Die Ampel-Koalition hatte Streichungen von Steuervergünstigungen für die Landwirtschaft beschlossen und ist damit auf entschiedenen Protest von Landwirten gestoßen. In Teilen hat die Regierung bereits eingelenkt, doch die Wut der Bauern ist bisher nicht abgeebbt.
Neben den Landwirten haben weitere Berufsgruppen Protest und Streiks angekündigt. Extremistische Gruppierungen versuchen, die aufgeheizte Stimmung für ihre Zwecke zu kapern, teilweise rufen sie zu einem Generalstreik auf. Die Berufsverbände und Gewerkschaften distanzieren sich davon.
Was ist ein Generalstreik?
Von einem Generalstreik spricht man, wenn weite Teile der Bevölkerung ihre Arbeit niederlegen, um damit Druck auf die Politik auszuüben. Ein Generalstreik ist also nicht in Sicht, die allermeisten Menschen werden im Januar wohl zur Arbeit gehen.
Doch es wird im Januar wohl eine Reihe von Protesten und Streiks geben: Neben den Bauern haben weitere Berufsgruppen zu Aktionen aufgerufen und zum Teil ziehen sie dabei eine Verbindung zu den Bauernprotesten.
„Gemeinsam mit den Landwirten machen wir einen heißen Januar in 2024“, schreibt beispielsweise der Bundesverband Logistik & Verkehr in einer Pressemitteilung. Die Spediteure fordern unter anderem eine Rücknahme der Mauterhöhung und der CO2-Bepreisung.
Auch die Lokführergewerkschaft GDL plant Proteste im Januar. Im Gegensatz zum Bauernverband und zum Bundesverband Logistik & Verkehr kann die GDL einen regulären Streik durchführen, das ist in Deutschland nur Gewerkschaften erlaubt.
Kernforderung der GDL ist eine Absenkung der Arbeitszeit für Schichtarbeiter von 38 auf 35 Wochenstunden ohne Lohneinbußen. An einer grundlegenden Lahmlegung des öffentlichen Lebens ist die GDL aber nicht interessiert. Streiks dürften wohl erst ab dem 10.1.2024 stattfinden, damit eine wichtige Tagung des Deutschen Beamtenbunds, in dem die GDL Mitglied ist, möglichst reibungslos stattfinden kann.
Wer ruft aktuell zu einem Generalstreik auf?
Der Bauernverband hat mehrfach betont, dass er nur zu „friedlichem und demokratischem Protest“ aufruft. Verbands-Präsident Joachim Rukwied warnte rechte Gruppierungen davor, die angekündigten Demonstrationen zu unterwandern: "Rechte und andere radikale Gruppierungen wollen wir auf unseren Demos nicht haben", so Rukwied gegenüber der "Bild am Sonntag".
Auf einer Demonstration am 18.12.2023 hatte er noch von Protest gesprochen „in einer Art und Weise, wie es das Land noch nicht erlebt hat.“ In einem Video, das der Bauernverband am 22.12.2023 auf X geteilt hat, sagte er, dass man auf die Unterstützung weiterer Berufsgruppen hoffe.
Der Bauernverband pendelt rhetorisch zwischen markigen Worten und Aufrufen zur Mäßigung. Andere Akteure greifen die aufgeheizte Stimmung auf. Deutsche Sicherheitsbehörden beobachten einem Bericht zufolge diverse Mobilisierungsaufrufe und Solidaritätsbekundungen von Rechtsextremisten, Gruppierungen der Neuen Rechten und der Querdenker-Szene. Die "Welt am Sonntag" berichtete, dies habe eine Abfrage beim Bundeskriminalamt (BKA), dem Bundesamt für Verfassungsschutz und den Verfassungsschutzbehörden der Länder ergeben. Die Aufrufe gebe es besonders in Online-Netzwerken.
Das BKA registrierte demnach unter anderem Aufrufe für einen "Generalstreik" und "Umsturzrandale" sowie für eine "Unterwanderung" der Demonstrationen. Die rechtsextremistische Partei "Der III. Weg" spreche laut Polizei von einem möglichen Bauernaufstand. AfD-Mitglieder und Funktionäre der Partei würden als Veranstaltungsanmelder fungieren oder seien als Redner vorgesehen. Einen Aufruf gebe es auch von der neurechten Initiative "Ein Prozent".
Aus den Sicherheitsbehörden hieß es auf Nachfrage der "Welt am Sonntag", der Bauernprotest sei schwer einzuschätzen. Auf der einen Seite seien Landwirte mit einem legitimen Anliegen und auf der anderen Seite Extremisten, die diesen Protest unterwandern wollten. Gleichzeitig sieht das BKA dem Bericht zufolge für die Bauernproteste und deren Veranstalter selbst keine "gefährdungsrelevanten Erkenntnisse".
Warum ist ein Generalstreik in Deutschland nicht erlaubt?
Streiks sind in Deutschland nur als Mittel zum Zweck des Abschlusses von Tarifverträgen vorgesehen. Das bedeutet, dass etwa Streiks „um ihrer selbst willen“ oder mit politischen Zielen nach vorherrschender juristischer Meinung durch das deutsche Streikrecht nicht gedeckt sind, heißt es seitens des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages.
Streiks seien als Mittel der Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber vorgesehen,
erklärt der Jurist Stefan Greiner
. Arbeitgeber könnten auf Forderungen innerhalb des Arbeitsverhältnisses eingehen, nicht aber auf allgemeine politische Forderungen. Diese dürften daher im Regelfall nicht mit einem Streik verbunden werden.
Einige Gewerkschaften haben in der Vergangenheit immer mal wieder die Legalisierung politischer Streiks gefordert und die Grenzen der Rechtsprechung getestet. So rief die IG Metall 2007 zu „Protesten während der Arbeitszeit“ gegen die Rente mit 67 auf. Gegen die Streikenden wurden keine rechtlichen Schritte eingeleitet.
Laut einer Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts 1971 unterliegen Streiks zudem dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Das Gemeinwohl darf durch sie nicht offensichtlich verletzt werden. Über die Verhältnismäßigkeit wird insbesondere bei Streiks in für die Allgemeinheit zentralen Bereichen wie Krankenhäusern, Versorgungs- und Entsorgungs- oder Verkehrsbetrieben seitdem immer wieder gestritten.
Bei einem Generalstreik würde das öffentliche Leben weitgehend lahmgelegt und das Gemeinwohl potenziell erheblich belastet. Juristisch zulässig wäre das wohl nur in absoluten Ausnahmefällen.
Gibt es historische Beispiele für Generalstreiks?
In Extremsituationen gibt es in der Bundesrepublik eine rechtliche Basis für einen Generalstreik - und zwar nach Artikel 20 des Grundgesetzes. Dort heißt es in Absatz 4, dass alle Deutschen das Recht zum Widerstand haben, wenn die demokratische Ordnung der Bundesrepublik angegriffen wird.
Das jüngste Beispiel für einen deutschen Generalstreik findet man im Jahr 1953 in der DDR. Der Volksaufstand begann bei Bauarbeitern in der Stalinallee in Ost-Berlin. Statt zu arbeiten, bildeten sie einen Demonstrationszug – und steckten andere an. Aus 80 Arbeitern wurden zügig Tausende aus allen möglichen Branchen, sie forderten den Rücktritt der Regierung. Die Regierung setzte Waffen gegen das eigene Volk ein, 50 Menschen starben, Tausende kamen in Haft.
Im Jahr 1920 half ein Generalstreik in der Weimarer Republik dabei, einen rechtsnationalen Putsch zu zerschlagen: Am 13. März 1920 hatten Truppen das Berliner Regierungsviertel besetzt. An deren Spitze stand Wolfgang Kapp, der sich selbst zum neuen Reichskanzler ernannte.
Die gewählte Regierung floh aus Berlin und rief gemeinsam mit den Gewerkschaften zum Generalstreik gegen den Militärputsch auf. Tatsächlich ging den Putschisten bald die Luft aus. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sich ihnen in Berlin viele politische Beamte und Teile der Verwaltung sehr effizient widersetzten.
pto