger Ästhetik.
Blasse Himmelsmusik
Männlich wuchtig gibt Ildar Abdrazakov Fürst Igor. Seine Gattin Iaroslavna wird von Elena Stikhina mit warmem, erotischem Vokalglanz ausgestattet. Die ebenfalls sehr umworbene Dame im Lager der Feinde heißt Kontchakovna: Ihr verleiht Anita Rachvelishvili gleißend Kontur. José Luis Basso sorgt für präsente Chöre, was bei diesem Stück fast so wichtig ist wie ein Orchester, das die mal verinnerlicht kirchenliturgischen, mal fremdartig orientalischen, dann wieder aufgeheizt expressiven Klänge umsetzen kann.
Am Pult des Pariser Opernorchesters steht sein Noch-Chef Philippe Jordan: Zu hören gibt es viel Feines, Flirrendes, Farbiges. Doch die trommelnde höllen- und glockenwummernde Himmelsmusik bleibt eher blass. Das Meiste klebt formschön am Boden, nur bei den Polowetzer Tänzen lässt es Jordan ordentlich krachen.