Dieses Märchenstück über die Tochter des Geisterfürsten Keikobad ist schon eine extreme Herausforderung. Für alle Beteiligten. Technisch, musikalisch, szenisch. Schon das Schicksal der Feentochter an der Seite des Kaisers der "südöstlichen Inseln" hat es in sich. Die kaiserliche Feenfrau wirft nämlich keinen Schatten und wird nicht schwanger. Aber Schatten und Kinder braucht sie, damit ihr Geliebter, ihr Mann der Kaiser, nicht zu Stein erstarrt. Und darum steigt sie an der Seite ihrer Amme hinab zu den Menschen, um sich von der geifernden Frau des Färbers deren Schatten im Tausch gegen Luxus und Sex zu erhandeln. Geschwängert ist das alles von freudianischer Psychologie, literarischer Romantik, musikhistorischen und auch zeitgeschichtlichen Bezügen, denn Strauss und Hofmannsthal haben das Werk über Mutterschaft und Kindesglück noch während des Schlachtens im Ersten Weltkrieg zu Ende gebracht. Hinzu kommt, dass Strauss kompositorisch eine Summe seines bisherigen Werks gezogen hat.
Und um es vorab zu sagen, Kirill Petrenko am Pult hat die vielgestaltigen Klänge in ihrer jeweiligen Eigenart lebendig gemacht, mit gnadenloser Wucht das zerklüftete Gelände der "Elektra"-Welt, mit erotischem Sog die Sinnlichkeit der "Salome"-Partitur und mit heiterer Transparenz die Leichtigkeit des "Ariadne"-Spiels.
Und dann gelingt Petrenko etwas Erstaunliches. Er verliert sich nicht in Einzelaspekten, sondern er spannt über die mehr als dreistündige Spielzeit einen immer spürbaren dramatischen Bogen. Verhalten beginnt er, gedimmt, fast unterkühlt, um nach und nach die Zügel lockerer zu lassen und am Ende die ganze Farbpalette kräftig aufzutragen. Und auch die langen Orchesterpartien behandelt der Dirigent wie kleine Symphonien, wie hier, wenn der Kaiser die Höhle seiner Versteinerung betritt.
So, wie Petrenko sehr nüchtern die Partitur angeht, so cool ist auf den ersten Blick auch die Arbeit des Regisseurs Krzysztof Warlikowski. Die feenhafte Kaiserin ist eine großbürgerliche Dame in getäfeltem Sanatoriumsambiente. Wenn sie einen ihrer Schübe bekommt, verpasst ihr die Privatärztin gleich eine Beruhigungsspritze. Krankenschwestern und Butler schleichen herum, und im Keller, in der Sanatoriumswäscherei hausen der Färber Barak und seine keifende, unglückliche Frau. Aber Warlikowski belässt es nicht bei einer Kranken- und Sozialgeschichte. Er bürstet den Deutungsreichtum des Stücks nicht über einen Kamm. Seine "Frau ohne Schatten" ist keine reine Couch-Geschichte, keine aus dem Kreißsaal oder aus einem Schallplattenstudio, wie es in früheren Inszenierungen zu sehen war.
Warlikowski lässt eine Vielzahl von Assoziationen und Interpretationen zu. Bei ihm geht es um Wahn, um einen Psycho- und Drogentrip, um Einsamkeit und deren Überwindung, um Emanzipation und Sehnsucht nach gelingender Ehe und familiärem Glück. Und die Chöre der Erwachsenen und Kinder und die Solisten spielen und singen das durchweg auf höchstem Niveau, wie Johan Botha; er singt einen klaren Kaiser, Adrianne Pieczonka eine farbenreiche Kaiserin, Deborah Polaski eine schön austarierte Amme, Wolfgang Koch einen sonoren Färber und Elena Pankratova eine intensive und höhen- und tiefenstarke Färberin.
"Wahrlich, es ist angelegt aufs Zertreten des Zarten, und es siegt das Plumpe, und dem, der Brot will, wird ein Stein gegeben!"
Wie Petrenko, so steigern auch Warlikowski und sein Team ihre Mittel: falkenköpfige Menschen, die Protagonisten als Kinderdouble, Videoprojektionen von Wäldern und sintflutartigen Wassereinbrüchen. Visionen des Untergangs und Bilder empathischer und versöhnlicher Beziehungen, der Schönheit des Lebens und des Glücks zu leben werden hier subtil miteinander verknüpft. Warlikowski gelingt die Balance zwischen Analyse, Kitsch und Pathos.
So wie Strauss angesichts seiner teils überorchestrierten Partitur mitunter kapituliert und zentrale Sätze nicht singen, sondern sprechen lässt, so geht auch die Münchner Inszenierung nicht über die Problematik des Werkes hinweg. Sie zeigt beispielsweise das Statische dieser komponierten "aphoristischen Ethik", wie Hofmannsthal es selbst formulierte. Auch dafür muss man die Münchner loben.
"Wehe, mein Mann! Welchen Weg! Wohin? Durch meine Schuld! Die Tür fiel zu, als wär's ein Grab."