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Batsheva Dance Company in Dresden
Last Work

Von Elisabeth Nehring |
    Sie läuft und läuft und läuft und kommt doch nicht vom Fleck. Die junge Tänzerin im langen blauen Kleid am hinteren Bühnenrand ist für die gesamte Dauer der Vorstellung in Bewegung und tritt – dank eines ziemlich schnellen Laufbandes – immer auf der Stelle. Sie könnte ein Sinnbild darstellen für das Land, in dem die Tanzproduktion LAST WORK der Batsheva Dance Company entstanden ist. Auch in Israel herrscht, gesellschaftlich wie politisch, jede Menge Bewegung, ohne dass sich daraus große Veränderungen ergäben.
    Wahrscheinlicher aber ist, dass Choreograf Ohad Naharin in ihrer Figur einfach ein Symbol für den allgemein-menschlichen, aber oft ergebnislosen Willen nach Weiterkommen schaffen wollte. Auch die anderen achtzehn Tänzer produzieren eine Menge Bewegung, in der man noch immer die für Batsheva so charakteristischen Muster wie tiefe Ausfallschritte, eine schwere Mitte, weit ausgreifende, schmelzende Bewegungen der Extremitäten und wirbelige Verzahnungen von knochenlos wirkenden Armen und Beinen erkennen kann.
    Doch die Dynamik ist eine ganz andere als in früheren Arbeiten Naharins. Gedämpft, ruhig – wahlweise meditativ oder (sogar?)eintönig – so könnte man die erste Stunde dieses 70-minütigen Abends beschreiben. Erheblichen Anteil an dieser homogenen, veränderungsunwilligen Atmosphäre hat die elektronische Musik des deutschen DJ's Grischa Lichtenberger, die zwar einen eigenen, abgeschlossenen Akustikraum erschafft, aber (einem) auch durch beständig wiederholte Klangmuster gehörig auf die Nerven geht.
    Naharins Tänzer treten – bis auf eine rasante Schlussszene, die an eine wilde, heruntergekommene Party in Tel Aviv erinnert – überwiegend vereinzelt auf die Bühne. Es dauert lange, bis überhaupt Kontakt zwischen ihnen entsteht. Immer noch ist sie Raum-greifend, aber nicht mehr Raum-erobernd, immer noch satt, aber nicht mehr explosiv. Die Selbstgewissheit, mit der Naharin in seinen früheren Produktionen die Tänzer als Herren über Körper und Raum agieren ließ, ist in LAST WORK verschwunden.
    Und auch wenn sich alle im letzten Teil doch noch einmal kurz zu einer Hora – dem traditionellen israelischen Kreistanz – zusammenfinden, bleibt eine pessimistische Grundierung zurück. Ganz zum Schluss werden einzelne Tänzer von einem der ihren mit Hilfe eines Klebebandes verbunden. Da, wo man sich nicht mehr berühren kann, muss ein verknautschtes Tape Verknüpfungen herstellen, könnte das bedeuten. so könnte die Message lauten. Oder eben auch nicht, denn Ohad Naharin, seit 25 Jahren Leiter von Israels bedeutendster Tanzcompanie und so etwas wie der "Forsythe des Nahen Ostens", verweigert seinen choreografischen Produktionen schon seit vielen Jahren konkrete politische Zuschreibungen.
    Doch nicht, indem der Choreograf explizit auf apolitische Offenheit seiner künstlerischen Arbeit beharrt, sondern indem er seiner Bewegungssprache die Spitzen, die Extreme genommen hat, löst sich auch das Charakteristische, Unverwechselbare des Batsheva Stils auf in etwas, das zwar Allgemeingültigkeit beanspruchen kann, aber auch den Vorwurf der Beliebigkeit aushalten muss.