Luigi Lauer: Richard Bona, fangen wir mal mit Fußball an, es ist ja gerade Europameisterschaft und Kamerun ist bekannt für seine Fußballverrücktheit. Schauen sie sich die Spiele an?
Richard Bona: Ob ich Fußball schaue? Die spielen doch gar keinen Fußball mehr, die können überhaupt keinen Fußball mehr spielen. Es geht doch nur noch um Geld, nicht mehr um den Sport und seine Ästhetik. Würde man elf Leute wie sie und mich auf den Platz stellen, wir hätten gute Chancen, jede Meisterschaft zu gewinnen, weil wir mit Herz bei der Sache sind. Heute spielen sie doch alle gleich, es ist nur noch ein Geschäft. Es geht nur noch darum, wer für was oder wen wie viel zahlt, die Leute reden nur noch davon. Wie oft sehen wir Spieler, die in Doping verwickelt sind, wie oft sehen wir Korruption und Bereicherung? Wann immer Geld in ein Spiel geflossen ist, hat sich das Spiel verändert. Geld macht alles kaputt, es verändert alles."
Lauer: Aber müssen sie als Musiker nicht auch irgendein Einkommen haben?
"Das Gefühl, immer weiter nach oben zu klettern"
Bona: Ich habe immer schon gesagt: Ich möchte nicht reich sein. Es würde mich verändern, ja, sogar mich. Darum will ich das nicht. Ich fliege lieber weiterhin knapp unter dem Radar, damit bin ich glücklich. Wenn Leute unbedingt mehr Platten verkaufen wollen, sollen sie das tun. Ich bin zufrieden mit dem, was ich habe. Wenn sie mir morgen sagen:
"Richard, ich kenne eine Möglichkeit, wie Sie zwei Millionen Platten verkaufen können!" Dann kann ich ihnen schon jetzt die Antwort geben: "Nein, das will ich nicht!" Ich möchte immer das Gefühl haben, dass ich immer weiter nach oben klettere. Das hält mich bei der Stange. Wenn man einmal auf der Spitze des Hügels steht, welcher Weg bleibt dann noch? Ich will nicht runter müssen.
Lauer: Nun ist aber gerade das Musikgeschäft sehr gewinnorientiert. Darum nennt man es ja auch Music Business.
Bona: Im Musikgeschäft darf es aber nicht nur um Geld gehen. Es geht auch ums Herz. Würde es mir nur um Geld gehen, könnte ich eine Platte an einem Tag machen. Man kauft sich einen kleinen Technikpark und haut jeden Tag ein Album raus. Ich aber schreibe meine Musik mit Herzblut.
Ich gehe raus zu den Leuten und gebe mein Bestes, ich gehe mit Musikern ins Studio und steuere zu jedem Projekt mein Bestes bei. Das kann man nicht, wenn man nur den Gewinn im Kopf hat. Das gilt auch für dieses Album: Ich habe mein eigenes Geld in das Projekt gesteckt, dahinter steht keine Plattenfirma. Ich wollte immer unabhängig bleiben, egal, was ich mache.
Wie Sie vielleicht wissen, habe ich in New York einen Klub eröffnet, er heißt Bonafide. Da kann ich spielen, wann ich will, niemand redet mir rein. Sind drei Gäste da - fein. Sind es 100 - auch fein. Eines ist sicher: Ich will Spaß haben, denn darum geht es in der Musik, nicht ums Geld.
Lauer: Lassen Sie uns über das Album sprechen, das sie mit Mandekan Cubano aufgenommen haben. Warum ist gerade jetzt Kuba ein Thema für Sie?
"Diese Musik, die wir afrokubanisch nennen, ist extrem komplex"
Bona: Mandekan Cubano ist nur ein weiteres Ergebnis meiner Reisen. Ich bin nun mal ein Reisender. In Indien habe ich ein Album gemacht, dann die CD Tiki, die entstand in Brasilien, oder Ten Shades of Blues, wo ich mit Blues experimentiert habe.
"Heritage" ist dieselbe Art Reise. Ich war in der Karibik, ich war in Kuba, und ich dachte mir, die Geschichte dieser Musik, die wir afrokubanisch nennen, erzählen zu müssen. Die Geschichte geht ja über fünf Jahrhunderte. Die Musik ist eine extrem komplexe Mischung aus spanischen Anteilen, afrikanischen Sklaven, chinesischen Sklaven, die nie erwähnt werden. Und natürlich der Urbevölkerung, die lange vor der Ankunft der Spanier dort gelebt hat. Natürlich haben auch die damals schon Musik gemacht.
Man muss sich nur die Orchestrierung anschauen: Piano und Trompete kamen aus Europa, die Handtrommeln aus Afrika. Die Maracas sind weder aus Europa noch aus Afrika, die sind indianisch, von den lokalen Ureinwohnern. Ich möchte solche Sachen zusammenbringen, um zu zeigen: "Schaut her, was wir gemeinsam haben! Wir sind so unterschiedlich nicht."
Lauer: Und das thematisieren sie auch in den Texten?
Bona: Kivu ist eines der Lieder, in denen ich von Zusammenschluss spreche. Es gibt keinen wirklichen Unterschied zwischen Ihnen und einem Chinesen, es gibt keine zwischen einem Chinesen und einem Kameruner. Wenn ich höre, dass Leute andere als Weiß oder Schwarz bezeichnen oder von Rasse reden ... es existieren keine verschiedenen Rassen. Wir alle gehören einer einzigen Rasse an, der menschlichen Rasse. Wir sind weder Fliegen noch Pferde. Was meinen die mit der "anderen Rasse"?
Wenn ich solche Reden höre, springe ich vom Stuhl und frage mich, warum es solche Leute tatsächlich immer noch gibt. Man muss sie aufklären, informieren, man muss darüber singen, man muss diese Menschen sensibilisieren und ihnen klar machen, dass es keine Rassen gibt. Die Leute da draußen sind eure Brüder! Sie leben vielleicht weit weg, aber sie sind dein Volk. Und ich bin sehr froh, zu dieser Spezies zu gehören. Ich könnte auch eine Fliege sein und nach 24 Stunden sterben.
Lauer: Dann würden sie vermutlich 24 Stunden Musik machen.
Bona: Ich mache jeden Tag Musik. Ich schaue keine Filme, ich sehe nicht fern, ich habe überhaupt keine Hobbys. Ich spiele neun Instrumente, das reicht, um den Tag zu füllen. Für mich ist Musikmachen das reine Vergnügen, ich brauche nichts anderes. Ich bin kein eindimensionaler Musiker, der nur Jazz kennt. Ich liebe Strawinsky, genauso wie Salif Keita, genauso wie bulgarische Gypsy-Musik.
Im Moment höre ich viel Paco de Lucia, weil ich Flamenco auf der Gitarre lerne. Und ich liebe es, zu lernen. Wie ich schon sagte: immer klettern! Und nie die Spitze erreichen. Ich bin immer noch ein Musikstudent, und ich liebe es, Musikstudent zu sein.
"Die ursprünglichen Anteile zur Geltung bringen"
Lauer: Worin unterscheidet sich "Heritage" von, sagen wir, Buena Vista Social Club?
Bona: Es ist ein anderer Blickwinkel. Ich sehe mich als Geschichtenerzähler. Ich setze nicht einfach Teile zusammen. Klar kann ich die Musik nachspielen, aber das ist nicht der Sinn der Sache. Ich möchte die ursprünglichen Anteile zur Geltung bringen, die europäischen, die afrikanischen, die chinesischen und die der indianischen Urbevölkerung. Afrokubanisch ist mehr als Afrika und Kuba. Und diese Geschichte möchte ich erzählen.
Die Menschen, die im Rahmen der spanischen Kolonialisierung nach Kuba kamen, waren meist sehr arm und nicht gerade in einer beneidenswerten Position. Sie hatten nicht viel, aber sie haben etwas mitgebracht: ihre Stimmen, ihre Tänze, ihre Rhythmen, ihre Art zu kochen. Und damit haben sie eine Menge bewegt. Das können wir alle heute noch hören, es inspiriert uns bis heute, wie man an mir gerade sieht. Damit möchte ich auch sagen, dass wir alle etwas bewirken können, sowohl für den Moment als auch die Zeit überdauernd. Mache dich nicht selber klein, indem du sagst: "Oh, ich bin so arm, ich kann nichts machen." Wir alle haben stets die Möglichkeit, etwas Positives zu bewirken.
Lauer: Warum haben sie das Album nicht in den großartigen EGREM-Studios aufgenommen, wo der legendäre Sound des Buena Vista Social Club entstand?
Bona: Das habe ich versucht, aber das ist nicht so einfach. Wir wollten auch ein bisschen filmen, als eine Art Making-of. Aber selbst daraus wurde nichts. Kuba ist sehr kompliziert. Ein paar meiner Musiker haben Kuba vor langer Zeit verlassen, sie wurden dort nicht so gerne gesehen. Ich habe das Projekt vor drei Jahren angefangen. Würde ich das heute tun, wäre die Geschichte vermutlich anders ausgegangen. Damals war Kuba noch nicht so offen. Sie hatten mir damals gesagt:
"Klar, kommen sie her, das ist ein tolles Projekt! Machen Sie das, aber sie müssen mit Musikern von der Insel arbeiten."
Lauer: Sie haben stattdessen in Frankreich aufgenommen?
Bona: Das ist das Gute: Ich habe ein Studio in Frankreich. Wenn ich ein Projekt habe, hole ich die Musiker hierher. Es ist eine wunderschöne ländliche Gegend, und das Studio habe ich vor vier Jahren in einem Landgut eingerichtet. Wenn ich sage, Paris, ist das nicht ganz richtig, es ist 1 Stunde 15 Minuten von Paris entfernt, nordwestlich von Paris. Ich schreibe dort meine Musik und lebe dort auch, wenn ich nicht in New York bin. Es heißt Château Saint Michel und ist 293 Jahre alt.