Silvia Engels: Gestern wurde eine Statistik der Bundesagentur für Arbeit bekannt. Danach ist jeder zehnte Jobsuchende, der Arbeitslosengeld eins bezieht, zusätzlich auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen – eine Folge der Tatsache, dass viele Menschen zwar zwischenzeitlich Jobs finden, aber so gering entlohnt werden, dass sie im Fall erneuter Arbeitslosigkeit gar keine, oder nur geringe Summen als Arbeitslosengeld zu erwarten haben. Gestern Abend sprach darüber meine Kollegin Christiane Kaess mit Klaus Barthel, er ist der frisch gewählte Vorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, und sie fragte ihn, ob die Arbeitslosenversicherung an Bedeutung verliert.
Klaus Barthel: Ja es ist offensichtlich so: Wir haben einmal die Menschen, für die das Arbeitslosengeld einfach zu wenig schon ist, es kommen aber noch viele andere dazu, die gar nicht mehr zum Beispiel es schaffen, einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I zu erwerben, weil sie nur zu kurzzeitig beschäftigt sind, und dann haben wir natürlich noch das große Heer derjenigen, die erwerbstätig sind und trotzdem Arbeitslosengeld II beziehen müssen.
Christiane Kaess: Bleiben wir noch mal bei den Zahlen, die heute in der "Süddeutschen Zeitung" zitiert werden. Sagen diese Zahlen auf der anderen Seite nicht auch aus, dass es für Geringqualifiziertere leichter geworden ist, einen Job zu bekommen?
Barthel: Nein. Da gibt es ja Untersuchungen die zeigen, dass sogar die Zahl derjenigen, die abgerutscht sind in das Hartz-IV-System, zum Beispiel, nachdem sie den Arbeitsplatz verloren haben, sogar noch gestiegen ist im letzten Jahr. Das heißt also, es kann eigentlich nicht davon die Rede sein, dass unser System im Moment eine Brücke darstellt, sondern es ist eher eine Rutschbahn.
Kaess: Aber die Zahl der Aufstocker bei den Beziehern von Arbeitslosengeld I, die geht zurück laut dieser Zitate heute in der "Süddeutschen Zeitung". Letztendlich: Das Problem wird also kleiner?
Barthel: Davon kann gar nicht die Rede sein. Natürlich sind jetzt im Zuge des konjunkturellen Aufschwungs ein paar Langzeitarbeitslose weniger da, das ist richtig, und es gibt auch ein paar Aufstocker weniger. Aber die Tendenz ist trotzdem unterm Strich überhaupt nicht beruhigend.
Kaess: Was muss Ihrer Meinung nach geändert werden?
Barthel: Ich glaube, das erste ist mal, dass wir die Ursachen in der Arbeitswelt beseitigen, das heißt den ganzen Niedriglohnsektor angehen. Das heißt, nur ein vernünftiges Lohnniveau kann auch dann sicherstellen, dass nicht ergänzende Leistungen bezogen werden müssen. Das gilt ja dann auch eben für die, von denen wir am Anfang gesprochen haben, die so niedriges Arbeitslosengeld bekommen, und dieses Arbeitslosengeld I richtet sich ja nach dem Lohn, den man vorher bekommen hat.
Kaess: Das heißt konkret ein gesetzlicher Mindestlohn?
Barthel: Das heißt gesetzlicher flächendeckender Mindestlohn. Es ist klar: Wir müssen dann zweitens zusehen, dass wir die ganze Aufsplitterung, die wir momentan bei vielen Arbeitsverhältnissen erleben, also zum Beispiel Aufsplitterung in Minijobs oder in ganz kleine Teilzeitarbeitsverhältnisse, dass wir die umkehren und zusehen, dass die Arbeit insgesamt wieder dazu ausreicht, um vernünftig davon zu leben und dann auch entsprechende Lohnersatzleistungen zu kriegen, wenn man arbeitslos wird.
Kaess: Sie haben den Mindestlohn angesprochen. Aber bei der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns wird es ja gerade für die Geringqualifizierteren schwieriger, einen Job zu finden.
Barthel: Das wird immer behauptet. Die Erfahrungen, die in anderen europäischen Ländern dazu gemacht werden, die bestätigen dieses Vorurteil überhaupt nicht. Zum Beispiel in Großbritannien oder auch unsere eigenen Erfahrungen in Deutschland im Bausektor mit dem Mindestlohn zeigen, dass die Einführung von Mindestlöhnen nicht dazu führt, dass Arbeitsverhältnisse verloren gehen, und wir müssen ja auch sehen, dass die Gleichsetzung von Niedriglohn oder dann auch schlechten Lohnersatzleistungen mit geringer Qualifizierung falsch ist, weil 80 Prozent der Niedriglöhner zum Beispiel haben eine Berufsausbildung. Es sind sogar mehr als 15 Prozent Akademiker dabei. Das heißt, viele arbeiten im Niedriglohnsektor, kriegen wenig Geld für eine an sich qualifizierte Arbeit.
Kaess: Sie haben die brüchigen Erwerbsleben auch angesprochen, die offensichtlich auch ein Problem in diesem Zusammenhang sind. Aber wie kann man denn diejenigen, die gearbeitet haben und entsprechend auch eingezahlt haben, unterscheiden von denjenigen, die eben nicht beziehungsweise sehr wenig gearbeitet haben?
Barthel: Na ja, das ist ja genau der Punkt. Im Grunde ist ja in diesem System, das wir jetzt erleben, es schon fast egal, ob jemand sich anstrengt und schaut, dass er eine Arbeit kriegt, weil er landet ja genauso im Hartz-IV-System, oder sie, wenn sie das nicht täte, und deswegen fordern wir ja, dass eben die Erwerbstätigkeit dazu führen muss, dass man auch dann bessere Ansprüche zum Beispiel im Arbeitslosengeld I oder später dann auch bei der Rente erwirbt und dass genau diese Leistung berücksichtigt wird, und das jetzige System, so wie wir es haben, produziert genau das Gegenteil.
Engels: Klaus Barthel, der neue Vorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, im Gespräch mit meiner Kollegin Christiane Kaess.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Klaus Barthel: Ja es ist offensichtlich so: Wir haben einmal die Menschen, für die das Arbeitslosengeld einfach zu wenig schon ist, es kommen aber noch viele andere dazu, die gar nicht mehr zum Beispiel es schaffen, einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I zu erwerben, weil sie nur zu kurzzeitig beschäftigt sind, und dann haben wir natürlich noch das große Heer derjenigen, die erwerbstätig sind und trotzdem Arbeitslosengeld II beziehen müssen.
Christiane Kaess: Bleiben wir noch mal bei den Zahlen, die heute in der "Süddeutschen Zeitung" zitiert werden. Sagen diese Zahlen auf der anderen Seite nicht auch aus, dass es für Geringqualifiziertere leichter geworden ist, einen Job zu bekommen?
Barthel: Nein. Da gibt es ja Untersuchungen die zeigen, dass sogar die Zahl derjenigen, die abgerutscht sind in das Hartz-IV-System, zum Beispiel, nachdem sie den Arbeitsplatz verloren haben, sogar noch gestiegen ist im letzten Jahr. Das heißt also, es kann eigentlich nicht davon die Rede sein, dass unser System im Moment eine Brücke darstellt, sondern es ist eher eine Rutschbahn.
Kaess: Aber die Zahl der Aufstocker bei den Beziehern von Arbeitslosengeld I, die geht zurück laut dieser Zitate heute in der "Süddeutschen Zeitung". Letztendlich: Das Problem wird also kleiner?
Barthel: Davon kann gar nicht die Rede sein. Natürlich sind jetzt im Zuge des konjunkturellen Aufschwungs ein paar Langzeitarbeitslose weniger da, das ist richtig, und es gibt auch ein paar Aufstocker weniger. Aber die Tendenz ist trotzdem unterm Strich überhaupt nicht beruhigend.
Kaess: Was muss Ihrer Meinung nach geändert werden?
Barthel: Ich glaube, das erste ist mal, dass wir die Ursachen in der Arbeitswelt beseitigen, das heißt den ganzen Niedriglohnsektor angehen. Das heißt, nur ein vernünftiges Lohnniveau kann auch dann sicherstellen, dass nicht ergänzende Leistungen bezogen werden müssen. Das gilt ja dann auch eben für die, von denen wir am Anfang gesprochen haben, die so niedriges Arbeitslosengeld bekommen, und dieses Arbeitslosengeld I richtet sich ja nach dem Lohn, den man vorher bekommen hat.
Kaess: Das heißt konkret ein gesetzlicher Mindestlohn?
Barthel: Das heißt gesetzlicher flächendeckender Mindestlohn. Es ist klar: Wir müssen dann zweitens zusehen, dass wir die ganze Aufsplitterung, die wir momentan bei vielen Arbeitsverhältnissen erleben, also zum Beispiel Aufsplitterung in Minijobs oder in ganz kleine Teilzeitarbeitsverhältnisse, dass wir die umkehren und zusehen, dass die Arbeit insgesamt wieder dazu ausreicht, um vernünftig davon zu leben und dann auch entsprechende Lohnersatzleistungen zu kriegen, wenn man arbeitslos wird.
Kaess: Sie haben den Mindestlohn angesprochen. Aber bei der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns wird es ja gerade für die Geringqualifizierteren schwieriger, einen Job zu finden.
Barthel: Das wird immer behauptet. Die Erfahrungen, die in anderen europäischen Ländern dazu gemacht werden, die bestätigen dieses Vorurteil überhaupt nicht. Zum Beispiel in Großbritannien oder auch unsere eigenen Erfahrungen in Deutschland im Bausektor mit dem Mindestlohn zeigen, dass die Einführung von Mindestlöhnen nicht dazu führt, dass Arbeitsverhältnisse verloren gehen, und wir müssen ja auch sehen, dass die Gleichsetzung von Niedriglohn oder dann auch schlechten Lohnersatzleistungen mit geringer Qualifizierung falsch ist, weil 80 Prozent der Niedriglöhner zum Beispiel haben eine Berufsausbildung. Es sind sogar mehr als 15 Prozent Akademiker dabei. Das heißt, viele arbeiten im Niedriglohnsektor, kriegen wenig Geld für eine an sich qualifizierte Arbeit.
Kaess: Sie haben die brüchigen Erwerbsleben auch angesprochen, die offensichtlich auch ein Problem in diesem Zusammenhang sind. Aber wie kann man denn diejenigen, die gearbeitet haben und entsprechend auch eingezahlt haben, unterscheiden von denjenigen, die eben nicht beziehungsweise sehr wenig gearbeitet haben?
Barthel: Na ja, das ist ja genau der Punkt. Im Grunde ist ja in diesem System, das wir jetzt erleben, es schon fast egal, ob jemand sich anstrengt und schaut, dass er eine Arbeit kriegt, weil er landet ja genauso im Hartz-IV-System, oder sie, wenn sie das nicht täte, und deswegen fordern wir ja, dass eben die Erwerbstätigkeit dazu führen muss, dass man auch dann bessere Ansprüche zum Beispiel im Arbeitslosengeld I oder später dann auch bei der Rente erwirbt und dass genau diese Leistung berücksichtigt wird, und das jetzige System, so wie wir es haben, produziert genau das Gegenteil.
Engels: Klaus Barthel, der neue Vorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, im Gespräch mit meiner Kollegin Christiane Kaess.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.