Eine Maschinenhalle auf dem Campus der Technischen Universität Dresden. Bauingenieur Frank Schladitz steht an einer hochmodernen Nähwirkmaschine, die Tausende hauchdünne Kohlenstofffäden zu einem Garn verarbeitet.
"Bei dem, was wir hier gerade sehen, ist ein Filament dünner als ein menschliches Haar und 50.000 dieser Filamente bilden das Garn. Dieses Garn verarbeiten wir dann zum Textil."
Carbontextil nennt sich der Stoff, der hier hergestellt wird. Ein offenes gitterartiges Textilgewebe aus Kohlenstofffasern, das später mit Beton zu einem völlig neuen Baustoff verarbeitet wird. Seit zehn Jahren forschen die Dresdener Wissenschaftler daran.
"Wenn wir uns die Gitterstruktur so anschauen, ist die wie so ein Gardinenstoff. Und dieser Gardinenstoff ist schlecht zu verlegen in Beton. Man muss es also beschichten, damit die Garne untereinander auch verbunden sind und sich dann mit dem Beton verbinden, um überhaupt diese feste Gitterstruktur für den Baustoff herzustellen."
Die Rezeptur für die Beschichtung ist ein gut gehütetes Geheimnis der Dresdener Forscher. In der Nachbarhalle werden zahlreiche Probekörper aus dem Baustoff der Zukunft gefertigt. Carbonbetonzylinder und - platten verschiedener Größen, die in einer Klimakammer bei 20 Grad Celsius und 60 Prozent Luftfeuchte aushärten. Der Betonmischer läuft hier auf Hochtouren. Forschungsgruppenleiter Frank Schladitz erklärt, wie der Carbonbeton entsteht.
"Es gibt einmal das Laminierverfahren. Da wird eine Schicht Beton aufgebracht, dann eine Lage Carbontextil, die nächste Lage Beton, dann wieder Carbontextil bis die gewünschte Lagenanzahl erreicht ist. Oder ich ordne die Carbonbewehrung zunächst in der Schalung an und ergänze noch den restlichen Beton."
Bauingenieur Frank Schladitz schwärmt von den Eigenschaften des Carbonbeton. Er sei nicht nur leichter, sondern auch viel langlebiger als herkömmlicher Stahlbeton. Wird der rissig, dringt Wasser ein und der Stahl rostet im Innern. Kohlefasern dagegen seien beständig.
"Ein Riesenvorteil ist, dass es nicht korrodiert und ich damit viel Betondeckung sparen kann. Heutzutage brauche ich für Stahlbeton eine Betondeckung von zwei bis fünf Zentimetern. Das kann ich sparen. Dadurch kann ich viel dünner bauen."
Manfred Curbach, Direktor des Instituts für Massivbau träumt von einer völlig neuen Formensprache in der Betonarchitektur. Außerdem will er die Ära des Stahlbetons in absehbarer Zeit durch Carbonbeton ersetzen. Obwohl Kohlefasern sehr teuer sind, sei das Material durch seine hohe Leitungsfähigkeit konkurrenzfähig zu Stahl - versichert der Institutsdirektor. Deshalb arbeitet sein Team mit Hochdruck am Durchbruch für den neuen Baustoff. Immer wieder testen sie Probekörper auf Zug-, Trag- und Verbundverhalten im Technikum . Einige Bauteile haben es bereits in die Praxis geschafft.
"Es gibt zwei große Bereiche, wo wir jetzt schon sehr erfolgreich waren. Das eine betrifft die Verstärkung von vorhandenen alten Bauwerken, die sonst abgerissen werden müssen. Da konnten wir schon verschiedene schalenartige Bauwerke wie in Schweinfurt oder Chemnitz verstärken und damit retten. Die andere Seite betrifft neue Bauwerke. Da haben wir zum Beispiel ein Pavillon bauen können aus gekrümmten Elementen, etwas, was aus Stahlbeton nur sehr aufwendig herzustellen ist. Hier ist es jetzt ein sehr filigranes Bauteil geworden, kaum vier Zentimeter dick, über vier Meter hoch und das schon einzigartig in seiner Form ist."
Schon jetzt hat Manfred Curbach zahlreiche Anfragen zum neuen Baustoff. Auch aus Israel und den USA, wo viele Stahlbetonbauten marode sind. Um eine breite Markteinführung des Carbonbetons zu beschleunigen, hat der Dresdener Institutsdirektor im Januar ein Konsortium aus zahlreichen Unternehmen und Forschungseinrichtungen gegründet.
"Wir gehen davon aus, wenn unsere Arbeiten weiterhin erfolgreich sind, dass wir in zehn Jahren ungefähr 20 Prozent des Stahlbetons durch Carbonbeton ersetzen können. Das werden zunächst mal Bauteile wie Fassadenelemente oder Platten betreffen. Aber wenn erstmal erkennbar ist, wie sinnvoll dieser neue Baustoff ist und wie gut er den alten ablöst bei längerer Lebensdauer, wird es vermutlich ein nachhaltiger Effekt sein."