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Bauhaus-Lehrerin - Musikpädagogin - Gestalterin
Leben und Wirken der Gertrud Grunow

Sie ist eine der weitgehend unbekannten Bauhaus-Meisterinnen: Gertrud Grunow. Ein Forschungsprojekt will sie nun aus dem Schatten ihrer männlichen Kollegen holen. Denn Gertrud Grunow setzte auf individuelle, ganzheitliche Förderung ihrer Schüler und besaß synästhetische Fähigkeiten.

Von Dörte Hinrichs |
    Schriftzug am Bauhaus in Dessau-Roßlau (Sachsen-Anhalt). Das zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörende Bauhaus wurde im Dezember 1926 eröffnet. Die dortige Kunstschule hat die Entwicklung von Architektur, Städtebau und Design im 20. Jahrhundert stark geprägt.
    Bauhaus Dessau (dpa / picture alliance / Jens Wolf)
    Es war der pure Zufall, der Dr. Linn Burchert mit Gertrud Grunow bekannt machte. Die Berliner Kunsthistorikerin schrieb an der Friedrich-Schiller-Universität* in Jena an ihrer Dissertation über therapeutische Konzepte in der abstrakten Kunst. Bei ihrer Recherche stieß sie neben den bekannten Bauhaus-Künstlern auch auf Gertrud Grunow, die in wenigen Sätzen abgehandelt wurde. Von 1919 bis 1924 lehrte die Musikpädagogin am Bauhaus. Ihr Kurs über Harmonisierungslehre war obligatorisch für alle Schüler.
    "Sie schrieb auch Evaluationen über ihre Schülerinnen und Schüler, die dazu beitrugen zu entscheiden, welche Werkstätten dann später von ihnen besucht wurden, das heißt welche weiteren kreativen Wege eingeschlagen wurden. Trotzdem ist eigentlich bisher relativ ungewiss geblieben, zum einen, warum ist Grunow eigentlich vergessen worden, zum anderen, welche Rolle spielte sie eigentlich im Kollegium und damit habe ich mich näher auseinandergesetzt und konnte zeigen und herausfinden, dass sie wirklich auch für die großen Namen für Wassily Kandinsky, für Johannes Itten, mit dem sie besonders eng zusammenarbeitete, aber auch zum Beispiel mit dem Leiter der Bühnenklasse, Lothar Schreyer, eng zusammenarbeitete und auch sehr wertgeschätzt wurde."
    Öffentlich gewürdigt wurde Gertrud Grunow lange nicht
    Gertrud Grunow drängte sich nicht in den Vordergrund. Dass sie vergessen wurde, so Linn Burchert, habe auch an ihren männlichen Bauhaus-Kollegen gelegen, die ihre Leistungen nicht sichtbarer werden ließen und nicht öffentlich würdigten.
    "Was bei Grunow zum Beispiel immer wieder auch auffällt in der Forschungsliteratur, dass sie so als Esoterikerin abgetan wird, während sozusagen die männlichen Kollegen, wie Kandinsky oder auch Itten, die ja sehr esoterikbegeistert waren, dafür gar nicht an Aufmerksamkeit verlieren."
    Erschwerend kommt hinzu, dass nur wenige authentische Quellen von Gertrud Grunow überliefert sind.
    "Die einzige Schrift, die ihre Lehre wirklich umfassend erklärt hätte, die ist eigentlich verloren bzw. die wurde von einem Schüler von ihr, dem sie das kurz vor ihrem Tode noch übergeben hatte, verwendet für eigene Zwecke, der hat eigene Gedanken hineingewoben und hat das benutzt für eigene Publikationen, für Vorträge, um seine esoterische Naturheilmedizin zu verkaufen. Insofern fehlt uns auch diese eine wesentliche Quelle, denn das Manuskript ist, soweit wir wissen, zerstört worden."
    Spurensuche bei Zeitzeugen
    Doch es gibt Spuren: unter anderem Artikel, die Grunow in der Zeitschrift "Kunst und Jugend" veröffentlicht hat - und es gibt noch einen Autoren und Zeitzeugen, den die Weimarer Kunstpädagogin Gabriele Fecher aufspürte:
    "Als ich gesehen habe, dass Grunow eine fast ähnliche Biografie hat, nämlich dass sie diese Rhythmik auch zusammenbringt mit dem Visuellen, habe ich mich auf die Suche gemacht und bin dann auf René Radrizzani gestoßen, der wahrscheinlich als letzter lebender Zeitzeuge die authentischste Möglichkeit hat, die Grunow-Lehren noch zu erfahren. Und ich bin dann zu René Radrizzani in die Schweiz gereist und er hat dann diese Lehre, die er wiederum von der Assistentin von Gertrud Grunow am Bauhaus direkt authentisch übermittelt bekommen hat, weitergeführt und sie mir dann auch entsprechend übermittelt."
    "Sie entdeckte, dass die Klänge, die Töne, die sie summte, in einer bestimmten Oktavlage am vollsten, kräftigsten klingen. Und diese Ordnung der Oktavlagen, die entspricht auch einer zweiten Ordnung der Klänge."
    Eingeflossen ist das in einen einstündigen Film, der auch auf der Gertrud Grunow-Webseite zu sehen ist – mit Farbkreisen, Tönen und tänzerischen Bewegungen.
    Wirkung von Farben und Tönen auf Seele und Geist
    "Das Ganze basierte eben darauf, dass Grunow festgestellt hatte, dass ihre Schülerinnen und Schüler, je nach Ton, den sie als Musiklehrerin auf ihrem Piano anschlug, eine andere Haltung einnahmen und auch sich der Gesichtsausdruck veränderte. Und daraus schloss sie, dass Töne - und sie erweiterte das Ganze dann eben auch noch auf Farben - eine Wirkung auf den menschlichen Körper haben, aber auch auf Seele und Geist."
    Davon ausgehend entwickelte Gertrud Grunow Formen und Übungen. Ziel war es, ihre Schüler durch die unterschiedliche Wirkung von Farben und Tönen in ein Gleichgewicht, und damit in einen kreativen Fluss zu bringen.
    "Und die Idee dahinter war, dass sie im Wechsel dann von eher lockeren oder eher angespannten, auch gebeugten oder eher gestreckten Haltungen und auch den damit einhergehenden Gefühlen flexibler werden. Und dadurch sollten sie für die kreative Tätigkeit und auch für die eigene Persönlichkeit stärker sensibilisiert werden, empfindsamer werden, sich lockern, dadurch zu einer eigenen Kreativität finden."
    Gertrud Grunows Lehre basiert auf Gedanken der Reformbewegungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Sie setzt auf individuelle, ganzheitliche Förderung ihrer Schüler. Und sie hatte, wie viele andere Künstler auch, synästhetische Fähigkeiten. Diese verfolgt sie nach ihrer Bauhaus-Zeit weiter. Linn Burchert:
    Interesse für urspüngliche Wahrnehmungsformen
    "Das Interessante ist bei ihr, dass sie dann an der Uni Hamburg im Bereich der Entwicklungspsychologie tätig ist und dort arbeitet sie eben mit Heinz Werner zusammen, also einem Entwicklungspsychologen. Und die beiden gehen davon aus, dass Synästhesie gar nichts Besonderes, unbedingt Individuelles ist, sondern synästhetisches Wahrnehmen eigentlich etwas ist, was uns allen angeboren ist.
    Sie interessieren sich für ursprüngliche Wahrnehmungsformen, die einfach durch unsere Lebenswirklichkeit und durch kulturelle Faktoren verschüttet sind. Die aber besonders einfach bei Kindern, aber im Prinzip auch bei Erwachsenen wieder hervorgeholt werden können. Und darin besteht sozusagen auch diese Harmonisierungslehre, und interessanterweise verbindet sich das in dieser Zeit eben auch mit der wissenschaftlichen Forschung.
    *Anm. d. Red.: In einer früheren Version des Textes hieß es, Dr. Linn Burchert habe ihre Dissertation an der Humboldt-Universität geschrieben.
    Mehr über das Leben und Werk von Gertrud Grunow, über den Forschungsstand der Grunow-Projekte sowie der Film mit René Radrizzani
    auf der Seite www.gertrud-grunow.de