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Baßler: Lou Reed war ein Avantgardist

Die Musik nahm Lou Reed sehr ernst, als Mittel wählte er aber die Ironie, sagt Moritz Baßler, Professor für Literaturwissenschaft an der Universität Münster. Jede Zeile und jeder Gitarrenton von Reed seien in Anführungszeichen gesetzt gewesen.

Moritz Baßler im Gespräch mit Beatrix Novy | 28.10.2013
    Beatrix Novy: Die Nachricht von seinem Tod ist seit gestern Abend in der Welt: 71-jährig ist Lou Reed gestorben, einer der Rockmusiker, an deren Kunst und Einfluss keiner vorbei kann, einer, der als Junge von der eigenen Familie in die Psychiatrie gesteckt wurde, der als Auftragssongschreiber begann und dann nach und nach Rockgeschichte schrieb, gedankenreicher Pessimist, vorausweisender Musiker, soweit der Versuch einer Kurzcharakterisierung.

    Moritz Baßler ist Professor für Literaturwissenschaft, auf der Webseite der Uni Münster, wo er lehrt, sieht man ihn vor einem großen Gemälde, das ein berühmtes Foto vom Bühnenkuss zwischen Madonna und Britney Spears zeigt, also ein Mann mit starkem Draht zur Popkultur und natürlich auch zu Lou Reed, der ja ebenfalls Literatur studiert hatte. Frage zunächst an Moritz Baßler: Wie ernst war denn Lou Reeds Bemühen um den großen Rahmen der Kunst für seine Lieder und seine Musik?

    Moritz Baßler: Ja, das Wort "ernst" ist natürlich ein schönes Wort. Einerseits war es, glaube ich, ganz ernst, so ähnlich wie mit der Factory überhaupt, und auf der anderen Seite war der Modus natürlich so einer des Pop oder mit Camp-Attitüde, sodass man sagte, ich muss jetzt nicht der Profi sein und super Gitarrensoli raushauen und so was, sondern ich kann einfach im Grunde mit dilettantischen Mitteln erst mal anfangen und kann mein Fame auf dem Wege erreichen. Das heißt, ich denke mal, dieser ganze Einsatz ist ein voller, ein existenzieller, aber der Modus ist natürlich, gerade wenn man das im Feld der Popmusik der Zeit nimmt, einer des Unernstes, könnte man sagen, der Ironie.

    Novy: Und das machte ihn zu einem Avantgardisten damals?

    Baßler: Ja, auf jeden Fall. Für uns Europäer ist das, glaube ich, relativ zugänglich, aber ich glaube, im amerikanischen Kontext damals ist das so eine Art Gegenentwurf erst mal zu jeder Art von Rockismus und dann aber auch zu so was wie Flower Power oder so, dieser ganz anderen Art von Ernst. Alles was man macht, kommt mit so einem Ironiepotenzial daher. Zum Beispiel wenn die in San Francisco aufgetreten sind, diese New Yorker, dann hat das die Leute da wahnsinnig genervt, weil das überhaupt nicht das war, was sie haben wollten.

    Novy: Das heißt, er war eine New Yorker Pflanze und hatte mit Amerika nichts zu tun?

    Baßler: Nein! Er war eine New Yorker Pflanze und New York ist ja in Amerika.

    Novy: Ja, aber doch nicht so ganz!

    Baßler: Das ist der Kontext, in dem Susan Sonntag ihre "Notes on Camp" geschrieben hat, in der Warhol seine Pop Art groß gemacht hat. Das ist genau der Kontext, aus dem …

    Novy: Erklären Sie doch mal eben das Wort "Camp" bitte.

    Baßler: Ja. Susan Sonntag hat dieses Gefühl beschrieben, das kommt eigentlich aus der New Yorker Schwulenszene und eigentlich heißt es, "It’s good because it’s awful". Wir würden vielleicht sagen, es ist so schlecht, dass es schon wieder gut ist. Und das haben die genommen für alle möglichen Arten von zum Beispiel billige Horrorfilme, aber auch schlecht gemachte Pornos, Federboas, was auch so zur Schwulenkultur des Auftretens gehört, dass man sagt, ich finde das aber trotzdem gut und ich nehme das sozusagen als ein Attribut für mich und ich finde so eine bestimmte Zugangsweise dazu und statte mich dadurch aus. Susan Sonntag, sagt, "Camp" setzt alles in Anführungszeiten, es ist alles so ein bisschen uneigentlich in der Rezeption, und diese Anführungszeichen sind sozusagen um jede Zeile von Lou Reeds Musik und um jeden Gitarrenton, den er spielt.

    Novy: Wie lang hat es gedauert, bis er damit den Rest von Amerika erobern konnte?

    Baßler: Na ganz hat er den Rest nie erobert. Ich glaube, im Mittleren Westen ist Lou Reed nicht angekommen. Aber das ging dann relativ schnell, indem Velvet Underground ja so eine Art Vorläufer wurden für die amerikanischen Vorläufer von Punk dann wiederum, also so was wie New York Dolls oder so und dann nachher Iggy Pop und Stooges. Und diese Art von Musik, die dann ja doch eine relativ große Breitenwirkung hatte, da gehört das in die Genealogie.

    Novy: Dank an den Literaturwissenschaftler Moritz Baßler.


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