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Bauhaus, Brücke, Blauer Reiter

In Stuttgart sind Exponate der Kunstsammlung von Max Fischer zu sehen, darunter das farbintensive Davoser Spätwerk von Ernst-Ludwig Kirchner sowie die berührend-verlorenen Mädchenakte des einst unterschätzten Otto Mueller.

Von Christian Gampert | 06.03.2010
    Das Ölbild "Berliner Straßenszene" von Ernst Ludwig Kirchner aus dem Jahr 1913.
    Das Ölbild "Berliner Straßenszene" von Ernst Ludwig Kirchner aus dem Jahr 1913. (picture-alliance/ dpa)
    Der 1886 geborene Tübinger Gastwirtssohn Max Fischer hat sich zeitlebens nie in den Vordergrund gedrängt. Er studiert in München Chemie, wird Gesellschafter einer Wachswaren-Fabrik im schwäbischen Ditzingen – und sammelt, um "der Wahrheit näherzukommen", ab 1910 zunächst alte Meister, dann aber vor allem und sehr gezielt Expressionisten. Seine kunsthistorischen Kenntnisse erwirbt er im Selbststudium, und wer diese großartige Sammlung heute betrachtet, der kann nebenbei auch etwas über Kunsthandel und Rezeptionsgeschichte lernen.

    Denn Fischer kaufte zum Beispiel Kirchners formenberuhigtes, aber farbintensives Davoser Spätwerk, als alle Welt darüber noch die Nase rümpfte; er erwarb die berührend-verlorenen Mädchenakte des unterschätzten Otto Mueller, als sich niemand dafür interessierte. Fischer verkaufte aber auch schon mal ein paar Dürers und Toulouse-Lautrecs, um Beckmanns depressive Atelierszene "Akademie I" aus der Amsterdamer Emigrationszeit bezahlen zu können – eine düster-monumentale Selbstreflexion Beckmanns über die Machtlosigkeit des Künstlers angesichts des Faschismus.

    Nach dem Krieg agierte Fischer dann relativ geschickt in der Stuttgarter Kunstszene, wo bis Anfang der 60er-Jahre im Kunstkabinett des Roman Ketterer die vordem verfemte Klassische Moderne umgeschlagen wurde; 1950 ersteigerte er eine "Tänzerin" von Emil Nolde für 207 Deutsche Mark – was uns heute staunen macht. Was aber auch heißt, dass diese Kunst im allgemeinen Bewusstsein damals nicht viel wert war.

    Nun aber ist sie ausgestellt, und durch die überlegte Präsentation von Ina Conzen wird die Sammlung noch schöner, als sie sowieso schon ist. Ein Großteil ist lichtempfindliche Grafik, und im Mittelpunkt steht Ernst Ludwig Kirchner, eine Kirchner-Retrospektive en miniature – von den wilden Dresdner und Berliner Jahren über die Nervenkrise des Ersten Weltkriegs bis nach Davos, von den Akten, den keilförmigen, architektonisch gebauten Körpern der Badenden und Kokotten, den Strand-, Variété- und Straßenszenen zu den Farbtänzen der Schweizer Bergwelt. Man spürt in dieser Präsentation die Erregtheit, das sexuelle Fieber der Frühphase und die Beruhigung in den Alpen. Es gibt die klassischen Kirchner-Motive, aber gerade in der Grafik hat Kirchner meist nur ein Exemplar mit genau dieser Farbzusammenstellung als Handabzug gefertigt – hier sind sie zu sehen. Und bisweilen entdeckt man längst Vergessenes – wie die Studie der Tänzerin Gret Palucca mit ihren schlangenartig sich windenden Extremitäten.

    Die Kuratorin geht dann zurück zu Edward Munch als dem Ahnen dieser emotionalen Dunkelheit: auch hier einige Klassiker, der "Tod im Krankenzimmer", der Vampir, der Kuss – und zahlreiche Beispiele dieser neuen Wildheit im Holzschnitt. Dann die "Brücke" und ihre Begeisterung für die Südsee, die Unmittelbarkeit der Palau-Indianer; hier sieht man Herausragendes von Erich Heckel, vor allem die mageren, armen, von scharfkantigen schwarzen Linien geprägten Mädchenakte. Dazu Otto Muellers expressive, aber mehr poetisch-versonnene Frauenkörper. Nolde und Beckmann als Einzelgänger: Noldes überwältigendes "Herbstmeer" in Öl, wo hinter der Brandung die rote Wolkenhölle lauert, und Beckmanns Personen-Statuarik. Der "blaue Reiter" mit einigen farbtollen Jawlenskys, einige wenige, aber präzise gewählte Klee-Luftgeister – und zum Schluß das Bauhaus, mit Oskar Schlemmers anonymen, puppigen Treppen-Figuren und Lyonel Feiningers subtilen, pyramidalen Lichtbrechungen, erprobt an Sujets wie Segelbooten und Landschaften.

    Die Stuttgarter Staatsgalerie bekommt all dies als Dauerleihgabe, die Sammlerfamilie bleibt bescheiden im Hintergrund, und durch eine feine, strukturierte Präsentation wird die Strahlkraft der Werke noch gehoben. Obwohl man vorsichtig sein muß mit Superlativen: all dies ist wohl ein großes Glück …