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Baustellentheater

Wenn es in den nächsten Wochen keine politischen Gespräche zwischen Gegnern und Betreibern von "Stuttgart 21" gibt, dann droht die Lage zu eskalieren. Das befürchtet auch Hasko Weber, der Schauspielintendant. Weber sieht das Theater in diesem Konflikt als Vermittler.

Von Christian Gampert | 28.09.2010
    "Es geht darum, die Balance nicht zu verlieren, wieder Annäherung zu stiften. Mit einem gewissen Fingerspitzengefühl die Partner einzuladen - da eine Lösung zu finden. Ich denke, das wird die nächsten drei bis vier Wochen aktuell sein. Und wenn sich dann an der aktuellen Situation nichts ändert, dann denke ich, dass da was eskalieren kann. Das ist aber auch allen bewusst. So. Und in dieser Form muss man jetzt miteinander reden. Eine andere Alternative sehe ich nicht. Auch für uns als Theater. Das macht keinen Sinn, da eine Position zu beziehen, das ist so unüberschaubar geworden, dass man damit nur die Ideologisierung des ganzen Vorgangs verstärkt. Und das nutzt niemandem was."

    Die Stücke, mit denen Hasko Weber die Stuttgarter Saison eröffnete, nehmen zumindest indirekt Bezug auf die angespannte Lage in der Stadt. Weber selbst inszenierte mit Heiner Müller DDR-Frühwerk "Der Bau" eine Lehrstunde über gesellschaftliche Widersprüche: Auch hier werden Fundamente eingerissen und neu gebaut, wie am Stuttgarter Bahnhof. Der Brigadier Barka, der am liebsten rund um die Uhr arbeitet, klaut mit seinen Leuten notfalls auf anderen Baustellen den nötigen Beton, weil die zentrale Planung versagt hat. Auf einer ganz aus Paletten bestehenden Spielfläche hat Weber das Stück in seiner Sperrigkeit, in seiner DDR-kalten 50iger/60iger-Jahre-Widerspenstigkeit belassen. Drei bisweilen arg lange Stunden sehen wir den Kampf zwischen dem anarchistisch angehauchten Brigadeführer (Jonas Fürstenau) und dem leicht ins Selbstironische gezogenen, pflichtergebenen Parteisekretär (Markus Lerch), der nebenbei eine verbotene Liebe zur jungen Ingenieurin pflegt.

    Eine geheime Sehnsucht nach dem Alten, Altmodischen durchweht den Abend: heutige komplizierte Verhältnisse in der DDR-Aufbauphase gespiegelt zu sehen. Aber das gelingt nicht. Weber hat auch jede Anspielung auf Frank Beyers Film "Spur der Steine" (mit Manfred Krug) vermieden, der dasselbe Thema weitaus cooler darbot. Weber inszeniert allerdings sehr deutlich die Desillusion, die spätestens am Berliner 17.Juni 1953 die DDR ergriff, und lässt Arbeiterlieder als verruchte Chansons intonieren:

    "Ich trage eine Fahne, das Rot der Arbeitermacht ..."

    Im Jahr 2000 ist in Berlin alles anders, freier, aber ebenfalls von Desillusion geprägt: eine junge linke Szene bewegt sich zwischen Uni-Seminar und Untergrund, und der Roman "Teil der Lösung" von Ulrich Peltzer fängt dieses Fluidum zwischen Resignation und Aufbegehren, zwischen totaler Freiheit und totalem Überwachungsstaat in großartiger Beschreibungsprosa ein. Die zunächst misstrauische Liebe zwischen einer Attac-Jungstudentin und einem alt-linken Journalisten, der über die Brigate Rosse recherchiert, steht in der pointierten Adaption von Alexander Seibt zwar etwas zu sehr im Vordergrund; aber die Inszenierung der jungen Seraina Maria Sievi ist, trotz einiger Polizei-Clowns, nah dran an der Berliner Szene, ohne selber "szenig" zu sein.

    Zum Abschluss machte Entfremdungsschwadroneur René Pollesch aus Tschechows "Drei Schwestern" "Drei Western", und zwar als "Radio-Pantomime" – eine Idee, über die nur eingefleischte Fans noch lachen können. Klar, dass da der bekannte Schauspieldilettant Harald Schmidt mittun musste. Ihm und Pollesch gebührte ein Ehrenplatz auf dem Stuttgarter Hauptbahnhof: auf dem Abstellgleis.