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Baubeginn vor zehn Jahren
"Stuttgart 21": Zwischen Begeisterung und Bürgerprotesten

Das Bahnprojekt "Stuttgart 21" wurde vor zehn Jahren von der Politik schon vor Baubeginn gefeiert mit der Begründung, dass es lebensnotwendig für Baden-Württemberg sei. In der Bevölkerung hingegen war das Vorhaben von Anfang an heftig umstritten. Die Folge: Großdemonstrationen sogenannter "Wutbürger".

Von Peter Hölzle | 02.02.2020
    Gegner des Bahnprojektes Stuttgart 21 demonstrieren im August 2014 in Stuttgart.
    Bis heute dauern die Proteste gegen "Stuttgart 21" an (picture alliance/dpa/Sebastian Kahnert)
    "Mit 'Stuttgart 21' und der Neubaustrecke Wendlingen - Ulm bekommt Baden-Württemberg und der gesamte süddeutsche Raum zwei Schienenprojekte europäischer Dimension."
    Große Worte, gesprochen aus "berufenem" Mund! Mit ihnen begleitete der christsoziale Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer vor vierhundert geladenen Gästen am 2. Februar 2010 den ersten Spatenstich zu "Stuttgart 21". Manfred Rommel, Stuttgarts legendärer christdemokratischer Alt-OB, pflichtete bei:
    "Ich halte 'Stuttgart 21‘ für lebensentscheidend für das Land Baden-Württemberg."
    Und Erwin Teufel, Parteifreund und Ex-Ministerpräsident des Landes, schwärmte:
    "Alles in allem - finde ich - ein großer Wurf, wirklich ein Jahrhundertwerk, für das sich jeder Einsatz lohnt."
    Begeisterte Politiker, kritische Bürger
    Zum allgemeinen Vorschusslorbeer gesellte sich der spezielle. Der Stuttgarter Rathauschef Wolfgang Schuster hob einen anderen Vorzug der Verlegung des heute oberirdischen Kopfbahnhofs in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof hervor.
    "Die Parkanlagen, die man vor hundert Jahren brutal abgeschnitten hat, jetzt haben wir die Chance, diesen verheerenden Fehler rückgängig zu machen."
    Stuttgart-21-Baustelle
    Geologische Gegebenheiten wurden bei der Planung des Projekts "Stuttgart 21" nicht genügend in den Blick genommen (imago / Arnulf Hettrich)
    Geologische Gegebenheiten sorgten für Probleme
    Die "Wiedervereinigung" der durch den Gleiskörper des Hauptbahnhofs geteilten Stadt wäre durchaus ein Gewinn, geriete dabei nicht eine geologische Gegebenheit des Stuttgarter Untergrundes aus dem Blick. Der Quellkeuper, eine dort lagernde Gesteinsformation, die bei Starkregen quillt, macht den Bau längerer Tunnelabschnitte zu einem schwer kalkulierbaren Risiko.
    Stuttgart 21-Gegner demonstrieren in Stuttgart vor einem Bautor, im Hintergrund ist der Südflügel des Hauptbahnhofes zu sehen.
    Stuttgart 21-Gegner demonstrieren in Stuttgart vor einem Bautor, im Hintergrund ist der Südflügel des Hauptbahnhofes zu sehen. (picture alliance / dpa / ranziska Kraufmann)
    Ganz zu schweigen von der mangelnden Leistungsfähigkeit unterirdischer Tunnelröhren, die im Stuttgarter Fall aus Kostengründen so niedrig gehalten werden, dass die Oberleitungen der Züge gar nicht ausgefahren werden können und Zeitverluste programmiert sind. Nicht von ungefähr kritisierte Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer schon beim ersten Spatenstich:
    "Wir machen die Zukunft unseres Eisenbahnverkehrs mit diesem Engpass unter der Erde kaputt."
    Projektbefürworter warben mit erheblichen Fahrzeitverkürzungen und höherem Fahrgastaufkommen auf der Europäischen Magistrale Paris – Bratislava. Damit ist aber kaum zu rechnen. Zu diesem Manko gesellen sich andere. Infolge unvorhergesehener Schwierigkeiten verzögert sich die Inbetriebnahme des unterirdischen Durchgangsbahnhofs Jahr um Jahr. Ursprünglich sollte er im Dezember letzten Jahres eröffnet werden.
    Drei Polizisten tragen einen Mann weg.
    Am 30.9.2010 eskaliert die Situation zwischen Polizei und Stuttgart 21-Gegnern. Viele Demonstranten werden verletzt. (imago images / Pressefoto Kraufmann&Kraufmann)
    Bauende bleibt offen
    Neuerdings ist das Jahr 2025 im Gespräch. Aber so unverbindlich dieser Termin ist, so unverbindlich sind die Zahlen, die über die Gesamtkosten kursieren. Bei Baubeginn 2010 war von etwas über vier Milliarden Euro die Rede. Inzwischen sind 8,2 Milliarden Euro im Gespräch. Aber auch diese Summe dürfte noch nicht das letzte Wort sein. Der Bundesrechnungshof geht von rund zehn Milliarden Euro aus. Sein Präsident Kay Scheller weiß auch, wer der letztlich Verantwortliche für die Kostenexplosion bei "Stuttgart 21" ist. In einem Interview mit der "Stuttgarter Zeitung" sagte er am 3. Dezember 2019:
    "Der Bund hat jahrelang tatenlos zugesehen, wie strategische Fehlentscheidungen bei der Bahn getroffen wurden …"
    Von Anfang an war das Projekt in der Stuttgarter Bevölkerung heftig umstritten und löste langanhaltende Großdemonstrationen von zehntausenden sogenannter "Wutbürger" aus, die bis heute – zahlenmäßig stark geschrumpft - fortdauern.
    Der massive Straßenprotest hatte Folgen. Am 30. September 2010 ging die Polizei so gewaltsam gegen Demonstranten vor, dass an die vierhundert verletzt wurden, so dass das Verwaltungsgericht Stuttgart den Polizeieinsatz später als rechtswidrig verurteilte. Nach der Gewalteskalation fanden, von dem CDU-Politiker Heiner Geißler moderiert, Schlichtungs-gespräche statt, an die sich mehrere Bürgerbegehren und eine Volksabstimmung anschlossen. Die Bürgerbegehren zum Ausstieg aus dem Projekt "Stuttgart 21" wurden abgelehnt. Und bei der Volksabstimmung sprach sich eine Mehrheit der Baden-Württemberger gleichfalls gegen einen Ausstieg aus.
    Es wird also weitergebaut. Damit ist eine - kostengünstigere und weniger zeitraubende Alternative, die den Kopfbahnhof bewahrt hätte, vom Tisch. Sie war auch politisch nicht gewollt.