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Bartholomäus Grill zum Kolonialerbe
"Europa bevormundet Afrika noch immer"

In den Köpfen wirke die Kolonialzeit weiter fort, sagte der Historiker und Journalist Bartholomäus Grill im Dlf. Selbst in der Bundesregierung gäbe es immer noch "zutiefst kolonialistische" Ideen. Bei der Rückgabe kolonialer Objekten werde Geschichte glatt gebügelt.

Bartholomäus Grill im Gespräch mit Anja Reinhardt |
Das Neue Museum auf der Museumsinsel in Berlin. Das Foto zeigt Touristen an der weltberühmten, ca. 3000 Jahre alten, Büste der Pharaonengattin Nofretete.
Büste der Nofretete, die rund 3.000 Jahre alt ist, im Neuen Museum Berlin (picture alliance / Ulrich Baumgarten)
Die Kolonialzeit wirke bis heute fort, so Bartholomäus Grill, Autor des Buches "Wir Herrenmenschen. Unser rassistisches Erbe: Eine Reise in die deutsche Kolonialgeschichte". In Afrika stünden westliche Werte im Vordergrund. Die Gesellschaften seien immer noch davon geprägt, dass Europäer soziale und ökonomische Strukturen gewaltsam etabliert hätten. Und der Westen habe nach wie vor die kulturelle Deutungshoheit. Wer in Afrika studieren wolle, der müsse seine "ganze Afrikanität aufgeben. Und am Ende sich, wie man in Südafrika spöttisch sagt, in Kokosnüsse verwandeln: Außen braun, innen weiß."
Der Journalist und Afrika-Experte Bartholomäus Grill, August 2018.
Historiker und Journalist Bartholomäus Grill, Afrika-Korrespondent beim Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" (imago / Ute Grabowsky)
Das Knechtsmal verinnerlicht
Und auch der Blick von Europa nach Afrika sei nach wie vor kolonial: "Wir nehmen einen Kontinent wie Afrika wie ein Land war", wie eine "amorphe Krisenmasse". Auch die Medien nähmen das Bild des dunklen, des krisenhaften und korrupten Kontinents bereitwillig auf. Dabei gäbe es eine Wechselwirkung, denn genau dieses Bild habe sich auch bei den Bewohnern des afrikanischen Kontinents manifestiert. "Sie haben dieses Knechtsmal verinnerlicht", so Bartholomäus Grill. Jede Generation müsse dies aufs Neue überwinden, um zu einem Selbstbewusstsein zu kommen, dass die Vorrausetzung zu Emanzipation sei.
Für afrikanische Herrscher habe die Wahrnehmung als "Opfer" auch Vorteile gebracht. Doch diesen Opferkomplex müssten die Afrikaner überwinden. Das könne ihnen keiner abnehmen.
Kolonialer Blick auch in der Bundesregierung
Auch in der Bundesregierung wirke der koloniale Blick fort, wenn Günter Nooke, der Afrika-Beauftragte der Bundeskanzlerin, sage, Afrika sei "anders" und Europa habe den Kontinent aus archaischen Strukturen herausgeholt. "Das ist verheerend", kommentiert Grill.
"Aber Herr Nooke geht ja noch weiter: Er forderte in einem Aufsatz, dass man eben zum Teil die Souveränitätsrechte aussetzen müsse. Das heißt, dass man den Staaten, in denen die Sonderzonen sind, hoheitliche Rechte nimmt, um dann einen Entwicklungsraum zu schaffen, wo man dann wirklich Entwicklung voran treibt. Das ist eine zutiefst kolonialistische Idee."
Grill sieht Humboldt-Forum kritisch
In der Debatte um den Umgang mit kolonialen Objekten in unseren Museen wirke die Überlegenheitsgeste ebenfalls fort. "Indem man das, was man gestohlen hat in den ehemaligen Kolonien, zum geteilten Menschheitserbe erklärt - "shared heritage" - versucht man, diese Entwendung, diesen Diebstahl, diesen Raub zu legitimieren." Das sei auch der Versuch, Objekte nicht zurückzugeben.
Deswegen sehe er auch das Humboldt Forum sehr kritisch, da werde "Geschichte glattgebügelt". Es sei außerdem bevormundend, in Europa zu problematisieren, was in Afrika mit zurückgegebenen Objekten passiere, dass die wertvollen Benin-Bronzen dann vielleicht auf dem Kunstmarkt landen, statt im Museum. Dazu Grill: "So what! Es gehört ihnen!"
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.