Was treibt die Menschen an? Darf man die letzten Geheimnisse eines anderen erfahren? Wie lebt man mit einer Schuld, mit einem Trauma? Rechtfertigt der Glaube an eine bessere Welt grausame Taten? Ist Rache eine Lösung? Bohrende Fragen ohne Antworten, die aufkommen und nachwirken bei Béla Bartóks "Herzog Blaubart" und bei Peter Eötvös’ "Senza sangue".
Rache an den Mördern
Ein Mädchen überlebt als einziges Familienmitglied einen Rachefeldzug von Partisanen in einem Bürgerkrieg. Einer der Mörder hat sie in ihrem Versteck entdeckt, aber verschont. Der nur wenige Sekunden dauernde Blick brennt sich für immer in das Leben der beiden ein. Nach 50 Jahren treffen sie sich wieder. Sie hat Rache an den übrigen Mördern geübt und möchte ihren Retter kennenlernen, er, ein Leben lang mit Schuld beladen, fürchtet ihre Rache und hofft auf Vergebung. Doch sie geht mit ihm in ein Hotel, um mit ihm zu schlafen. Peter Eötvös:
"Die Rache als solche kommt während dieser Dialoge ständig als Hauptmotiv vor, es gibt eigentlich keine Lösung, die Lösung ist eben diese überraschende Lösung: jetzt kann man nur noch entweder sich gegenseitig töten oder zusammen leben."
Musik erzählt von verborgenen Wünschen
Bartóks "Herzog Blaubart" endet dagegen wie es im Text heißt in "ewiger Nacht". Psychologie, Liebe, Geschlechterkampf spielen seit den Anfängen der Oper eine wichtige Rolle, doch nirgends ist das brennende Thema durch das Aufeinandertreffen von nur einem Mann und einer Frau so konzentriert in den Fokus genommen worden wie in Bartóks 1911 komponiertem "Herzog Blaubart". Kein Wunder, werden die Seelen-Geheimnisse spätestens seit Freuds "Traumdeutung" offiziell ergründet. Die Musik freilich erzählte längst von den verborgenen Wünschen.
Bei Bartók steht der Mann als zu ergründendes Wesen im Mittelpunkt, die Frau überschreitet hier durch ihr Fragen und das Öffnen der sieben Türen eine Grenze nach der anderen, in der Hoffnung Licht in Blaubarts dunkle Seele zu bringen. Doch er hat zu viel Angst vor sich selbst. Auch in Eötvös’ "Senza sangue" ist sie die treibende Kraft, aber hier befragen sich Mann und Frau gegenseitig und ringen gemeinsam um eine Lösung.
"Man hat eigentlich kein Interesse von dem Mann die Frau kennenzulernen, sondern nur eine nach dem anderen nehmen, töten, nächste nehmen, das ist das klassische Modell der Blaubart-Geschichte. Das hat sich, Gott sei Dank, im Lauf eines Jahrhunderts geändert und entwickelt, dass man sich auch gegenseitig fragen kann und allmählich auch an den Eigenschaften einer Frau interessiert ist."
Geheimnisvolle Anfänge
In vielem korrespondiert Eötvös’ Musiktheater mit Bartóks Werk. Die Orchesterbesetzung ist bis auf die Orgel identisch, wie bei Bartok gibt es sieben Szenen, die Länge ist mit einer knappen Stunde fast gleich. Die Anfänge klingen ähnlich geheimnisvoll.
"Es ging nicht darum, dass ich mich an Bartok anbinde. Aber ich habe einen eigenen Stil für "Senza sangue" entwickelt, herausgefunden, herausgehört. Die Themen, die Masse des Klanges und die Art der Akkorde sind eigenständig und anders als in "Blaubart", führen aber trotzdem dahin."
Wie Bartók "entlarvt" Eötvös mit seiner Musik die unausgesprochenen Emotionen. Seine Musik lebt von scharfen Kontrasten, markanten Rhythmen, großen Klangballungen. Sie wirkt sachlicher als Bartóks farbige, geheimnisvoll schillernde Tonsprache. Man hört, dass Bartók ein Kind seiner Zeit ist und in der Tradition von Debussy oder Strauss steht.
Beide Einakter lässt Regisseur Dmitri Tcherniakov nahtlos ineinander übergehen. Für ihn sind die Paare identisch, sie tragen dieselben Kostüme. Wie der Mann und die Frau am Ende von "Senza sangue" in ein Hotel gehen, sieht man in einem Video auf dem heruntergelassenen Vorhang. Das Hotelzimmer entpuppt sich dann als Blaubarts Burg. Noch klingen die letzten Töne von "Senza sangue", Mann und Frau liegen auf dem Bett. Er erwacht und will sich umbringen, sie kann es gerade noch verhindern. Bedrohlich heben die ersten magischen Töne von Bartóks Blaubart an. Es war Judiths erster Rettungsversuch.
Exzellenter Gesang
Ein Platz in einer Stadt, rechts eine Ampel, links auf dem Trottoir ein überdachtes Café - eine sparsame Szene hat Dmitri Tcherniakov für "Senza sangue" entworfen, Der 70jährige Sergei Leiferkus und die deutliche jüngere Angela Denoke singen exzellent und ausdrucksstark, beide wirken authentisch in ihren Rollen. Die Intensität und Brisanz der Auseinandersetzung steigert sich von kontrolliert bei "Senza sangue" bis hin zur Hysterie und regelrechten Kämpfen des Paars im "Blaubart" – ganz Bartóks Musik und dem wilden Wirken der archaischen Kräfte entsprechend.
Am Schluss, als Judith die letzten beiden Türen von Blaubarts "Seelen-Burg" öffnet, den blutigen Tränensee sieht und von den toten früheren Frauen des Herzogs erfährt, zieht Tcherniakov wieder eine Verbindung zu Eötvös’ "Senza sangue". In einem Video auf den Wänden des Hotelzimmers wird das kleine zusammengekauerte Mädchen mit seinen angsterfüllten Augen in seinem dunklen Versteck gezeigt, dann öffnet der junge Partisan den Verschlag, die Blicke begegnen sich. Wenig später sieht man dieselbe Situation mit den beiden erwachsenen Personen aus "Senza sangue". Traumatische Erfahrungen wie in "Senza sangue" sind u.a. Gründe für die Beziehungsunfähigkeit von der in Bartóks "Blaubart" die Rede ist.
Überzeugende Produktion
Das ist eine durchaus plausible Verknüpfung, die Assoziationen freisetzt. Peter Eötvös entlockt dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg als Dirigent einen wunderbar homogenen und rhythmisch präzisen Klang voller Spannung. Inszenatorisch und musikalisch zählt diese Produktion zu den bislang überzeugendsten des noch neuen Leitungsteams an der Hamburgischen Staatsoper.