Kürzlich hielt Präsident Sisi wieder mal eine Rede ans ägyptische Volk:
"Soll ich euch etwas Wichtiges sagen? Es gibt dieses Jahr keine Gehaltserhöhung für Beamte. Wollt ihr euer Land aufbauen? Oder wollt ihr euch wegen der gestiegenen Kartoffelpreise beschweren? Gut, sagte Sisi, Kartoffeln kosten jetzt zwischen elf und 13 Pfund, so ist das eben. Aber es geht doch um euer Land. Ein Land wird nicht einfach so aufgebaut sondern mit Mühe und Leiden."
In Kairo wuchern die Slums
Mit Mühe und Leiden sind die Leute in Kairos Elendsquartieren vertraut. In der 20-Millionen-Stadt wuchern die Slums als seien sie lebende Organismen; Müllberge und fauliger Gestank in den Gassen, Marktgeschrei und Menschengewimmel. Wer hier lebt, hat nicht die Zeit, sich über den Aufbau des Landes Gedanken zu machen. Was zählt, sind die Preise für Kartoffeln, Brot und Gemüse:
"Vier Kilo für zehn Pfund, das ist doch nicht zu viel verlangt. Aber niemand kauft mir was ab. Die Leute haben einfach kein Geld mehr. Sie sind erschöpft, ausgelaugt. Wir hören immer nur, dass es aufwärtsgeht und alles gut wird. Aber hier ist nichts gut. Die Leute haben nicht mal genug zu essen", sagt ein Tomatenverkäufer im Armenviertel Imbaba.
Medien preisen Wirtschaftspolitik des Präsidenten
Das hier ist sozusagen die mikroökonomische Perspektive am Nil. Der Blick der Armen. Er unterscheidet sich radikal von der makroökonomischen Sichtweise des IWF. Der Internationale Währungsfond verzeichnet für Ägypten im abgelaufenen Jahr eine Wachstumsrate von 5,2 Prozent.
Es gehe voran, jubeln Ägyptens staatshörige Medien und preisen die Wirtschaftspolitik des Präsidenten. Selbst bei der Deutsch-Arabische Handelskammer ist man beeindruckt. Jan Nöther, der Leiter, spricht von positiven Signalen für ausländische Investoren:
"Also momentan sind die Ampeln grün. Es ist den deutschen Unternehmen nicht verborgen geblieben, dass wir Wachstumsraten jenseits der fünf Prozent haben, dass eine gewisse Stabilität eingetreten ist, und dass insgesamt große Anstrengungen unternommen werden, um die Voraussetzungen für Investitionen attraktiv zu machen."
Gas, Strom, Milch um ein vielfaches teurer
Die Regierung bekam vom IWF einen zweistelligen Milliarden-Kredit, weil sie bereit war, den Wechselkurs frei zu geben und Subventionen zu streichen. Vieles hat sich seitdem dramatisch verteuert: Diesel, Gas und Strom, Milch, Fleisch, Gemüse.
"Die Preise steigen immer weiter und wir werden immer ärmer", klagen ein paar Männer auf dem Markt von Imbaba. "Vom Wachstum kommt bei uns nichts an. Wenn die Hälfte des Monats vorbei ist, haben wir nichts mehr in der Tasche. Da denke ich nur noch dran, wie wir den nächsten Tag überstehen sollen und wie ich an Geld komme."
Das ist das Lebensgefühl, wenn man sich unterhalb der Armutsgrenze bewegt. In Ägypten sind das nach Ansicht unabhängiger Ökonomen etwa 35 Prozent der Bevölkerung. Für Präsident Sisi , meint die Menschenrechts-Aktivistin Aida seif al Dawla, sei das eine zu vernachlässigende Größe:
"Er nimmt nur einen bestimmten Teil der Gesellschaft wahr. Den kleinen Teil, dem es gut geht, der reich ist, der eine gute Ausbildung hat. Der Rest des Volkes ist für Sisi nur eine Last."
Neue Kapitale der Superlative: glitzernd, smart, weiträumig
Ägyptens Reiche und Mächtige versuchten schon immer, auf Distanz zur Masse der Armen. Und kommen im dicht bevölkerten Kairo doch ständig mit ihr in Berührung. Das soll sich bald ändern. 50 Kilometer von Kairo entfernt soll in den nächsten vier Jahren eine neue Hauptstadt entstehen, eine Kapitale der Superlative: glitzernd, smart, weiträumig. Eine geschlossene, exklusive Gesellschaft aus Politikern, Militärs, Diplomaten und Unternehmern soll Ministerien und Botschaften, Villen und Apartmenthäuser bevölkern. Lebensraum für die Oberschicht.
"Wenn der Präsident seinen Plan umsetzt, dann nur, um sich der Masse der Verarmten, die immer größer wird, zu entledigen. Für ihn ist es eine Masse, die immer nur essen will, versorgt werden will, ihre Kinder zur Schule schicken will ... das alles möchte er loswerden."
45 Milliarden für den Bau veranschlagt
45 Milliarden Dollar werden für den Bau der neuen Hauptstadt veranschlagt. Mit so viel Geld ließe sich auch vieles in der alten verändern: Verkehrswege, Müllabfuhr, Strom –und Wasserversorgung. Nur: Präsident Sisi setzt derzeit andere Prioritäten. In Kairos Armenvierteln wird man sie hinnehmen müssen:
"Gott segne euch alle", ruft ein Bettler auf dem Markt in Imababa. "Ein gutes Leben, genug zu essen, und jemand der euch am Abend zudecken wird."