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Barrierefreies Studium

Es war ein kleines Missgeschick mit einem spitzen Werkzeug. Luis Braille erblindete im Alter von vier Jahren. 1825 entwickelte der Franzose die nach ihm benannte "Brailleschrift" für Blinde. Am Jahrestag der Erfindung werfen wir einen Blick an Universitäten: Wie wird dort mit blinden Menschen umgegangen?

Von Michael Engel |
    Der Fahrstuhl führt in die dritte Etage. Hier, im ehemaligen "Contihochhaus" am Königsworther Platz, liegt die Juristische Fakultät der Uni Hannover. Für blinde Studierende, unabhängig vom Studienfach, eine Adresse von zentraler Bedeutung. Sie alle klopfen beim sogenannten "Auflesedienst" an:

    "Offenbarung, die als solche mitgeteilt wird, muss eine Gestalt in der Welt haben ... "

    Angelika Luckert liest gerade aus dem Buch "Sein wie Gott - Aspekte des Religiösen im schizophrenen Erleben" von Ronald Mundhenk. Direkt vor ihr auf dem Schreibtisch steht ein Mikrophon, denn die Texte werden hier auch aufgezeichnet:

    "Die Studenten werden ja mit Literatur versorgt in ihren Seminaren und Vorlesungen, sie bekommen zum Beispiel Skripte oder sie müssen bestimmte Bücher lesen zu einem Thema, und mit dieser Literatur kommen sie dann zu mir und erwarten von mir, dass ich ihnen die Literatur aufbereite."

    Aufbereiten heißt, dass der Text vertont auf einer CD landet, die von den Sehbehinderten mit nach Hause genommen werden kann. Oder aber, was im Zeitalter der digitalen Datenverarbeitung immer häufiger der Fall ist, das Buch einscannen zu lassen, um es später in Blindenschrift zu lesen:

    "Wir gehen jetzt zum Blinden- und Sehbehinderten-Arbeitsraum, den ich aufschließe. Hier stehen einige Geräte, unter anderem große Bildschirme, ein PC, ein Drucker, Blindenschriftdrucker, Schwarzschriftdrucker, und auch eine Tastatur mit einer Brailleschriftzeile."

    Rita Sander betreut den Arbeitsraum in der Fachbibliothek für Rechtswissenschaften, die nur einen Steinwurf vom Contihochhaus entfernt liegt. Herzstück ist der Brailleschriftdrucker:

    Der Spezialdrucker, der eher einer Nähmaschine ähnelt, stanzt punktförmige Erhebungen in das Papier: Brailleschrift! So ist der schwierige Text nun auch für Lucia Hoffmann lesbar. Sie ertastet die Wörter mit den Fingerspitzen:

    "Also das hat für mich auch noch einen hohen Stellenwert, weil ich immer so ein Mensch bin, ich brauche die Sachen immer direkt unter den Fingern, wenn ich mir jetzt längere philosophische Texte durchlese, wo die Satzstruktur oftmals auch ziemlich verschachtelt ist, mit Sprachausgabe könnte ich das nicht."

    Lucia Hoffmann, die Philosophie, evangelische Theologie und Jura studiert, kennt mittlerweile einige Universitäten in Deutschland: Nur wenige Hochschulen haben sich für Sehbehinderte geöffnet, so ihre Erfahrungen.

    "Es gibt einige Unis wie hier in Hannover oder in Marburg, wo sehr viele Blinde und Sehbehinderte studieren. Oder auch an der LMU in München, die spezielle Räume mit spezieller Technik vorhalten oder auch Zivis oder andere Hilfskräfte oder Mitarbeiter eingestellt haben, die halt für Blinde und Sehbehinderte Texte aufbereiten. Aber das ist nicht an allen Unis gang und gäbe. Also das ist schon so, dass man sich die Uni ein Stückweit nach diesen Gegebenheiten dann auch auswählt."

    Entsprechend eingeengt ist dann auch die Fächerwahl für die angehenden Akademiker mit Sehbehinderungen. Zum Glück sind viele Kommilitoninnen und Kommilitonen sehr hilfsbereit, urteilt Lucia Hoffmann. Doch das gilt leider nicht immer für die Dozenten.

    "Das steht und fällt mit den Dozenten. Ich hab's an einer anderen Uni auch erlebt, also nicht in München, sondern an einer anderen Uni hier in Niedersachsen, wo das überhaupt nicht gelaufen ist und wo das Institut komplett dagegen war, dass ich da studiert habe. Und: Das gibt's halt auch!"

    Einen gesetzlich geregelten Anspruch zum Beispiel auf einen Zeitzuschlag bei Klausuren oder Fristverlängerung für Hausarbeiten haben die Sehbehinderten nicht. Die Formulierungen in den Prüfungsordnungen sind diesbezüglich eher vage. So liegt es im Ermessen der Professoren, wie sie den Sehbehinderten entgegen kommen.