Im Büro von Christian Schmidt-Burg in der Verbraucherzentrale Hamburg stapeln sich achtzig Pappkartons. Der Jurist schüttelt den Kopf. Nein, sagt er, eine solche Flut von Ratsuchenden hat er noch nie erlebt.
"Die bearbeiteten Fälle der letzten sechs Monate haben wir da abgelagert. Mehr Platz haben wir nicht. Der Rest geht in den Keller. Und der Keller ist auch schon voll. Wir müssen uns jetzt schon Gedanken machen, wohin wir den Rest packen. Wir haben jetzt 13.000 Fälle bearbeitet. Das ist natürlich verhältnismäßig viel Papier."
Auf das viele Papier sind die Kurzgutachten der Verbraucherschützer gedruckt. Gutachten über so genannte Widerrufsklauseln in Baufinanzierungsverträgen, die in vielen Fällen ungültig sind. Wenn sie ungültig sind, können Kunden ihre meist auf zehn oder zwanzig Jahre abgeschlossenen Finanzierungsverträge mit Banken und Versicherungen widerrufen. Um dann, zu den heute besonders niedrigen Zinssätzen einen neuen Vertrag abzuschließen. Mehrere tausend Euro pro Jahr, je nach Kredithöhe und Laufzeit, könnten Bankkunden dann sparen, erklärt Verbraucherschützer Schmidt-Burg. Damit dieser Plan gelingt, komme es auf zwei Dinge an: erstens müsse die Widerrufsklausel im Kreditvertrag fehlerhaft sein. Zweitens müsse ein neuer Finanzierungsvertrag mit der alten oder einer neuen Bank geschlossen werden. Aber genau diese Anschlussverträge nach einem Widerruf lehnen immer mehr Banken und Versicherer ab, so der Verbraucherschützer:
"Das wird zusehends ein Problem. Wir bekommen immer mehr Rückmeldungen, dass sich anscheinend so eine Front in der Bankenlandschaft gebildet hat. Die sich abgesprochen haben. Und die sagen: "Diese Leute finanzieren wir nicht weiter!" Aber es ist ja in der Tat notwendig, dass weiterfinanziert wird. Weil der Kredit in der Regel nicht zurückgezahlt wird."
Anbieter wollen es den Kunden schwer machen
Die Anbieter von Baufinanzierungen, so vermutet Christian Schmidt-Burg, wollen es den Kunden schwer machen, ihre alten Verträge nur wegen eines besseren Zinssatzes zu widerrufen.
"Es sind sehr relevante Anbieter inzwischen, die zum Beispiel sagen, dass sie wenn die Leute aufgrund eines Widerrufs ausgestiegen sind, nicht finanzieren. Nur mal so als Beispiel: CoBa, also Commerzbank, Deutsche Bank, Allianz, Axa, Ergo, ING Diba – auch ein ganz großer Anbieter. Die alle sagen: wir finanzieren das nicht."
Und das sei, so Schmidt-Burg, eine unzulässige Absprache unter den Banken, die durch massenhaft widerrufene Verträge und einen anschließenden Neuabschluss zu niedrigeren Zinsen, Schäden in dreistelliger Millionenhöhe fürchteten. - Die ING Diba geht ganz offen mit dem Problem um. Die Bank, so Unternehmenssprecher Patrick Herwarth, hätte schon in der Vergangenheit Umschuldungen während der regulären Vertragslaufzeit sehr restriktiv geprüft.
"Es ist einfach so, dass in der letzten Zeit vermehrt Anfragen von unseren Vertriebspartnern kamen, wie wir das Thema Umschuldung sehen. Und da einfach eine klare Position einnehmen und sagen, dass wir uns weiterhin auf die Neufinanzierung und Anschlussfinanzierung konzentrieren wollen. Und eben eine Umschuldung vor Ablauf der Zinsfestschreibung nicht anbieten."
Axa antwortet nicht
Eine schriftliche Anfrage zum Thema bei der Axa bleibt unbeantwortet. Die Deutsche Bank, die Allianz und Ergo teilen mit, dass es bei ihnen keine generelle Ablehnung von derartigen Anschlussfinanzierungen gibt. Der Commerzbank-Sprecher Gunnar Meyer teilt mit:
"Verbrauchern soll durch die Einräumung des gesetzlichen Widerrufsrechts die Möglichkeit eingeräumt werden, ihre Entscheidung innerhalb einer bestimmten Frist nach Vertragsschluss nochmals zu überdenken und ggf. rückgängig zu machen. Das Widerrufsrecht soll nicht dazu dienen, Spekulationsmöglichkeiten zu Lasten einer Bank zu eröffnen, wenn sich die Marktzinsen entgegen der Erwartung bei Vertragsschluss nach unten bewegt haben."
Nach dieser Lesart rufen die Verbraucherschützer öffentlich dazu auf, mit juristischen Tricks Verträge auszuhebeln, an denen an sich nichts auszusetzen ist. Außer einer oft unklar formulierten Widerrufsklausel. Christian Schmidt-Burg findet das nicht anstößig.
"Die Banken haben ja nun auch in der Vergangenheit in verschiedenster Form mit rechtlichen Argumenten Ansprüche der Kunden abgewehrt... Jetzt sind sie halt mal dran! Und damit müssen sie sich halt beschäftigen."