"Bei Tagesanbruch hustete der siebte Schutzgeist achtzig Baumwollfäden aus, die er durch seine oberen Zähne zog wie durch einen Webkamm (...) Dasselbe tat er mit den unteren Zähnen, um eine gerade Ebene von Kettfäden zu bilden. Indem er die Kiefer öffnete und schloss, gab der Geist die von den Litzen vorgegebenen Bewegungen an die Kette weiter (...) Der Geist ließ seine Worte strömen, und sie (...) verwoben sich mit den Fäden (...) Sie waren das Gewebe, und das Gewebe war das Wort. Deshalb bedeutet soy Gewebe und zugleich auch "Das ist das Wort." (Weiße Plantagen, S. 22)
Diese Schöpfungsgeschichte der westafrikanischen Dogon steht am Anfang von Érik Orsennas breit angelegter Untersuchung über die Baumwolle in der Ära der Globalisierung. Dabei geht es um die Herstellung und Vermarktung dieser uralten, häufig als das "Hausschwein der Botanik" apostrophieren Pflanze und deren vielfältige Nutzung im Stoff- und Textilbereich oder als Bestandteil von Filmmaterial, Kosmetika, Spezialpapieren. Zwei Jahre war Érik Orsenna unterwegs auf Baumwollfeldern, in Fabriken und Forschungslaboren, in Bibliotheken und Museen, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Auf diesen Reisen begleitete ihn ein Kameramann, denn es sollte ja nicht nur ein Buch, sondern auch ein Film für Arte entstehen.
" Ich habe mit dieser Untersuchung in Mali begonnen, ich war in den Vereinigten Staaten, um zu sehen, was dort geschieht, danach war ich in Brasilien, in Ägypten, dann in Usbekistan, dann in China und mitten in Europa, in den Vogesen, nicht weit von der deutschen Grenze, um ganz konkret vor Ort zu sehen, was es mit der Baumwolle, den Socken und den Textilien auf sich hat. Das war ein hoch interessanter Spaziergang, ich wollte da nicht mit vorgefassten Meinungen drangehen, ich wollte nicht urteilen, ehe ich mir das nicht selbst angesehen hatte; ich wollte vor allem nicht das Buch eines Ökonomen schreiben, sondern das eines Spaziergängers, eines Geographen, ein Buch, das Menschen begegnet, sie beschreibt und die Schwierigkeit zu leben. "
Die Idee zu dem Buch hatte Érik Orsenna, nachdem 2003 im mexikanischen Cancún die Verhandlungen der Welthandelsorganisation ausgerechnet an der Baumwolle gescheitert waren. Westafrika wird zum Ausgangspunkt seiner Erkundungen, weil er zeigen will, dass Afrika am meisten und heftigsten unter den Folgen der Globalisierung zu leiden hat.
"Europa und die USA gehören zu den Ländern, in denen die Bauern riesige Subventionen erhalten. Stellen Sie sich nur mal vor, dass 25.000 Baumwollanbauer in den USA im Jahr zwischen drei bis vier Milliarden Dollar Subventionen erhalten und mit Produzenten aus Mali konkurrieren, die gar nichts bekommen. Gegen diese Subventionen kommen die Produzenten aus Mali nicht an, da die amerikanischen Produzenten, die die ganzen Subventionen einstreichen, auf den Weltmarkt drängen und infolgedessen die Baumwollkurse fallen."
Gegen diese Subventionswirtschaft der Europäer und Amerikaner haben sich Mali und Brasilien zusammengetan. Erik Orsenna:
"Doch sind das ganz eigenartige Verbündete: die Malier, die ihre maximal zwei Hektar großen Baumwollfelder mit der Hand ernten und die Brasilianer, die ihre bis zu achttausend Hektar großen Felder mit riesigen Maschinen abernten, d.h. in Brasilien gibt es die Agrarindustrie und in Mali landwirtschaftliche Handarbeit."
Außerdem drängt China auf den Weltmarkt mit Billigtextilien, wodurch in Afrika und Europa die heimische Textilindustrie in Bedrängnis gerät. Seit einigen Jahren versucht China, seinen erhöhten Rohstoffbedarf in Afrika zu decken, was jedoch nicht heißt, dass diese Mehreinnahmen dem Volk zugute kommen.
" China blickt nach Afrika, das heißt eine bestimmte Zahl von Afrikanern wird reich sein und zwar die Afrikaner an der Macht, diejenigen, die die Rohstoffe kontrollieren. Das besagt jedoch nicht, dass Afrika reich ist, wenn ein paar Afrikaner reich sind. (....) Je stärker die Rohstoffe konzentriert sind, desto besser können sich die Machthaber den Zugriff darauf sichern und je reicher die Machthaber sind, desto weniger fällt für die Bevölkerung von diesem Reichtum ab. Diese ganz konkreten Fragen stelle ich mir auf meinen Reisen. "
Érik Orsenna kann auf ein fundiertes Wissen als Rohstoffexperte zurückgreifen sowie ein weit verzweigtes Netzwerk von Kollegen, die ihn vom neuesten Stand ihrer Forschungen in Kenntnis setzen. Das kommt ihm zugute bei den plastischen Beschreibungen der verschiedenen Wirtschaftssysteme und Vermarktungsmechanismen, wobei er stets noch Bezüge zur Religion, Kultur oder Musik herstellt und Mythen und Legenden einfließen lässt, die sich um die Baumwolle ranken. Im Gedächtnis haften wird zweifelsohne seine Beschreibung von Datang, der Welthauptstadt der Socken und Frau Hongs Aufstieg von der einfachen Lehrerin zur Chefin eines Unternehmens, in dem jährlich 50 Millionen Paar Socken herstellt werden. Finanzielle Unterstützung von einem Staat, der, wie es einer der Staatsbeamten ausdrückte, "keine kostbare Zeit mit der Demokratie verliert, wie in Indien", eiserne Disziplin und ein Heer billiger Arbeitskräfte ermöglichten diesen märchenhaften Aufstieg.
" In China südöstlich von Schanghai liegt die Welthauptstadt der Socken, wo ca. zwei Drittel aller Socken dieser Welt hergestellt werden, alle machen dort Socken. Große Betriebe mit Angestellten, die Socken herstellen, doch auch kleine Handwerksbetriebe mit zwei Maschinen, wo die ganze Familie Socken herstellt. Es gibt an die zwölf bis fünfzehntausend kleine Gesellschaften und auch die stellen Socken her. (...) Die Angestellten verdienen ca. 100 Euro im Monat für sechs Tage Arbeit in der Woche, sie arbeiten zwölf Stunden pro Tag und haben eine Woche Urlaub im Jahr. Sie kommen aus dem Landesinneren, wo viel Elend herrscht, für uns sind das Hungerlöhne, wohingegen sie für diese Bauernkinder ein regelrechter Fortschritt sind. Ich habe viele Menschen getroffen, die die Hälfte von dem, was sie verdienten - 50 Euro im Monat - ihren Familien schickten, die im Landesinnern zurückgeblieben waren. Ich habe auch Eltern getroffen, die an der Ostküste arbeiteten, da, wo die ganzen Fabriken am Meer sind und die haben ihre Kinder im Landesinnern zurückgelassen, weil dort die Schule kostenlos war, wohingegen am Meer Schulgebühren erhoben wurden. "
Érik Orsenna zeigt auf, dass sich nicht nur der Anbau der Baumwolle und deren Vermarktung rasant verändern, sondern infolge gentechnischer Manipulationen auch die Beschaffenheit dieses Rohstoffs.
" Und Baumwolle ist ja gerade so interessant, weil sie zwischen der Wissenschaft, der Industrie und der Natur angesiedelt ist. Es gibt Länder, wie Brasilien und die USA die mit genetischen Veränderungen einverstanden sind und andere, wie Frankreich, Deutschland und Europa, die strikt dagegen sind (...) Ich bin kein Naturwissenschaftler, kann folglich keine fundierte Meinung abgeben, doch halte ich es für ein Unding, dass Frankreich auf Forschungen in diesem Bereich verzichtet (...) Wir bräuchten eine große parlamentarische Debatte, wo die Nation entscheidet, was sie will. "
Èrik Orsenna hat in "Weiße Plantagen" eine globale Zusammenschau der Baumwollwirtschaft versucht und anhand dieser Pflanze die Folgen von Globalisierung und Privatisierung aufgezeigt, eher als wissbegieriger Zeitgenosse, denn als vehementer Globalisierungsgegner. Dank der sachkundigen und humorvollen Beschreibungen erhält der Leser am Beispiel des Rohstoffs Baumwolle einen guten Überblick über die unterschiedlichen Formen des Wirtschaftens , die auf unserem Planeten miteinander konkurrieren.
Diese Schöpfungsgeschichte der westafrikanischen Dogon steht am Anfang von Érik Orsennas breit angelegter Untersuchung über die Baumwolle in der Ära der Globalisierung. Dabei geht es um die Herstellung und Vermarktung dieser uralten, häufig als das "Hausschwein der Botanik" apostrophieren Pflanze und deren vielfältige Nutzung im Stoff- und Textilbereich oder als Bestandteil von Filmmaterial, Kosmetika, Spezialpapieren. Zwei Jahre war Érik Orsenna unterwegs auf Baumwollfeldern, in Fabriken und Forschungslaboren, in Bibliotheken und Museen, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Auf diesen Reisen begleitete ihn ein Kameramann, denn es sollte ja nicht nur ein Buch, sondern auch ein Film für Arte entstehen.
" Ich habe mit dieser Untersuchung in Mali begonnen, ich war in den Vereinigten Staaten, um zu sehen, was dort geschieht, danach war ich in Brasilien, in Ägypten, dann in Usbekistan, dann in China und mitten in Europa, in den Vogesen, nicht weit von der deutschen Grenze, um ganz konkret vor Ort zu sehen, was es mit der Baumwolle, den Socken und den Textilien auf sich hat. Das war ein hoch interessanter Spaziergang, ich wollte da nicht mit vorgefassten Meinungen drangehen, ich wollte nicht urteilen, ehe ich mir das nicht selbst angesehen hatte; ich wollte vor allem nicht das Buch eines Ökonomen schreiben, sondern das eines Spaziergängers, eines Geographen, ein Buch, das Menschen begegnet, sie beschreibt und die Schwierigkeit zu leben. "
Die Idee zu dem Buch hatte Érik Orsenna, nachdem 2003 im mexikanischen Cancún die Verhandlungen der Welthandelsorganisation ausgerechnet an der Baumwolle gescheitert waren. Westafrika wird zum Ausgangspunkt seiner Erkundungen, weil er zeigen will, dass Afrika am meisten und heftigsten unter den Folgen der Globalisierung zu leiden hat.
"Europa und die USA gehören zu den Ländern, in denen die Bauern riesige Subventionen erhalten. Stellen Sie sich nur mal vor, dass 25.000 Baumwollanbauer in den USA im Jahr zwischen drei bis vier Milliarden Dollar Subventionen erhalten und mit Produzenten aus Mali konkurrieren, die gar nichts bekommen. Gegen diese Subventionen kommen die Produzenten aus Mali nicht an, da die amerikanischen Produzenten, die die ganzen Subventionen einstreichen, auf den Weltmarkt drängen und infolgedessen die Baumwollkurse fallen."
Gegen diese Subventionswirtschaft der Europäer und Amerikaner haben sich Mali und Brasilien zusammengetan. Erik Orsenna:
"Doch sind das ganz eigenartige Verbündete: die Malier, die ihre maximal zwei Hektar großen Baumwollfelder mit der Hand ernten und die Brasilianer, die ihre bis zu achttausend Hektar großen Felder mit riesigen Maschinen abernten, d.h. in Brasilien gibt es die Agrarindustrie und in Mali landwirtschaftliche Handarbeit."
Außerdem drängt China auf den Weltmarkt mit Billigtextilien, wodurch in Afrika und Europa die heimische Textilindustrie in Bedrängnis gerät. Seit einigen Jahren versucht China, seinen erhöhten Rohstoffbedarf in Afrika zu decken, was jedoch nicht heißt, dass diese Mehreinnahmen dem Volk zugute kommen.
" China blickt nach Afrika, das heißt eine bestimmte Zahl von Afrikanern wird reich sein und zwar die Afrikaner an der Macht, diejenigen, die die Rohstoffe kontrollieren. Das besagt jedoch nicht, dass Afrika reich ist, wenn ein paar Afrikaner reich sind. (....) Je stärker die Rohstoffe konzentriert sind, desto besser können sich die Machthaber den Zugriff darauf sichern und je reicher die Machthaber sind, desto weniger fällt für die Bevölkerung von diesem Reichtum ab. Diese ganz konkreten Fragen stelle ich mir auf meinen Reisen. "
Érik Orsenna kann auf ein fundiertes Wissen als Rohstoffexperte zurückgreifen sowie ein weit verzweigtes Netzwerk von Kollegen, die ihn vom neuesten Stand ihrer Forschungen in Kenntnis setzen. Das kommt ihm zugute bei den plastischen Beschreibungen der verschiedenen Wirtschaftssysteme und Vermarktungsmechanismen, wobei er stets noch Bezüge zur Religion, Kultur oder Musik herstellt und Mythen und Legenden einfließen lässt, die sich um die Baumwolle ranken. Im Gedächtnis haften wird zweifelsohne seine Beschreibung von Datang, der Welthauptstadt der Socken und Frau Hongs Aufstieg von der einfachen Lehrerin zur Chefin eines Unternehmens, in dem jährlich 50 Millionen Paar Socken herstellt werden. Finanzielle Unterstützung von einem Staat, der, wie es einer der Staatsbeamten ausdrückte, "keine kostbare Zeit mit der Demokratie verliert, wie in Indien", eiserne Disziplin und ein Heer billiger Arbeitskräfte ermöglichten diesen märchenhaften Aufstieg.
" In China südöstlich von Schanghai liegt die Welthauptstadt der Socken, wo ca. zwei Drittel aller Socken dieser Welt hergestellt werden, alle machen dort Socken. Große Betriebe mit Angestellten, die Socken herstellen, doch auch kleine Handwerksbetriebe mit zwei Maschinen, wo die ganze Familie Socken herstellt. Es gibt an die zwölf bis fünfzehntausend kleine Gesellschaften und auch die stellen Socken her. (...) Die Angestellten verdienen ca. 100 Euro im Monat für sechs Tage Arbeit in der Woche, sie arbeiten zwölf Stunden pro Tag und haben eine Woche Urlaub im Jahr. Sie kommen aus dem Landesinneren, wo viel Elend herrscht, für uns sind das Hungerlöhne, wohingegen sie für diese Bauernkinder ein regelrechter Fortschritt sind. Ich habe viele Menschen getroffen, die die Hälfte von dem, was sie verdienten - 50 Euro im Monat - ihren Familien schickten, die im Landesinnern zurückgeblieben waren. Ich habe auch Eltern getroffen, die an der Ostküste arbeiteten, da, wo die ganzen Fabriken am Meer sind und die haben ihre Kinder im Landesinnern zurückgelassen, weil dort die Schule kostenlos war, wohingegen am Meer Schulgebühren erhoben wurden. "
Érik Orsenna zeigt auf, dass sich nicht nur der Anbau der Baumwolle und deren Vermarktung rasant verändern, sondern infolge gentechnischer Manipulationen auch die Beschaffenheit dieses Rohstoffs.
" Und Baumwolle ist ja gerade so interessant, weil sie zwischen der Wissenschaft, der Industrie und der Natur angesiedelt ist. Es gibt Länder, wie Brasilien und die USA die mit genetischen Veränderungen einverstanden sind und andere, wie Frankreich, Deutschland und Europa, die strikt dagegen sind (...) Ich bin kein Naturwissenschaftler, kann folglich keine fundierte Meinung abgeben, doch halte ich es für ein Unding, dass Frankreich auf Forschungen in diesem Bereich verzichtet (...) Wir bräuchten eine große parlamentarische Debatte, wo die Nation entscheidet, was sie will. "
Èrik Orsenna hat in "Weiße Plantagen" eine globale Zusammenschau der Baumwollwirtschaft versucht und anhand dieser Pflanze die Folgen von Globalisierung und Privatisierung aufgezeigt, eher als wissbegieriger Zeitgenosse, denn als vehementer Globalisierungsgegner. Dank der sachkundigen und humorvollen Beschreibungen erhält der Leser am Beispiel des Rohstoffs Baumwolle einen guten Überblick über die unterschiedlichen Formen des Wirtschaftens , die auf unserem Planeten miteinander konkurrieren.