Dirk-Oliver Heckmann: Damit zum TV-Duell gestern zwischen Angela Merkel und Martin Schulz. Millionen haben sich das gestern angeschaut. Die Sozialdemokraten, die hatten ja darauf gesetzt, erheblich Boden gutzumachen, oder zumindest ein Momentum zu schaffen, auf dem man in den kommenden drei Wochen aufbauen kann bis zur Bundestagswahl. Am Telefon ist Dietmar Bartsch von der Linken, Vorsitzender der Bundestagsfraktion und Spitzenkandidat, und er hat sich das TV-Duell natürlich auch angeschaut. Guten Morgen, Herr Bartsch.
Dietmar Bartsch: Guten Morgen! Ich grüße Sie.
Heckmann: Herr Bartsch, wer hat Ihnen denn besser gefallen, Merkel oder Schulz?
Schulz: Wenn ich die Frage so beantworten soll, dann würde ich sagen, es war ein Unentschieden, ähnlich wie im Schach, viele Bauernopfer. Aber am Ende gab es ein Unentschieden.
"Die Differenzen waren marginal"
Heckmann: Das heißt, Sie haben da gar keine Präferenzen?
Bartsch: Nein, ich habe da keine Präferenzen, weil die Unterschiede – Sie haben ja eben einen Einspieler zur Flüchtlingspolitik gehabt und da waren die Differenzen marginal. Beide sagten, Fluchtursachen bekämpfen. Das ist inzwischen zum Beispiel zu einem geflügelten Wort geworden. Aber beide Parteien in der Großen Koalition genehmigen weiter Waffenexporte in Krisenländer und befördern damit die Kriege dieser Welt und Flucht und Vertreibung. Ich hätte mir gewünscht, dass es dort um eine deutliche Auseinandersetzung um die Zukunft ginge. Das Thema Armut, Altersarmut, Kinderarmut, obszöner Reichtum in unserer Gesellschaft, wie wollen wir wirklich das Steuersystem unserem Jahrhundert anpassen, das alles spielte keine Rolle und deswegen war es am Ende enttäuschend, aber unentschieden.
Heckmann: Ihre These ist ja so ein bisschen, das ist alles irgendwie eine Einheitssoße, die Große Koalition, es gibt keine großen Unterschiede. Aber es gab ja doch die eine oder andere Attacke des Kanzlerkandidaten. Er hat die Kanzlerin dafür kritisiert, dass Europa nicht informiert war bei der Öffnung der Grenzen in der Flüchtlingskrise. Dann hat er kritisiert die Einladung Viktor Orbáns durch Horst Seehofer. Das BAMF, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das arbeite immer noch viel zu langsam. Das sei in der Verantwortung der Union. Und er hat auch Merkels Glaubwürdigkeit grundsätzlich in Zweifel gezogen und hat das Beispiel Pkw-Maut aufgerufen. Reine Harmonie sieht anders aus.
Bartsch: Na Donnerwetter, das sind ja harte Angriffe. All diese Dinge sind seit Monaten gesagt, dass Herr Orbán bei der CSU ist und und und. Da war ja wirklich nun nichts Kreatives dabei. Die eigentliche Kritik muss doch in eine andere Richtung gehen. Wir leben in einer Situation, das hätte ich mir von einem Sozialdemokraten schon gewünscht, wo der Sozialstaat in Deutschland gefährdet ist. Das ist doch ein zentraler Punkt. Dass Herr Orbán bei der CSU ist, natürlich ist das richtig, dass das kritisiert wird. Das sind alles Dinge, die aber wirklich marginal sind. Ich hätte mir gewünscht, dass es ein Absetzen aus der Großen Koalition gibt. Eine der zentralen Fragen war doch: Gehen Sie wieder als Juniorpartner in eine Große Koalition? Herr Schulz hat das nicht mal für sich verneint. Klare Botschaften gibt es dann doch gar nicht.
GroKo müsse man ausschließen, um glaubwürdig zu sein
Heckmann: Das heißt, er hat sich schon auf eine Große Koalition eingestellt, Ihrer Ansicht nach?
Bartsch: Eingestellt sicherlich nicht, aber so was muss man ausschließen, um Glaubwürdigkeit zu erlangen. Das ist doch das große Problem der Sozialdemokraten. Sie regieren in den letzten 20 Jahren ungefähr 16 und beklagen heute das eine oder andere Problem. Oder nehmen Sie die Türkei-Politik. Angela Merkel weist darauf hin, dass sie mit dem Außenminister bis gestern übereingestimmt hat, und nunmehr geht es darum, die Verhandlungen abzubrechen. Auch da hätte ich mir mal gewünscht, die Frage beantwortet zu bekommen, warum exportieren wir weiter Waffen. Die Vorbeitrittshilfen sollen nun nach beiden endlich eingefroren werden – eine Forderung, die wir als Linke lange gestellt haben.
Heckmann: Aber, Herr Bartsch, wenn Sie die Türkei schon ansprechen als Thema. Das war doch weiß Gott wirklich ein neuer Punkt, den Martin Schulz da in die Debatte geworfen hat.
Bartsch: Da haben Sie Recht.
Heckmann: Nämlich er hat angekündigt, dass er dafür sorgen wird, dass die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abgebrochen werden. Das ist ja eine völlig neue Position, innerhalb dieses TV-Duells formuliert. Wie ordnen Sie das ein?
Bartsch: Da haben Sie völlig Recht. Das ist eine völlig neue Position. Die hat man von den Sozialdemokraten bisher anders gehört. Da hat die Kanzlerin auch darauf hingewiesen, dass sie da auch mit dem Bundesaußenminister und Vizekanzler eine andere Sicht hat. Da bin ich sehr gespannt, wie das umgesetzt werden soll. Wir haben immer gesagt, klarere Maßnahmen. Ich habe da den Eindruck, dass es dort darum ging, eine Mehrheit in Deutschland, die sich drastischere Maßnahmen gegen Erdogan zurecht wünscht, zu bedienen. Ich bin da etwas unsicher, ob das dann so schlau ist, denn es muss mit allen Ländern abgesprochen sein. Und es geht doch darum, Herrn Erdogan in die Schranken zu weisen, aber gleichzeitig die Zivilgesellschaft, die Opposition zu stärken. Ob man das damit erreicht, da habe ich ein Fragezeichen.
Heckmann: Das heißt, Sie sind dagegen, das abzubrechen?
Bartsch: Ich finde, dass man diese Frage nicht in einem TV-Duell einfach mal so eben aufwirft. Die ist viel zu tiefgründig. Ich sage, warum nicht davor erst mal die Maßnahmen, keine weiteren Hermes-Bürgschaften, dann Abzug aller deutscher Soldaten, egal aus welchem Mandat, wirklich keine Waffenlieferungen mehr und die EU-Beitrittshilfen einfrieren. Das sind wirksame Maßnahmen. Im Übrigen: Die hätte man lange … Die beiden, die regieren miteinander. Das ist doch das einmalige Format, europaweit einmalig, dass zwei Koalitionäre dort streiten, wo nicht mal klar ist, dass sie nicht danach weiter koalieren. Ich finde, das ist ein grundsätzliches Problem, und das alles ist in dem TV-Duell auch genau so leider zum Ausdruck gekommen.
Rot-rot: "Natürlich ist das sehr unwahrscheinlich geworden"
Heckmann: Trotzdem war die Aufstellung ja Merkel gegen Schulz, CDU gegen SPD. Hat denn Martin Schulz überhaupt aus Ihrer Sicht eine Machtperspektive jenseits der Fortsetzung der Großen Koalition? Denn eine Koalition mit der Linken, die wird ja immer unwahrscheinlicher.
Bartsch: Natürlich ist das sehr unwahrscheinlich geworden. Auch das muss man ja mal ganz nüchtern feststellen. Schaut man sich die Umfragen an, ist der Abstand von der Sozialdemokratie zur Union sehr groß. Er ist im Übrigen in vielen Umfragen größer als zum Beispiel der Abstand von der SPD zu Linken oder auch FDP. Das ist ja schon kurios. Wenn da eine Partei sagen würde, wir sind noch vor der SPD, würden sich alle totlachen. Hier wird das so dargestellt, als wenn das möglich wäre. Natürlich gibt es eine Machtperspektive nur jenseits der Union, aber die muss politisch begründet sein. Es muss für die Menschen doch klar sein, was ändert sich wirklich deutlich. Ja, das mit der Türkei ist ein Punkt, aber zentral ist die Frage des sozialen Zusammenhalts. Wie sollen die sozialen Sicherungssysteme reformiert werden? Was ist mit dem Klimaschutz? Wie soll es denn wirklich konkret weitergehen bei der Begrenzung von Armut in unserem Land und auch bei der Begrenzung von obszönem Reichtum? All diese Fragen muss man behandeln. Da muss man deutlich sagen, der Zug fährt in eine andere Richtung und wir wollen nicht nur den Lokführer auswechseln.
Heckmann: Aber Rot-Rot-Grün kommt laut Umfragen gerade mal auf 40 Prozent und Sigmar Gabriel, der hat ja schon ganz klar gemacht, solange Sahra Wagenknecht Reden halte wie die AfD, wird das nichts. War das ein Fehler, nicht ein bisschen stärker auf die SPD zuzugehen, während des Wahlkampfs schon?
Bartsch: Es ist eine Unverschämtheit, was Sigmar Gabriel da sagt, und auf die SPD zugehen hätte vermutlich - - Ich weiß auch gar nicht, wie wir zugehen sollen. Wir gehen auf Wählerinnen und Wähler zu. Unsere Aufgabe ist, Gewicht auf der Waage des Politikwechsels zu sein. Wir kämpfen eigenständig wie jede Partei. Im Wahllokal werden Parteien und keine Konstellationen gewählt. Dass der Abstand so groß ist, liegt daran, dass der Abstand von der SPD zur Union in allen Umfragen deutlich über zehn Prozent ist. Aber um die Frage kann ich mich nicht kümmern. Ich kämpfe allein für eine starke Linke.
Mitte-Links-Bündnis mit Politikwechsel könne funktionieren
Heckmann: Hannelore Kraft, die damalige Ministerpräsidentin in Nordrhein-Westfalen von der SPD, die hat ja ganz am Ende ihres Wahlkampfs Rot-Rot-Grün noch ausgeschlossen. Und man muss auch dazu sagen: Viele Wähler wollen Rot-Rot-Grün schlicht nicht. Laut Infratest Dimap sind es 71 Prozent, die das für weniger gut oder sogar für schlecht halten. Erwarten Sie eigentlich, dass Martin Schulz jetzt ebenfalls gegen Ende hin Rot-Rot-Grün offiziell noch ausschließt auf den letzten Metern?
Bartsch: Wenn er unter 20 Prozent landen will, wäre das eine schlaue Idee. Aber ich vermute mal, Martin Schulz ist klug genug, das nicht zu tun. Aber auch da will ich Ihnen klar sagen: Bevor die Berliner Koalition, wo Rot-Rot-Grün regiert, im Übrigen erfolgreich wie auch in Thüringen und Brandenburg, gewählt wurde, gab es auch eine geringe Zustimmung. Jetzt ist es in der Hauptstadt so, dass es sogar eine Präferenz auf der Bundesebene für Rot-Rot-Grün gibt. Das ist nicht landesweit so, da tun auch viele alles dagegen, aber ich würde gerne beweisen, dass ein Mitte-Links-Bündnis mit einem Politikwechsel wirklich funktioniert. Es wäre eher sinnvoll für die Sozialdemokraten, auszuschließen Juniorpartner in einer Großen Koalition zu sein und ein "weiter so" anzustreben. Das ist das Problem. Es muss wirklich zu einer politischen Auseinandersetzung um die Zukunftsfragen kommen. Das habe ich gestern Abend leider vermisst.
Heckmann: Dietmar Bartsch war das von den Linken, Vorsitzender der Bundestagsfraktion und Spitzenkandidat seiner Partei. Herr Bartsch, danke Ihnen für Ihre Zeit!
Bartsch: Ich danke Ihnen auch.
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