Archiv

Baseball: 100 Jahre Wrigley Field
Zäh wie ein Kaugummi

Der Chicagoer Gangster Al Capone saß immer in der ersten Reihe. Seit 98 Jahren ist das Wrigley Field Heimat der Baseballmannschaft Chicago Cubs. In diesem Jahr feiert das Stadion selbst seinen 100. Geburtstag.

Von Bettina Schmieding |
    Benannt nach dem berühmten Kaugummifabrikanten aus Chicago sitzt Wrigley Field mitten in einer Wohngegend nördlich der Innenstadt. Die mechanische Anzeigetafel ist noch aus den 1930er Jahren, und wer keinen Platz im Stadion ergattert, der sitzt eben auf den Dächern der umliegenden Wohnhäuser, die mit Eintrittskarten und freiem Blick von außen ins Stadion mittlerweile Millionenumsätze machen. Ein typisches Stück USA.
    Sonntagnachmittag, der Mann an der Ticketkontrolle hat alle Hände voll zu tun: Chicago zeigt sich das erste Mal nach einem irgendwie niemals enden wollenden Winter von seiner milden Seite. Der Wind ist auf ein erträgliches Maß abgeflaut, die Sonne steht noch etwas zaghaft am Himmel über der North Side und die ersten Unverdrossenen halten 17 Grad für die angemessene Temperatur, auch die Zehenlatschen und Shorts aus dem Winterschlaf zu holen. Kurzum, es ist Baseballzeit in den USA. Die Chicago Cubs treten an gegen die Philadelphia Phillies. Fans und Spieler laufen sich gleichermaßen warm.
    Die Orgel in der Heimatarena der Cubs scheint aus derselben Zeit zu stammen, wie das Stadion selbst. Noch ein bisschen älter als Wrigley Field ist in der Major League nur Fenway Park in Boston, der schon vor zwei Jahren hundertsten Geburtstag feierte. Warum aber Wrigley Field so viel sagenumwobener ist als Fenway Park, kann keiner so recht sagen. An der Erfolgsbilanz der Chicago Cubs jedenfalls kann es nicht liegen.
    Wenn das mal so einfach wäre. Seit Menschengedenken haben die Cubs keine World Series gewonnen, wie die Amerikaner in der ihnen ureigenen Bescheidenheit die Endrunde der nationalen Baseball-Liga nennen. Und trotzdem fallen die Fans nicht vom Glauben ab.
    Schauplatz einer beispiellosen Misserfolgsserie
    Dieser hochverehrte Baseball-Schrein ist Schauplatz einer beispiellosen Misserfolgsserie, wie sie keine andere Mannschaft in der Major League zu beklagen hat. Aber die Fans, die in diesem Jubiläumsjahr so viele Dauerkarten gekauft haben wie nie zuvor, wissen genau, wen sie dafür verantwortlich machen müssen. Zum Beispiel Billy Sianis. Der griechische Einwanderer hatte 1945, als die Cubs das letzte Mal in die Nähe der Meisterschaft kamen, mit seinem Ziegenbock das Stadion besuchen wollen. Man ahnt es, das Tier roch so schlimm, dass Billy draußen bleiben musste. Die Legende sagt, dass Billy das Stadion daraufhin verfluchte - und die Cubs offensichtlich gleich mit. Mit Erfolg. Und wem das nicht Omen genug ist, der findet neben Billys Ziege noch einen weiteren Sündenbock.
    Babe Ruth, der legendäre Baseballspieler der New York Yankees, der auch in den Regionen der Welt bekannt sein dürfte, in denen kein Baseball gespielt wird. Und sei es nur, weil nach ihm ein Schokoriegel benannt wurde. Wobei der Hersteller hartnäckig behauptet, die Tochter von Präsident Grover Cleveland sei die Namensgeberin gewesen. Wie dem auch sei, dieser Babe Ruth also besaß 1932 die Frechheit, während eines Spiels gegen die Cubs mit dem Finger in Richtung der efeuumwachsenen Zuschauertribüne zu zeigen, in die er den Ball zu schlagen beabsichtigte.
    Die Sache mit "home run"
    "Babe Ruth zeigte also mit dem Finger dorthin, wohin er einen 'home run' schlagen wollte. Und meinte, dass die cubs niemals mehr gewinnen würden, weil die Yankees einfach die bessere Mannschaft seien. Ich glaube allerdings, dass man sich nur genug anstrengen muss um zu gewinnen."
    Aber auch Fergie Jenkins war, als er in den 1960er Jahren zu den aktiven Spielern der Chicago Cubs gehörte, kein World Series Sieg vergönnt. Falls Sie sich jetzt fragen, was um Himmels Willen der "home run" ist, von dem Fergie da redet oder wie genau Baseball überhaupt funktioniert: Das lässt man sich am besten von einem Fan wie Terry Sullivan erklären, während er einen der berühmten Chicago hot dogs verputzt.
    "Also, das geht so. Ein Mann wirft einen Baseball so stark wie er kann zu einem anderen Mann, der etwa 18 Meter von ihm entfernt steht. Dieser Mann versucht seinerseits den Ball mit einem hölzernen Schläger so zu treffen, dass er möglichst weit wegfliegt. Das gibt ihm die Zeit, um das Spielfeld herum zu laufen und dabei vier Stationen zu berühren. Wenn er alle Stationen berührt hat, bekommt er einen Punkt. So funktioniert das Spiel."
    Kleiner Nachtrag: der Schläger muss die komplette Runde in einem Stück drehen, nur das ist ein "home run". Zurück zu Babe Ruth. Der also schlug 1932 nicht nur einen "home run", sondern landete seinen Ball an genau der Stelle, zu der er vorher gezeigt hatte. Nur jemand, der schon einmal versucht hat, überhaupt den Ball zu treffen, ahnt, dass aus so etwas Legenden entstehen. Na und dann geschah ja auch noch die Geschichte mit dem Ziegenbock und seitdem wundert sich kein Fan mehr, wenn in Wrigley Field vor allem verloren wird.
    Aber irgendwie scheint es sowieso, dass die Fans nicht nur wegen des Sports kommen. Die erwähnten Hot Dogs könnten ein Motiv sein und auch das Bier, das in den USA eigentlich nicht in die Öffentlichkeit gehört, fließt beim Baseball traditionell in Strömen. Und da wäre dann ja auch noch das Stadion, das fast so aussieht wie vor hundert Jahren.
    Englischer Efeu
    "Die Mauern des Außenfeldes sind vollkommen zugewachsen. Das ist Englischer Efeu, der da an der Ziegelmauer haftet, sehr robust. Es ist die Intimität des Stadions, die Leidenschaft der Fans. All das macht es einzigartig."
    Und die Fans schätzen wahrlich keine Veränderungen. Flutlicht bekam Wrigley Field erst 1988 und auch die Zuschauertribüne wurde erst vor acht Jahren vergrößert. Nach wie vor zwängen sich die Spieler in die engste Umkleidekabine der Profiliga. Alles soll möglichst so bleiben wie es ist und die Renovierungspläne des neuen Eigners euphemistisch "Wrigley Renaissance" genannt werden von Baseball-Nostalgikern mit Argusaugen beobachtet. Aber was ist es denn nun wirklich, was die Menschen ins Stadion treibt? Das hat auch mit den Spielern zu tun, meint der Cubs-Fan Terry Sullivan.
    "Sie übernehmen den Platz der Helden in Ihrer Kultur. Wir haben keinen Zeus, wir haben keine Aphrodite oder Herkules. Wir haben nichts was wir in dieser Hinsicht unseren Kindern als Lebensweisheiten geben könnten. Dafür sind wir zu jung, nur 250 Jahre alt. Wir haben uns stattdessen die Prominenten als Helden ausgesucht. Das ist flach, ich weiß und das kann auch manchmal falsch sein. Aber unser Sport und unsere Suche nach Helden sind unsere Sucht."
    Und dann wären da noch die Rituale, die liebgewonnenen Bräuche, ohne die kein Sport funktioniert. Was den Europäern ihr "You never walk alone" ist den Amerikanern ihr "Take me out to the ball game", das seit über hundert Jahren und mit Inbrunst einmal pro Spiel und zwar immer im siebten Durchgang gesungen wird. Die Cubs haben die Phillies an jenem Sonntag übrigens acht zu drei geschlagen. Wer weiß, vielleicht ein gutes Zeichen im Jubiläumsjahr. Babe Ruth, Billy und die Ziege leben schließlich schon lange nicht mehr.