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Bauen am Bosporus

Shoppingcenter, Büros, Wohnungen - der Immobilienmarkt in der Türkei boomt. Ganz vorne mit dabei sind auch ausländische Investoren, was am Bosporus nicht ausnahmslos gern gesehen wird. Gunnar Köhne berichtet.

    Die Terrakotta-Fliesen der Sonnenterasse sind frisch verlegt, ein Maurer verputzt noch den großzügig verglasten Ausgang. Von der Terrasse aus bietet sich ein spektakulärer Ausblick auf den Bosporus und die Istanbuler Altstadt.

    Mit kritischem Blick überwacht Sevgi Kaya die Bauarbeiten. Schon in wenigen Wochen will die Immobilienmaklerin das 200-Quadratmeter-Penthouse vermietet haben, zum Preis von umgerechnet 4500 Euro im Monat. Kaya denkt bei solchen Objekten vor allem an wohlhabende ausländische Geschäftsleute. Angelockt von dieser vielversprechenden Klientel und von den explodierenden Immobilienpreisen in der Türkei entschloss sich die Deutsch-Türkin Kaya vor zwei Jahren von Köln nach Istanbul zu gehen, seit einigen Jahren steigen die Preise im Schnitt um 20 Prozent. Kaya musste schnell feststellen, dass sie nicht die einzige ist:

    "Investoren sind zum Beispiel interessiert an Geschäftsgebäuden, die komplett gekauft und vermietet werden, an Einkaufszentren, die hier aus dem Boden sprießen. Daran sind sie besonders interessiert, weil die Mieterträge hoch sind und die Gewinne entsprechend."

    Insbesondere der Markt für Einkaufszentren boomt: Mitte vergangenen Jahres gab es in der Türkei bereits 93 große Shoppingcenter, weitere 26 sind zurzeit im Bau, die meisten davon im Großraum Istanbul. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Geschäftsimmobilien: Im Istanbuler Businessviertel Levent stehen die Baukräne dicht an dicht.

    Die türkische Bauwirtschaft meldet für das erste Quartal des vergangenen Jahres ein Wachstum von knapp 25 Prozent, auch dank des Wohnungsbaus. Angesichts steigenden Wohlstands und historisch niedriger Zinsen können sich immer mehr türkische Familien ein Eigenheim leisten. Ein geplantes neues Hypotheken- und Kredit-Gesetz nach europäischen Vorbild wird nach Schätzungen das private Hypothekenvolumen in der Türkei in den kommenden zehn Jahren von derzeit elfe Milliarden Euro verfünffachen. Die Folge: Am Stadtrand, dort wo einst so genannte Gecekonduviertel blühten, jene über Nacht gebauten Slumviertel, ragen heute moderne Trabantenstädte in den Himmel. Denn anders als etwa in Deutschland wächst die Bevölkerung in der Türkei, betont Sevgi Kaya:

    "Istanbul hat einen Zuwachs von einer halben Million im Jahr. Das ist sehr viel. Dadurch werden die Preise nicht runtergehen, sondern kontinuierlich steigen und sich irgendwo einpendeln, aber erst in zehn Jahren, denke ich."

    Leidtragende der explodierenden Wohnungspreise sind die Armen der Stadt. Beispiel: der Istanbuler Stadtbezirk Beyoglu: Einst war es das Viertel der türkischen Künstler, der jüdischen und christlichen Minderheit. In den 60er und 70er Jahren wurden sie von den anatolischen Einwanderern verdrängt. Nun werden die vornehmen Jugendstil-Häuser nach und nach wieder zu exklusiven Wohnadressen hergerichtet. 1000 Euro für 100 Quadratmeter, für die alten Bewohner ist in Beyoglu bald kein Platz mehr:

    "Mir haben sie als Ersatz eine kleine Wohnung für umgerechnet 60.000 Euro angeboten. Aber wie soll ich das bezahlen? Als Bauarbeiter lebe ich hier doch von der Hand in den Mund. Wenn das so weiter geht, wird uns nichts anderes übrig bleiben, als in unser Dorf zurückzugehen."

    Ausländische Investoren kaufen in Beyoglu ganze Straßenzüge auf. Mit dabei sind auch deutsche Firmen, allein in den vergangenen sechs Monaten eröffneten zwei deutsche Immobilienholdings Niederlassungen am Bosporus. Im Parlament in Ankara werden erste Stimmen laut, die vor einem Ausverkauf des Landes warnen. Andere jedoch verweisen nicht ohne Stolz darauf, dass die Türkei wenigstens im Wachstum ihres Immobiliensektors europäische Spitze ist.